Diakonie Katastrophenhilfe: „Die Piraterie ist nicht Somalias größtes Problem“
Mit einer internationalen
Konferenz wollen die Vereinten Nationen und die Türkei dem von jahrzehntelanger Anarchie
zerrütteten Somalia auf die Beine helfen. Auf der an diesem Freitag in Istanbul beginnenden
Tagung wird ein Thema die Piraterie sein, die vor der Küste des Landes oft von somalischen
Gruppen ausgeht. Das allein zu diskutieren reiche aber nicht aus, unterstreicht der
Sprecher der Diakonie Katastrophenhilfe Deutschland, Rainer Lang:
„Einmal
ist das ganz wichtig, dass die internationale Aufmerksamkeit wieder auf das Land und
die Situation der Menschen dort abzielt. Das Wichtigste ist eine realistische Beurteilung
der unterschiedlichen politischen Gruppen und, dass man sich zum Zeil setzt, alle
politischen Gruppierungen an den Verhandlungstisch zu bekommen – ohne gleich eine
politische Gruppe gleich dem Lager der Terroristen zuzuordnen, wie das bei den islamischen
Gerichten der Fall war. Denn das führt zu einer weiteren Spaltung des Landes.“ UNO-Generalsekretär
Ban Ki Moon erklärte im Vorfeld der Konferenz, er werde nicht akzeptieren, dass ein
Land und ein Volk von der Staatengemeinschaft verlassen oder ignoriert werde. Dieses
entschiedene Engagement begrüßt Diakoniesprecher Lang:
„Ich denke, dass
sich da schon viel getan hat, dass man aus Fehlern der Vergangenheit ein Stück gelernt
hat. Jetzt steht zur Debatte, wie man einerseits die kriminellen Clan-Machenschaften
begrenzen und die einzelnen Gruppen zum Gespräch bringen kann. Inzwischen hat auch
die internationale Politik im Blick, dass das der einzig gangbare Weg ist. Dass die
Verurteilung von Teilgruppenoder irgendwelche militärischen Lösungen nicht zum Ziel,
sondern zu noch größerem Chaos führen.“ Die Diakonie ist eine der wenigen
verbleibenden Hilfsorganisationen aus Deutschland, deren Mitarbeiter in Somalia im
Einsatz sind. Für die meisten Werke stellt die Lage in dem zerrütteten Land eine zu
große Gefährdung ihrer Helfer dar.
„Deswegen beobachten wir die Sitaution
mit Bangen. Weil wir die Gefährdung unserer lokalen Mitarbeiter sehen, die vermehrt
in Berichten schreiben, dass sie jetzt verdeckt arbeiten müssen. Sie trauen sich nicht
mehr, öffentlich als Helfer aufzutreten, sondern fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln
in die Flüchtlingslager, die sie betreuen, um möglicht unauffällig zu arbeiten. Immer
wieder könnte da ein neuer Todesfall auftreten.“ Von „neuen“ Todesfällen spricht
Lang deswegen, weil in der Vergangenheit bereits einige Diakonie-Mitarbeiter ihr Leben
bei Anschlägen verloren haben. Im vorletzten Jahr ist der stellvertretende Rektor
der Partnerorganisation in Somalia, Mohamoud Mohamed Kheire, ums Leben gekommen. Doch
woher rühren diese Aggressionen gegen internationale Helfer?
„Einmal kommt
da ins Spiel, dass die Helfer von westlichen Organisationen finanziert werden. Da
kommt eine bestimmte Aversion auf, dass das wieder eine Intervention sein könnte,
weil man ausländische Mächte nicht im Land haben will. Von politischen Gruppen wird
dabei behauptet, dass alles von den USA gesteuert wird. Diese Vorbehalte äußern sich
dann in Gewalt. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass die generelle Lage destabilisiert
wird, wenn man die Hilfsorganisationen als Zielscheibe nimmt. Und das ist die Absicht
einiger politischer oder krimineller Gruppen, aber auch von Clans, die in bestimmten
Gebieten an die Macht wollen. Deshalb ist es ja so schwierig, politisches Handeln
von lokalen oder regionalen Ambitionen oder kriminellen Machenschaften zu unterscheiden.“ In
Somalia ist die staatliche Ordnung seit dem Sturz von Diktator Siad Barre 1991 faktisch
zusammengebrochen. In weiten Teilen herrschen Anarchie und Bürgerkrieg.