Botschafter Horstmann: „Kulturelle Vielfalt ist Reichtum der Menschheit“
Hier lesen und hören Sie einen Beitrag des deutschen Botschafters beim Heiligen
Stuhl, Hans Henning Horstmann, zum Thema „Interkultureller Dialog“: Sehr verehrte Hörerinnen,
sehr verehrte Hörer,
die Vielfalt der Kulturen in Europa und in der Welt ist
zum Einen eine stete Bereicherung für die Menschheit. Sie hat seit tausenden von Jahren
zu Begegnung und Forschung geführt. Als herausragende deutsche Persönlichkeit nenne
ich beispielhaft Alexander von Humboldt. Zum Anderen haben Könige und Fürsten aus
aller Welt bis heute versucht, ihre Macht durch Kreuz- und Feldzüge zu vergrößern.
Andere Kulturen wurden als fremd und bedrohlich empfunden. Das heißt, das große Mosaik
der Weltkulturen hat ein Janusgesicht: gegenseitige Bereicherung und gegenseitige
Vernichtung.
Papst Benedikt XVI. hat bei seinem Portugal-Besuch am 12. Mai
in einer Rede aus der Enzyklika "Ecclesiam suam" von Paul VI. zitiert: "Die Kirche
muss einen Dialog mit der Welt finden, in der sie lebt". Der Papst hat verdeutlicht,
dass dieser Dialog eine Priorität für die Kirche hat. Er hat am Beispiel des Nord-Süd-Zentrums
des Europarates in Lissabon klargestellt, dass es darum geht, über Dialog und Kooperation
z.B. zwischen Europa und Afrika eine Weltbürgerschaft zu entwickeln, die sich auf
die Menschenrechte und die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger gründet, unabhängig
von den ethnischen Ursprüngen, politischen Zugehörigkeiten und im Respekt vor den
unterschiedlichen religiösen Glaubensgemeinschaften.
Dieser Ruf des Heiligen
Vaters muss heute mehr denn je gehört werden: in Portugal, in Deutschland, in Europa
und in der Welt. Der Appell steht in der Tradition des Pontifikates von Benedikt XVI.,
der stets das Gespräch mit anderen Kulturen und Religionen gesucht hat. Der Dialog
ist zunächst eine Begegnung im täglichen Leben, eine Gelegenheit zum gegenseitigen
Kennenlernen und Verständnis, um so den gegenseitigen Respekt vor dem Anderssein zu
erwerben und zu fördern. Der Dialog beginnt mit der Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit
des Anderen und schafft so das Vertrauen, um dann zu einem Gespräch über religiöse
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu führen.
In Deutschland, dem Land der Ökumene,
haben wir nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges durch eine kooperative Laizität
das Zusammensein verschiedener Religionen und Kulturen ermöglicht. Besondere Bedeutung
hat der Dialog mit dem Islam. Als Beispiele: Das deutsche Institut für Auslandsbeziehungen
hat das beeindruckende Projekt der "Cross Culture Praktika" entwickelt: junge Berufstätige
aus muslimisch geprägten Staaten arbeiten in deutschen Betrieben und öffentlichen
Institutionen, und junge Deutsche tun dies in muslimischen Staaten. So werden gleichzeitig
wichtige Fachkenntnisse, vor allem aber interkulturelle Kompetenzen erworben. Denn
Kulturen oder Religionen können nicht miteinander sprechen, es sind die persönlichen
Begegnungen, die bereichern und Brücken bauen. Zu diesem Dialog trägt das deutsche
Auswärtige Amt bei. Junge Diplomaten aus Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten
kommen zu einem mehrwöchigen Aufenthalt nach Deutschland, um vorgefasste Meinungen
durch eigene Erfahrungen zu erweitern und Vertrauen zu schaffen. Ein drittes Beispiel:
Am 17. Mai hat die erste Plenarsitzung der deutschen Islamkonferenz in der 2009 begonnenen
Legislaturperiode stattgefunden. Darüber hinaus hat die Interkulturelle Woche/Woche
des ausländischen Mitbürgers Tradition. Zu ihr haben die Deutsche Bischofskonferenz,
die Evangelische Kirche in Deutschland und der griechisch-orthodoxe Metropolit von
Deutschland eingeladen, um die Anstrengungen zu einer Verbesserung der Chancengleichheit
von Migranten in der deutschen Gesellschaft zu fördern: beim Zugang zum Arbeitsmarkt,
bei den Bildungsmöglichkeiten und bei der umfassenden gesellschaftlichen Partizipation.
Schlüssel für Integration ist Bildung. Das katholische Bildungswesen ist nicht nur
in Deutschland sondern weltweit besonders gefragt, weil nicht nur Wissen vermittelt
wird, sondern der Mensch in einem klaren Wertesystem erzogen und so gebildet wird.
Europa hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Europarat, die Europäische
Union und vielfältige grenzüberschreitende europäische gesellschaftliche und kirchliche
Initiativen Möglichkeiten gegeben, dass nicht nur der Warenaustausch, sondern vor
allem der kulturelle Dialog gefördert wird. Hohe Bedeutung haben die Europaschulen
und die bilingualen Gymnasien, die sowohl zum Abitur als auch zur Maturità führen.
Weltweit sehen wir täglich den mörderischen Krisenbogen von Pakistan über
Afghanistan, den Nahen Osten bis nach Nordafrika. Dieser Krisenbogen verdeutlicht
wie kein anderer: eine frühzeitige umfassende Krisen- und Konfliktanalyse hat versagt
und somit eine Politik der Prävention nicht ermöglicht. Dies ist für mich die Herausforderung
des 21. Jahrhunderts: den Worten des prevenire muss endlich eine entschlossene politische
und gesellschaftliche Aktion folgen. Die Generalsynode der römisch-katholischen Weltkirche
für den Nahen Osten im Oktober in Rom kann für eine solche Politik neue Wegweisungen
geben.