„Und wenn Afrika auf
einmal von der Landkarte verschwinden würde?“ Das ist der Titel eines Buches, das
ein afrikanischer Philosoph geschrieben hat: Filomeno Lopes stammt aus Guinea-Bissau,
arbeitet aber als Journalist in Italien. Also: Was passiert eigentlich, wenn Afrika
auf einmal von der Karte verschwindet?
„Die entscheidende Frage
ist ja nicht so sehr, was die anderen zum Verschwinden unseres Kontinents sagen würden.
Sondern eher: Wie geht Afrika selbst mit sowas um?“
Die Art der
Fragestellung kennen wir schon aus der Literatur: Der – wie Lopes portugiesisch-sprachige
– Nobelpreisträger Saramago läßt in einem Roman die spanische Halbinsel von Resteuropa
abbrechen und gen Afrika treiben; und mancher Europa-Politiker träumt derzeit, aus
Wirtschaftsgründen, von einem Verschwinden Griechenlands. Und Afrika? Es ist auch
ein Opfer der derzeitigen Wirtschaftskrise – in der Hinsicht nämlich, dass die reichen
Staaten jetzt sich selbst retten, statt die UNO-Milleniumsziele einzuhalten.
„Ein
afrikanisches Sprichwort sagt: Wenn deine Zukunft zu düster ist, dann schäm dich nicht
und mache einfach kehrt. Ein bekannter politischer Intellektueller wie Amilcar Cabral
sagte: Auch im Kampf kann es weise sein, den Rückzug anzutreten... weil das keine
Geste der Feigheit ist, sondern eine Art und Weise, das Morgen aus einiger Entfernung
besser ins Auge zu fassen. Wer heute auf Afrikas Zukunft schaut, sieht nur Probleme
für uns Afrikaner. Also drehen wir uns um, und gehen wir zurück! Dann sehen wir, wie
das früher war und was uns das für Möglichkeiten gibt, damit die Zukunft weniger schlimm
wird als das, was wir derzeit erleben!“
Zurück in die Zukunft auf
afrikanisch: Filomeno Lopes geht es um Geschichte. Afrika als Ort eines gemeinsamen
Denkens, nicht als Produkt der Geographie.
„Denn die Geographie
haben ja nicht wir gemacht… Die Welt ist ja nicht der Westen – aber der Westen ist
doch zu der Welt geworden, innerhalb derer wir alle geboren und aufgewachsen sind.
Das Afrika, von dem ich spreche, ist also das Afrika, das gewissermassen auf den Schiffen
der Sklavenhändler geboren wird. Ein Afrika, das über seine Zukunft nachdenkt von
Amerika aus, mit den Kindern der Sklaven, mit den panafrikanischen Bewegungen, mit
der Bewegung der Négritude – und das von den sechziger Jahren an in die Gegenden zurückkehrt,
die mittlerweile Afrika genannt werden. Dieses Afrika also ist nicht so sehr ein geographischer
Begriff als vielmehr: eine Einheit im gemeinsamen Fühlen und Denken.”
Und:
Eine Einheit, die selbst über ihre Zukunft nachdenkt und diese gestaltet, statt sie
sich von anderen vorschreiben zu lassen. Auch die Hoffnung, so formuliert Filomeno
Lopes, sei eine Errungenschaft.
„Das afrikanische Volk hat sich
als fähig erwiesen, 500 Jahre der Sklaverei, des Kolonialismus, der Apartheid zu besiegen
und zur Unabhängigkeit zu gelangen. Es fängt also nicht bei null an, und das ist schon
ein Beweis: Was wir gestern zu tun imstande waren, das können wir auch morgen leisten.“
Der
Denker, der u.a. an einem Missions-Institut im norditalienischen Verona unterrichtet,
hofft, dass sich ein eigenständiges afrikanisches Denken herausbildet. Sein Ausgangspunkt
könnte die Kommunikation sein, die Medien.
„Afrika hat ja ab einem
bestimmten Moment erst existiert, und zwar als eine Realität der Gewalt. Jetzt gilt
es zu verstehen: Wie läßt sich nach diesem Tod Afrikas eine Auferstehung organisieren?
Und da kommt die Kommunikation ins Spiel – ohne sie gibt es keine afrikanische Renaissance.
Es ist sinnlos, von Solidarität zu sprechen, wenn wir täglich gegeneinander zu Felde
ziehen; im Kern ist es also unsere Kommunikations-Fähigkeit, die in einer tiefen Krise
ist.“
Der Schwarze Kontinent müsste ein einheimisches Denken entwickeln,
das das Gespräch sucht mit der Philosophie in anderen Kontinenten.
„Ich
gehe von den Ägyptern aus und ziehe die Linie von den griechischen Philosophen bis
zu Habermas. Denn das ist doch auch unser afrikanisches Erbe! Wir sind doch diese
Realität: In mir wohnt ein Europäer, ein Amerikaner, ein Asiate und umgekehrt.“
Es
mag überraschen, dass ein Afrikaner „das Denken“ als Afrikas Problem Nummer eins bezeichnet.
Doch Lopes liegt da auf einer Linie mit dem Berater des Präsidenten von Togo, Professor
Robert Dussey. Dieser meinte kürzlich auf einer Diskussion in Rom: „Wir sind daran
gewöhnt, dass andere für uns denken, warum können wir nicht endlich einmal für uns
selbst denken?“ Die Afrikaner seien – das wolle er in aller Offenheit aussprechen
– „als allererste schuld an ihrer Lage, und zwar wegen ihres Mangels an Verantwortlichkeit“.
Nach Leopold Senghor habe Afrika kein tragfähiges, eigenständiges Denken mehr hervorgebracht.
Das Afrika südlich der Sahara (mit Ausnahme Südafrikas) sei so „aus der Geschichte
herausgefallen“. Dussey ruft wie Lopes nach einer „Schaffung von Denkströmungen, um
den afrikanischen Menschen zu regenerieren“, nach einem „intellektuellen Erwachen,
einer intellektuellen Revolution“.
Nicht auszu-denken, wie das wäre, wenn
Afrika von der Landkarte verschwinden würde...