Begegnung mit den Bischöfen Portugals - die Ansprache im Wortlaut
Verehrte, liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Ich danke Gott, daß er mir die Gelegenheit
gibt, euch hier im geistlichen Herzen Portugals, dem Heiligtum von Fatima, zu begegnen.
Hier suchen Pilgerscharen aus den verschiedensten Orten der Welt die Gewißheiten des
Himmels wiederzufinden oder in ihrem Innern zu stärken. Mit ihnen ist aus Rom der
Nachfolger Petri gekommen, der die mehrmals an ihn gerichteten Einladungen angenommen
hat und den eine Dankesschuld gegenüber der Jungfrau Maria bewegt, die gerade an diesem
Ort den Sehern und Pilgern eine tiefe Liebe zum Heiligen Vater vermittelt hat. Diese
Liebe trägt Früchte in einer großen Schar von Betern, die von Jesus angeführt wird:
Petrus, „ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich
wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,32).
Wie ihr seht, muß
der Papst sich immer mehr dem Geheimnis des Kreuzes öffnen und es als einzige Hoffnung
und letzten Weg umarmen, um im Gekreuzigten alle, die als Menschen seine Brüder und
Schwestern sind, zu gewinnen und zu versammeln. Dem Wort Gottes gehorsam, ist er berufen,
nicht für sich selbst, sondern für die Gegenwart Gottes in der Welt zu leben. Die
Entschlossenheit, mit der auch ihr mir in enger Verbundenheit folgt, ohne etwas anderes
zu fürchten als den Verlust des ewigen Heils für euer Volk, gibt mir Kraft. Das verdeutlichen
auch die Worte, mit denen mich Erzbischof Jorge Ortiga bei meiner Ankunft unter euch
begrüßt hat und die vorbehaltlose Treue der Bischöfe Portugals zum Nachfolger Petri
bezeugt hat. Von Herzen danke ich euch. Danke auch für eure Mühe bei der Organisation
meines Besuches. Gott vergelte es euch, indem er über euch und eure Diözesen den Heiligen
Geist reichlich ausgieße, damit ihr eines Herzens und einer Seele den pastoralen Einsatz,
den ihr euch vorgenommen habt, zu Ende führen könnt, nämlich jedem Gläubigen eine
anspruchsvolle und faszinierende christliche Initiation anzubieten. Diese soll in
unversehrter Vollständigkeit den Glauben und die Spiritualität weitergeben, die im
Evangelium verwurzelt ist und freie Persönlichkeiten formt, die mitten im öffentlichen
Leben tätig sind.
Tatsächlich erfordert die Zeit, in der wir leben, eine neue
missionarische Stärke der Christen, die dazu berufen sind, einen reifen Laienstand
zu bilden, der sich mit der Kirche identifiziert und solidarisch mit der Welt ist,
die einen komplexen Umgestaltungsprozeß durchläuft. Es bedarf authentischer Zeugen
Jesu Christi, vor allem in jenen menschlichen Bereichen, in denen das Verschweigen
des Glaubens am meisten verbreitet und am größten ist: unter den Politiker, den Intellektuelle
und den Medienschaffenden, die eine monokulturelle Sichtweise vertreten und fördern,
die die religiöse und kontemplative Dimension des Lebens mißachtet. In diesen Bereichen
gibt es Gläubige, die sich nicht trauen, ihren Glauben zu bekennen, und so mit dem
Säkularismus Hand in Hand gehen, der Barrieren gegen die christliche Inspiration aufrichtet.
All jene, die in diesen Bereichen mutig ein kraftvolles katholisches Gedankengut verteidigen,
das treu zum Lehramt steht, mögen hingegen, liebe Brüder, auch weiterhin euren Ansporn
und euer erhellendes Wort empfangen, damit sie als gläubige Laien die christliche
Freiheit leben.
Bewahrt in der gegenwärtigen Lage der Welt ohne Maulkorb die
prophetische Dimension, denn „das Wort Gottes ist nicht gefesselt“ (2 Tim 2,9). Die
Menschen bitten um die Frohe Botschaft Jesu Christi, die ihrem Leben Sinn verleiht
und ihre Würde schützt. Als Hauptverkünder des Glaubens wird es euch nutzen, die verschiedenen
sozialen und kulturellen Faktoren zu kennen und zu verstehen, die spirituellen Bedürfnisse
abzuschätzen und die pastoralen Ressourcen wirksam in euren Programmen einzusetzen;
entscheidend ist aber, daß ihr es schafft, allen, die in der Verkündigung des Evangeliums
tätig sind, ein echtes, eifriges Streben nach Heiligkeit einzuflößen und ihnen bewußt
zu machen, daß das Ergebnis vor allem auf der Einheit mit Christus und dem Handeln
des Heiligen Geistes beruht.
Denn wenn der katholische Glaube im Empfinden
vieler kein gemeinsames Erbe der Gesellschaft mehr darstellt und oft eine Saat zu
sein scheint, der von den „Göttern“ und Herren dieser Welt bedrängt und verdunkelt
wird, dann werden die Herzen nur schwer von bloßen Worten oder moralischen Vorhaltungen
berührt werden und noch weniger von allgemein gehaltenen Verweisen auf die christlichen
Werte. Der mutige und umfassende Verweis auf die Prinzipien ist grundlegend und unerläßlich;
dennoch kommt die bloße Darlegung der Botschaft nicht in der Tiefe des menschlichen
Herzens an, berührt seine Freiheit nicht, ändert nicht sein Leben. Das, was fasziniert,
ist vor allem die Begegnung mit gläubigen Menschen, die durch ihren Glauben Zeugnis
von Christus ablegen und die anderen zur seiner Gnade hinführen. Mir kommen dabei
diese Worte von Papst Johannes Paul II. in den Sinn: „Die Kirche bedarf vor allem
großer Strömungen, Bewegungen und Zeugnisse der Heiligkeit unter den Christgläubigen,
weil aus der Heiligkeit jede echte Erneuerung der Kirche, jede Bereicherung des Verständnisses
des Glaubens und der christlichen Gefolgschaft, eine lebendige und fruchtbare Wiederbelebung
des Christentums in der Begegnung mit den Bedürfnissen der Menschen, eine neue Form
der Anwesenheit im Herzen des menschlichen Daseins und der Kultur der Nationen erwächst“
(Ansprache zum 20. Jahrestag des Konzilsdekrets „Apostolicam actuositatem“, 18. November
1985). Jemand könnte sagen: „Die Kirche bedarf großer Strömungen, Bewegungen und Zeugnisse
der Heiligkeit …, aber es gibt sie nicht!“.
Diesbezüglich gestehe ich euch,
wie angenehm ich von der Begegnung mit den neuen Bewegungen und kirchlichen Gemeinschaften
überrascht war. Im Blick auf sie hatte ich die Freude und die Gnade zu sehen, wie
der Heilige Geist in einer für die Kirche mühevollen Zeit, als man von einem „Winter
der Kirche“ sprach, einen neuen Frühling hervorrief, indem er in den Jugendlichen
und Erwachsenen die Freude weckte, Christen zu sein und in der Kirche zu leben, die
der lebendige Leib Christi ist. Dank der Charismen werden die Radikalität des Evangeliums,
der objektive Inhalt des Glaubens und der lebendige Strom seiner Tradition überzeugend
weitergegeben und als persönliche Erfahrung, als Zustimmung der Freiheit zum gegenwärtigen
Christusereignis angenommen.
Notwendige Bedingung ist natürlich, daß diese
neuen Gruppierungen in der gemeinsamen Kirche leben wollen, auch wenn ihnen in gewisser
Weise Raum für ihr Leben vorbehalten ist, so daß dieses für alle anderen fruchtbar
wird. Diejenigen, die ein besonderes Charisma haben, müssen sich wesentlich für die
Gemeinschaft, für den gemeinsamen Glauben der Kirche verantwortlich fühlen und müssen
sich der Leitung der Hirten unterstellen. Diese sind es, die die Kirchlichkeit der
Bewegungen garantieren müssen. Die Hirten sind nicht nur Menschen, die ein Amt innehaben,
sondern sie haben selbst ein Charisma, sie sind verantwortlich dafür, daß sich die
Kirche dem Wirken des Heiligen Geistes öffnet. Wir Bischöfe werden im Weihesakrament
vom Heiligen Geist gesalbt, und deshalb gewährleistet uns das Sakrament auch die Offenheit
für den Empfang seiner Gaben. So müssen wir einerseits die Verantwortung spüren, diese
Impulse anzunehmen, die Geschenke für die Kirche sind und ihr neue Vitalität verleihen.
Aber andererseits müssen wir auch den Bewegungen helfen, den rechten Weg zu finden,
indem wir mit Verständnis Korrekturen vornehmen – mit jenem geistlichen und menschlichen
Verständnis, das Leitung, Anerkennung und eine gewisse Öffnung und Lernbereitschaft
zu verbinden weiß.
Gerade darin sollt ihr die Priester einführen oder bestärken.
Liebe Mitbrüder, entdeckt im zu Ende gehenden Priesterjahr neu die bischöfliche Vaterschaft,
vor allem gegenüber eurem Klerus. Zu lange wurde die Verantwortung der Autorität als
Dienst am Wachstum der anderen und vor allem der Priester vernachlässigt. Diese sind,
wie das Konzilsdekret Presbyterorum ordinis betont, dazu berufen, in ihrem seelsorglichen
Amt zusammen in einem gemeinschaftlichen oder gemeinsamen pastoralen Wirken zu dienen:
„Kein Priester kann abgesondert und als einzelner seine Sendung hinreichend erfüllen,
sondern nur in Zusammenarbeit mit anderen Priestern, unter Führung derer, die die
Kirche leiten“ (N. 7). Dabei geht es nicht um eine Rückkehr in die Vergangenheit
oder ein einfaches Zurück zu den Anfängen, sondern darum, den ursprünglichen Eifer
und die Freude des Beginns der christlichen Erfahrung wiederzugewinnen, indem wir
uns wie die Emmausjünger am Ostertag von Christus begleiten lassen, so daß sein Wort
unser Herz entflammt und das „Brechen des Brotes“ unsere Augen für die Betrachtung
seines Antlitzes öffnet. Nur so wird das Feuer der Liebe ausreichend brennen, um jeden
Christen dazu zu drängen, in der Kirche und unter den Menschen Spender des Lichtes
und des Lebens zu werden.
Zum Schluß möchte ich euch in eurer Eigenschaft
als Vorsitzende und Diener der Liebe in der Kirche darum bitten, in euch selbst und
in eurem Umfeld die Haltung der Barmherzigkeit und des Mitleids zu stärken, damit
ihr in der Lage seid, den gravierenden sozialen Bedürfnissen zu begegnen. Es sollen
Organisationen ins Leben gerufen und bereits bestehende weiter entwickelt werden,
damit sie kreativ auf jegliche Art von Armut antworten können, auch auf jene, die
sich in einem Mangel an Lebenssinn und in der Hoffnungslosigkeit zeigt. Euer Einsatz
zur Unterstützung der besonders hilfsbedürftigen Diözesen, besonders in den portugiesischsprachigen
Ländern, ist sehr lobenswert. Wenn jetzt die Schwierigkeiten stärker zu spüren sind,
dann soll euch das nicht von der Logik des Schenkens abbringen. Euer Zeugnis als Propheten
der Gerechtigkeit und des Friedens sowie als Verteidiger der unveräußerlichen Rechte
des Menschen soll im Land lebendig fortgeführt werden, indem ihr eure Stimme mit der
der Schwächsten vereint, die ihr zu Recht ermutigt habt, sich selbst zu Wort zu melden.
Fürchtet euch nie davor, eure Stimme zugunsten der Unterdrückten, der Gedemütigten
und der Mißhandelten zu erheben.
So vertraue ich euch der Muttergottes von
Fatima an und bitte sie, euch in den Herausforderungen, denen ihr gegenübersteht,
mütterlich zu stärken, damit ihr Förderer einer Kultur und einer Spiritualität der
Liebe und des Friedens, der Hoffnung und der Gerechtigkeit, des Glaubens und des Dienstes
seid. Dazu erteile ich euch meinen Apostolischen Segen, in den ich auch eure Angehörigen
und eure Diözesen einschließe.