An diesem Donnerstagmittag
hat die Missbrauchsbeauftragte Ursula Raue den mit großer Ungeduld erwarteten Abschlussbericht
ihrer Untersuchungen vorgestellt. In München trat die im Februar vom Jesuitenorden
eingesetzte Berliner Rechtsanwältin mit den Ergebnissen ihrer unabhängigen Untersuchung
zum Missbrauch im Orden vor die Journalisten:
„Bis vorgestern haben sich
bei mir 205 Leute gemeldet. Dabei kamen ganz unterschiedliche Vorwürfe zur Sprache.
Von Aussagen wie „ich weiß, dass es anderen geschehen ist“ bis hin zu „ich muss Ihnen
jetzt einfach sagen, wie schlimm das für mich selber war“, gibt es die ganze Bandbreite.
Teilweise haben sich auch Geschwister von Opfern gemeldet, die sich selbst nicht gemeldet
haben, und mitgeteilt, was sie wussten. Da war also alles drunter.“ Verdächtigt
werden 46 Patres, weltliche Lehrer und Erzieher des Ordens, gab die Missbrauchsbeauftragte
an. Neben den Übergriffen an Jesuiten-Einrichtungen seien ihr fünfzig weitere, meist
an katholischen Einrichtungen geschehene Übergriffe gemeldet worden, so Raue weiter.
Als Orte des Missbrauchs nannte Raue neben dem Canisius-Kolleg in Berlin das Kolleg
Sankt Blasien, das Aloisiuskolleg in Bad Godesberg, die Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg,
ein ehemaliges Kolleg im westfälischen Büren sowie Jugendeinrichtungen in Hannover
und Göttingen. Wichtig sei nun vor allem, dass ihre Arbeit Konsequenzen hat, betonte
Raue:
„Es müssen Supervisionen in die Schulen eingebaut werden, damit man
sexuelle Übergriffe schneller als solche bemerkt. Es ist innerhalb des Ordens besser
und offener mit Sexualität umzugehen. Es muss einfach eine gute und faire Kommunikation
her. An der hat es, das hat meine Untersuchung an vielen Stellen ergeben, oft gehapert.“ Bei
vielen Opfern hätten die Übergriffe schlimme Auswirkungen auf ihren weiteren Lebensweg
gehabt. „Diese Leute, die sich da gemeldet haben, sprechen fast durchgängig von gebrochenen
Lebenswegen, von Angst und Depressionen, Problemen im sexuellen Bereich und zerstörten
Ehen und Eheproblemen“, so Raue wörtlich. Im Jesuitenorden seien viele Vorwürfe bekannt
gewesen, ohne dass angemessen reagiert wurde. Die vergangenen Wochen hätten die Opfer
erneut auf eine harte Geduldsprobe gestellt.
„Für die Opfer ist es so gewesen,
dass sich die Zeit unendlich hingezogen hat. Das ist so: Wenn man etwas gesagt hat,
was der Andere gehört haben soll, und dann kommt das nicht so schnell, dann zieht
sich die Zeit ganz, ganz lange hin. Und dann wird man ungeduldig. Das habe ich durchaus
verstanden.“ Raue selbst war die Erleichterung darüber, dass sie
nun die Untersuchungen und ihre heikle, aber überaus wichtige Aufgabe abgeschlossen
hat, deutlich anzumerken.
„So schnell ist Zeit für mich selten vergangen.
Es war wirklich viel zu tun: Ohne abendlichen Schluss und ohne Wochenenden. Meine
Enkelkinder haben mich nur noch im Fernsehen gesehen.“ (rv 27.05.2010
vp)