„Die klassischen Meisterwerke der Weltliteratur haben eines gemeinsam: Selbst über
Jahrhunderte hinweg bleiben sie aktuell, werden gelesen, inszeniert, interpretiert,
geliebt, angefochten oder gar gehasst.“ Das sagt Marino Freschi, Professor für deutsche
Literatur in Rom. In dieser Woche konnten die Römer einen solchen deutschen Klassiker
von vorne bis hinten kennenlernen und zwar Emilia Galotti von Gotthold Ephraim Lessing
(1729 - 1781). Im Teatro India gab es Vorträge, einen Film und die Uraufführung des
Stückes auf einer italienischen Bühne.
Zu lässigen Blues-Klängen nickt Prinz
Guastalla. In dieser Inszenierung ist er ein Kommunikationsmanager. Mit Sonnenbrille
sitzt er am kargen Schreibtisch, hinter ihm eine Badewanne. Sein intriganter Vasall
Marinelli bringt ihm Fotografien. Gebannt ist der Prinz von der perfekt aussehenden
Emilia. Er muss sie haben... Die in Rom aufgeführte Galotti von Regisseur Alessandro
Berdini ist eine Umschreibung des Klassikers. Viel Musik, dazu laszive Tanzeinlagen
von einer leichtbekleideten Schönheit gehören dazu. Marino Freschi ist Professor für
deutsche Literatur an der Universität in Rom:
„Das ist natürlich eine Interpretation.
Was ich sehr interessant finde, ist, die Eleganz der Sprache. Ich glaube diese Eleganz,
sozusagen klassische itlaienische Sprache, das ist das Lessingsche. Das ist wirklich,
was man von Aufklärung denkt.“ Emilia Galotti ist ein Kooperationsprojekt
des römischen Theaters und der Universität von Rom. Während es in der Vergangenheit
bei ähnlichen Aktionen zum Beispiel um Kafka ging, freut sich Freschi, dass diesmal
Lessing aus dem See der Klassiker gefischt wurde.
„Emilia Galotti ist ein
Stück mit einem italienischem Hintergrund. Das ist das erste Mal, dass das Stück in
Italien aufgeführt wird und das hat uns sehr interessiert.“
Die Verginia
diente Lessing als Vorlage. Eine Legende, in der es um ein hübsches römisches Mädchen
geht, auf das es der Decemvir Appius, ein hochrangiger Vertreter der römischen Republik,
abgesehen hat. Um die Ehre seiner Tochter zu wahren, ersticht der Vater sein Kind
Verginia. Seine Tat ist eine Revolte gegen Politiker, die ihre Macht unmoralisch missbrauchten,
meint der Germanist Freschi. Auch Emilia Galotti sei nicht zuletzt aus diesem Grunde
von Aktualität:
„Die echte Aktualität ist, dass die Bürger - also wir -
die Macht nicht haben. Im Grunde empfinden wir eine Art von Faszination und das ist,
wie Emilia sagt, die wahre Gewalt. Also die Aktualität für mich ist eben diese Schwäche
der Schwachen.“
In einem kleinen Saal des Kulturzentrums India, einem
ehemaligen Fabrikgelände für Waschpulver, sind vor allem italienische Germanisten
zusammengekommen, um über das klassische Stück „Emilia Galotti“ zu diskutierten. Es
geht zum Beispiel um die Rezeption von Lessings Werk, um die Beziehung von Lessing
und Goethe. Die Religion ist ein zentrales Thema in den Werken von Gotthold Ephraim
Lessing, dem Pastorensohn, so der Italiener Freschi. Lessings Vater, Johann Gottfried,
gilt in Glaubensfragen als patriarchalisch starr:
„Lessing hat die ganze
Zeit seines Lebens immer mit Religion zusammengelebt. Ich glaube, das Gespräch zwischen
Lessing und dem Vater war die Gärung, war der Reichtum des Denkens von Lessing.“
Ganz
anders dagegen das Themenspektrum in der italienischen Literatur:
„Wenn
man an die italienische Kultur der damaligen Zeit denkt, das ist eine Kultur, wo das
Religiöse fast keine Rolle spielt. Das Theologische ist immer eine sehr lebhafte Präsenz
in der deutschen Aufklärung gewesen, also diese Liebe zwischen - oder diese Hassliebe
zwischen Pietismus und Aufklärung, das war wirklich das besondere. Hier liegt die
Wurzel der großen klassischen deutschen Kultur.“
Ein hochpolitisches Stück
war damals Emilia Galotti. Zwar ist die Liebe eines der Hauptthemen des Dramas, aber
es gilt als Werk der Aufklärung. Eine Tragödie wollte er schreiben. Darum war Lessing
auch unzufrieden, dass der Kaiser von Österreich, so eine Anekdote, über sein Werk
herzhaft lachte. Das aktuell in Rom aufgeführte Stück hat seine komischen Elemente,
etwa wenn der Prinz und sein linker Vasall Tanzeinlagen aufführen. Getreu der Vorlage
muss auch auf der römischen Bühne Emilia durch die Hand ihres Vaters sterben. Ihr
Leben hängt nach einer Überdosis Drogen an einem Schlauch mit Infusionen und genau
den zerreißt der Vater, um sein Kind vergeblich vor einer letzten Fotokampagne des
Prinzen zu bewahren.