Vatikan/Nahost: „Widersinniger Verlust von Menschenleben“
Von einem „widersinnigen
Verlust von Menschenleben“ spricht der Vatikan im Zuge der jüngsten Entwicklungen
im Nahen Osten. Die Attacke habe im Heiligen Stuhl „schmerzhaftes Bedauern“ ausgelöst,
sagte Vatikansprecher Federico Lombardi am Mittag gegenüber Journalisten. Ein israelisches
Elitekommando hatte am frühen Montagmorgen Schiffe einer „Solidaritätsflotte“ für
den Gaza-Streifen attackiert. Bei der Militäraktion wurden ersten Berichten zu folge
bis zu 16 Menschen getötet und bis zu 50 Menschen teilweise schwer verletzt. Nach
dem Gaza-Krieg im Jahr 2009 hat Israel keine einzige Hilfsflotte mehr durch die Blockade
gelassen. Das berichtet unsere Jerusalemkorrespondentin Gabi Fröhlich. Neben der angegriffenen
Flotte seien zwar weitere Hilfsschiffe unterwegs, die attackierte Flotte sei aber
die größte gewesen:
„Diese 700 Aktivisten waren wohl auch
sehr entschieden, ihre Hilfsgüter durch die Blockade hindurch nach Gaza zu bringen
– die Israelis wiederum waren sehr entschlossen, sie daran zu hindern. Und offenbar
ist die Situation nach dem, was man bis zu diesem Zeitpunkt hört und auf Bildern sieht,
schlicht und einfach eskaliert. Es hat wohl, auch das sagen die Bilder, ebenso Angriffe
seitens der Aktivisten auf die eindringenden Soldaten gegeben. Und die Soldaten hatten
möglicherweise die Order, darauf hart zu reagieren. De facto kam es zu diesem sehr
bedauerlichen und schlimmen Blutvergießen.“
Der israelische Industrie-
und Handelsminister Benjamin Ben-Eliezer bedauerte unterdessen gegenüber örtlichen
Medien den blutigen Ausgang der Aktion. Die Soldaten hätten auf eine „enorme Provokation“
reagiert. Dem widersprach „Freies Gaza“-Sprecherin Audrey Bomse: Die Besatzung der
unter türkischer Flagge fahrenden „Mavi Marmara“ habe der Übernahme durch das israelische
Militär ausschließlich gewaltfreien, „passiven“ Widerstand entgegengesetzt, unterstrich
sie in einer ersten Stellungnahme. Auf Seiten der Kirche herrsche große Bestürzung
über die jüngste Eskalation, so Fröhlich im Gespräch mit uns:
„Weihbischof
Shomali, der Kanzler des lateinischen Patriarchats von Jerusalem, hat gesagt, er sei
sehr traurig und die Armee hätte unter allen Umständen versuchen müssen, das Blutvergießen
zu verhindern. Zu konkreten Einzelheiten äußern sich die Kirchenführer nicht. Denn
alles ist ja noch ein bisschen unklar. Vage ist, was genau passiert ist. Aber allgemein
ist man der Ansicht, dass so etwas nicht hätte passieren dürfen.“
Altpatriarch
Michel Sabbah äußerte die Meinung, dass bereits die Erstürmung der Flotte, die mit
humanitären Gütern nach Gaza unterwegs war, ein Vergehen sei. Die Kirche, meint unsere
Korrespondentin, sehe die Blockade als grundsätzliches Problem. Und daran hätten auch
die Aktivisten erinnern wollen.
„Sabbah unterstreicht, man
könne nicht 1,5 Millionen Menschen mit einer Kollektivstrafe belegen, weil man in
einem Konflikt mit ihrer Regierung liegt. Und die Abriegelung, so sagt das der einstige
Patriarch, beraubt die Menschen im Gaza-Streifen so grundlegender Rechte wie Freiheit,
Möglichkeiten der Selbstversorgung, usw. Also geht es nicht so sehr darum, dass Menschen
im Gaza-Streifen Hunger leiden und dass man ihnen überlebensnotwendige Hilfsgüter
bringen müsste. Sondern es geht um eine Krise der Menschenwürde, um grassierende Arbeitslosigkeit.
Darum, eingesperrt und einer fremden Willkür ausgeliefert zu sein. Also um ein Leben
wie im Gefängnis, ohne persönliche Schuld, für die meisten der Menschen im Gaza-Streifen.“
Das
prangerten die einheimischen Kirchenvertreter schon lange an, so Fröhlich, und auch
der Solidaritätsflotte sei es darum gegangen, den Blick der Öffentlichkeit auf den
Gaza-Streifen zu lenken – der nicht nur unter einheimischen palästinensischen Christen
als großes Unrecht empfunden wird. Taten, die den Lippenbekenntnissen der internationalen
Politik folgten, seien überfällig:
„Es ist immer wieder
so, dass schlechte Neuigkeiten den Blick der Weltöffentlichkeit auf diese Region lenken.
Und die Hoffnungen, dass sich die westliche Welt und das Ausland den Nahen Osten mehr
zu Herzen nehmen als bisher, bestehen. Es bleibt also die Hoffnung, dass aus so negativen
Nachrichten wie der heutigen doch noch etwas Positives entstehen kann.“