Begegnung mit den Mitgliedern der Organisationen der Sozialpastoral - die Homilie
im Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern, liebe Freunde! Ihr habt das Wort Jesu gehört: „Dann geh
und handle genauso!“ (Lk 10,37). Er lädt uns ein, uns im Umgang mit Situationen,
in denen brüderliche Hilfe gebraucht wird, den Stil des barmherzigen Samariters anzueignen,
dessen Beispiel uns eben vor Augen gestellt wurde. Und wie sieht dieser Stil aus?
Es geht um „das »sehende Herz«. Dieses Herz sieht, wo Liebe not tut und handelt danach“
(Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 31). So hat der barmherzige Samariter
gehandelt. Jesus beschränkt sich nicht auf mahnende Worte; wie die Kirchenväter lehren,
ist er selbst der Barmherzige Samariter, der jedem Menschen nahe ist. Er „gießt das
Öl des Trostes und den Wein der Hoffnung auf seine Wunden“ (Präfation für die Wochentage
VIII, portugiesische Ausgabe des Römischen Meßbuchs) und bringt ihn in die Herberge,
die die Kirche ist, wo er ihn pflegen und heilen läßt, indem er ihn seinen Dienern
anvertraut und persönlich im voraus für seine Heilung bezahlt. „Dann geh und handle
genauso!“ Wenn wir mit dem Herzen eines barmherzigen Samariters leben wollen, dann
muß die bedingungslose Liebe Jesu, die uns geheilt hat, durch Gerechtigkeit und Nächstenliebe
zu einer unentgeltlich und großherzig geschenkten Liebe werden.
Ich freue mich
sehr über diese Begegnung mit euch an diesem gesegneten Ort, den Gott auserwählt hat,
um die Menschheit durch die Muttergottes an seinen Plan der barmherzigen Liebe zu
erinnern. In freundschaftlicher Verbundenheit grüße ich alle Anwesenden wie auch die
Institutionen, denen sie angehören. In der Verschiedenheit der Gesichter sind sie
doch vereint im Nachdenken über die sozialen Fragen und vor allem im tätigen Mitleid
gegenüber den Armen, Kranken, Gefangenen, den Einsamen und Verlassenen, den Behinderten,
Kindern und Alten, Migranten, Arbeitslosen und allen, die Leid und Not zu tragen haben,
die ihre Würde als freie Personen beeinträchtigen. Ich danke Herrn Weihbischof Carlos
Azevedo für seine Worte, mit denen er die treue Gemeinschaft mit der Kirche und dem
Papst zum Ausdruck gebracht hat. Er hat sowohl im Namen dieser Versammlung der Nächstenliebe
gesprochen als auch im Namen der von ihm geleiteten bischöflichen Kommission für die
Sozialpastoral, die unaufhörlich diese große Saat von wohltätigen Werken in ganz Portugal
fördert. Ihr seid euch bewußt, daß ihr als Kirche nicht in der Lage seid, für jedes
konkrete Problem eine praktische Lösung anzubieten. Aber ohne jegliche Macht, doch
in dem festen Entschluß, dem Gemeinwohl zu dienen, seid ihr bereit, zu helfen und
allen die Mittel des Heils anzubieten. Liebe Brüder und Schwestern, die ihr im
weiten Feld der Nächstenliebe tätig seid, Christus „offenbart uns, »daß Gott die Liebe
ist« (1 Joh 4,8), und belehrt uns zugleich, daß das Grundgesetz der menschlichen
Vervollkommnung und deshalb auch der Umwandlung der Welt das neue Gebot der Liebe
ist. Denen also, die der göttlichen Liebe glauben, gibt er die Sicherheit, daß allen
Menschen der Weg der Liebe offensteht“ (Konstitution Gaudium et spes, 38).
Die derzeitige Lage der Geschichte besteht in einer sozial-wirtschaftlichen, kulturellen
und spirituellen Krise und unterstreicht die Notwendigkeit einer Entscheidungsfindung,
die sich an dem orientiert, was die Kirche mit ihrer Botschaft zu sozialen Fragen
kreativ anbietet. Das Studium ihrer Soziallehre, deren Hauptkraft und grundlegendes
Prinzip die Liebe ist, wird erlauben, einen ganzheitlichen Entwicklungsprozeß des
Menschen aufzuzeigen, der die Tiefe des Herzens einbezieht und zu einer weitergehenden
menschengerechten Gestaltung der Gesellschaft führt (vgl. Benedikt XVI., Enzyklika
Caritas in veritate, 20). Es handelt sich nicht um ein rein intellektuelles
Wissen, sondern um eine Weisheit, die Geschmack und Würze verleiht, die dem Denken
und Handeln, die nach einer Lösung für eine so umfassende und komplexe Krise suchen,
Kreativität verleiht. Mögen die Einrichtungen der Kirche gemeinsam mit allen nicht-kirchlichen
Organisationen ihre Erkenntnisfähigkeit und ihre Leitlinien im Hinblick auf eine neue
und großartige Dynamik weiterentwickeln, die zu „jener Kultur der Liebe“ führen kann,
„deren Samen Gott in jedes Volk und in jede Kultur gelegt hat“ (ebd., 33).
In
ihrer sozialen und politischen Dimension kommt diese Diakonie der Liebe den Laien
zu, die berufen sind, auf organische Weise das Gemeinwohl und die Gerechtigkeit zu
fördern sowie für eine rechte Ordnung des gesellschaftlichen Lebens zu sorgen (vgl.
Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 29). Einer der pastoralen Schlußfolgerungen,
die im Lauf eurer jüngsten Überlegungen hervorgetreten sind, ist die Heranbildung
einer neuen Generation von Führungskräften im Dienst am Nächsten. Es verdient sicher
eine besondere Sorge der Hirten, die aufmerksam in die Zukunft schauen, neue Laienmitarbeiter
für diesen pastoralen Bereich zu gewinnen. Wer von Gott lernt, der die Liebe ist,
wird unweigerlich ein Mensch sein, der für die anderen da ist. Denn „die Liebe Gottes
zeigt sich in der Verantwortung dem andern gegenüber“ (Benedikt XVI., Enzyklika Spe
salvi, 28). In seiner Hingabe an den Vater mit Christus vereint, werden wir von
seinem Mitleid für die Menschenmenge ergriffen, die nach Gerechtigkeit und Solidarität
fragt, und wir setzen uns wie der barmherzige Samariter im Gleichnis dafür ein, konkrete
und großherzige Antworten anzubieten.
Häufig ist es aber nicht einfach,
das geistliche Leben und das apostolische Wirken auf angemessene Weise miteinander
zu verbinden. Der von der vorherrschenden Kultur ausgeübte Druck – die eindringlich
einen Lebensstil vertritt, der auf dem Gesetz des Stärkeren und auf dem schnellen
und verlockenden Gewinn gründet – beeinflußt letztendlich auch unsere Art zu denken,
unsere Projekte und die Perspektiven unseres Dienstes, so daß die Gefahr besteht,
daß sie die Motivation des Glaubens und der christlichen Hoffnung verlieren, aus denen
sie hervorgegangen sind. Die zahlreichen und dringenden Bitten um Hilfe und Unterstützung,
die die Armen und Ausgestoßenen der Gesellschaft an uns richten, drängen uns dazu,
Lösungen zu finden, die der Logik der Effizienz, dem sichtbaren Erfolg und der Werbung
entsprechen. Dennoch, liebe Brüder und Schwestern, ist die erwähnte Verbindung von
geistlichem Leben und apostolischem Wirken absolut notwendig, um Christus in der Menschheit
zu dienen, die auf euch wartet. In dieser gespaltenen Welt bedürfen alle einer tiefen
und echten Einheit des Herzens, des Geistes und des Handelns.
Zu den
vielen sozialen Einrichtungen im Dienst des Gemeinwohls, die nah an der notleidenden
Bevölkerung sind, zählen auch die Einrichtungen der katholischen Kirche. Deren Ausrichtung
muß eindeutig sein, damit sie eine klar sichtbare Identität annehmen: in der Inspiration
ihrer Ziele, in der Wahl ihrer menschlichen Ressourcen, in der Vorgehensweise, in
der Qualität ihrer Dienste, im ernsthaften und wirksamen Einsatz der Mittel. Die genau
umschriebene Identität der Einrichtungen ist ein wirklicher Dienst und von großem
Nutzen für jene, denen diese Einrichtungen zugute kommen. Neben der Identität und
damit verbunden ist es wesentlich, daß der christlichen Nächstenliebe in ihrem Wirken
Autonomie und Unabhängigkeit von Politik und Ideologien gewährt wird (vgl. Benedikt
XVI., Enzyklika Deus caritas est, 31b), auch wenn sie mit staatlichen Institutionen
zusammenarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Eure Tätigkeit
im Bereich der Betreuung, der Erziehung und der Caritas soll von Projekten der Freiheit
ergänzt werden, die auf der Suche nach der universalen Brüderlichkeit den Menschen
fördern. Zu diesem Bereich gehört der dringende Einsatz der Christen für die Verteidigung
der Menschenrechte, der auf die Ganzheit der menschlichen Person in ihren verschiedenen
Dimensionen achtet. Ich bringe meine hohe Wertschätzung für all jene sozialen und
pastoralen Initiativen zum Ausdruck, die gegen jene sozio-ökonomischen und kulturellen
Mechanismen ankämpfen, die zur Abtreibung führen, und die die Verteidigung des Lebens
sowie die Versöhnung und Heilung der Menschen, die vom Drama der Abtreibung verwundet
worden sind, klar vor Augen haben. Die Initiativen zum Schutz der wesentlichen Grundwerte
des Lebens – von der Empfängnis an – und der Familie – die auf der unauflöslichen
Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gründet – sind eine Hilfe, um einigen äußerst
heimtückischen und gefährlichen Herausforderungen für das Gemeinwohl in unserer heutigen
Zeit zu begegnen. Diese Initiativen sind gemeinsam mit vielen anderen Formen des Engagements
wesentliche Elemente für den Aufbau der Zivilisation der Liebe.
All dies
verbindet sich gut mit der Botschaft der Muttergottes, die an diesem Ort erklingt:
Buße, Gebet, Vergebung, die auf die Bekehrung des Herzens zielen. Das ist der Weg,
um die Zivilisation der Liebe aufzubauen, deren Samen Gott in das Herz jedes Menschen
gelegt hat und den der Glaube an Christus, den Erlöser, wachsen läßt.