Angesichts von Unruhen
auf Jamaika ruft die Kirche der Karibikinsel zu Gebet und Gewaltlosigkeit auf. Bei
Gefechten zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern einer Drogenbande in der Hauptstadt
Kingston waren seit dem Wochenende 73 Menschen ums Leben gekommen. Nach dreitägigen
Feuergefechten ist in der Stadt inzwischen weitgehend Ruhe eingekehrt, Polizeirazzien
gehen aber weiter. Die USA hatte von der Regierung die Auslieferung des Drogenbosses
Christopher „Dudus“ Coke verlangt. Im Interview mit unseren britischen Kollegen schildert
der Erzbischof von Kingston die Situation. Bischof Donald Resse:
„In den
Gebieten, wo Razzien stattgefunden haben, ist die Spannung natürlich noch groß. Im
übrigen Teil der Insel eher nicht. Aber man kann nie wissen, wann es wieder eskaliert
und sich die Unruhen auf andere Gebiete übertragen. Ich habe alle Priester und Gläubigen
gebeten, alles zu tun, damit die Menschen die Ruhe bewahren, und sie zum Gebet aufgerufen.“
Der
gesuchte Verbrecher soll für Drogenhandel in der Karibik, in Nordamerika und in Großbritannien
verantwortlich sein. Bei großen Teilen der überwiegend jungen jamaikanischen Bevölkerung
gilt er dagegen als moderner „Robin Hood“: Er ermöglicht Kindern den Schulbesuch,
kauft Nahrungsmittel und schlichtet Streitigkeiten. Zusätzlich zur Gewalt sei zuletzt
auch noch ein ganz anderes Problem hinzugekommen, so der Erzbischof:
„Die
Konferenz der Kirchen von Jamaika, zu der auch die katholische Kirche gehört, hat
festgestellt, dass der Premierminister nicht mehr in der Lage ist, das Land zu führen.
Er war im Zusammenhang mit der von der US-Regierung geforderten Ausweisung des Drogenbosses
selbst in Lügen und Unwahrheiten verstrickt! Die Folge: Einige Leute fordern seinen
Rücktritt, andere nicht. Wir warten nun, was passiert. Sein Ruf ist beschädigt, finde
ich. Er kann nicht mehr auf die eigene Glaubwürdigkeit zählen.“
Premierminister
Bruce Golding hatte sich zuletzt aktiv für ein Auffinden des gesuchten Verbrechers
eingesetzt und dafür von den USA Lob geerntet. Ein Ende der Unruhen sei vorerst nicht
abzusehen, so der Erzbischof. Er habe selbst gehört, dass jungen Leuten Geld und Waffen
ausgehändigt worden seien. Einige hätten bis zu Tausend jamaikanische Dollar bekommen.
„Das
ist eine ganz schöne Summe, wenn man jemanden rekrutieren will! Der Kampf wird weitergehen,
sie werden sich nicht ergeben, das kann sich noch über Tage, wenn nicht eine Woche
oder länger hinziehen. Außerdem ist die Polizei in Sorge um andere Bezirke, in denen
sich Waffen und Kämpfer befinden könnten. Sobald sie das Problem in der Hauptstadt
gelöst haben, werden sie sich die anderen Zonen vornehmen, in denen sich die Leute
eigene Gesetze machen.“
Nach inoffiziellen Berichten soll der Drogenboss
Christopher „Dudus“ Coke Jamaika inzwischen verlassen haben. – Kriminalität ist eines
der größten Probleme auf der Karibikinsel. Hauptursachen sind Armut und Arbeitslosigkeit,
Landflucht - und nicht zuletzt die Wirtschaftskrise. Gerade Jugendliche sehen kriminelle
Banden als schnelle Möglichkeit, an Geld zu kommen, an. Knapp zwei Drittel der jamaikanischen
Bevölkerung gehören der protestantischen Kirche an, was ein Ergebnis der britischen
Herrschaft über die Insel ist. Weiterhin sind Naturreligionen vertreten, die u. a.
von afrikanischen Sklaven eingeführt wurden und sich mit anderen Kulturen und Religionen
vermischten. Diese religiösen Strömungen sind mit den Santería auf Kuba und den Voodoo
in Haiti vergleichbar. Weitere Minderheiten gehören dem Islam, dem Judentum sowie
dem Buddhismus an.