2010-05-09 10:52:41

Aktenzeichen: Katholiken im Dritten Reich - eine historische Einführung
von Aldo Parmeggiani mit Karl-Joseph Hummel


RealAudioMP3 Glocken am Petersplatz - Stimme Papst Pius XII. Originalaufnahmen aus dem
Jahre 1939. 
Seither sind 70 Jahre vergangen. Das Echo hallt in unsere Zeit, eindrucksvoll mahnend, wieder.
Das Verhalten der katholischen Kirche, ihrer Bischöfe, ihrer Priester und
ihrer Mitglieder in den Jahren von 1933 bis 1945 ist nach wie vor eines der
umstrittensten Themen der Zeitgeschichte und ist bis heute von zahllosen
Kontroversen und Debatten gekennzeichnet. Anpassung oder Widerstand,
Kollaboration oder Distanz - das sind bis auf den heutigen Tag die Pole der
Kontroversen. Besonders heftig ist der Streit um Papst Pius XII. und den
Holocaust. Namhafte Historiker führen durch das kaum noch überschaubare
Gemenge von gesicherten Fakten und hartnäckigen Geschichtsklischees, von
historischen Einsichten und moralischen Urteilen und Vorurteilen. Ein vor
wenigen Wochen im Ferdinand Schöningh-Verlag München erschienenes Buch mit
dem Titel 'Katholiken im Dritten Reich' führt durch die weit verzweigte,
unübersichtliche Forschungs- und Meinungslandschaft und wird zu einem
zuverlässigen Leitfaden. Wer ernsthaft über die katholische Kirche im
Dritten Reich reden will, wird auf diesen Überblick nicht verzichten können.
Wie sprachen mit einem der Autoren, mit Dr. Karl-Joseph Hummel, Direktor der
Kommission für Zeitgeschichte an der Forschungsstelle Bonn.

*Herr Dr.Hummel, wir stehen am Beginn eines neuen Diskussions-Abschnitts
über das umstrittene Thema: 'Katholiken und das 3. Reich'. Wie sieht die
Lage derzeit aus? 
'Zunächst dominieren die Erinnerungen der Zeitgenossen, aber die Generation
der Miterlebenden des 'Dritten Reiches' ist inzwischen sehr klein geworden
und ist abgelöst worden durch die so genannten Geschichtspolitiker. Das sind
diejenigen, die das 'Dritte Reich' nicht mehr miterlebt haben, aber ein
moralisches Urteil über die Katholiken und das 'Dritte Reich' fällen. Und
dieses moralische Urteil ist meistens aus den Maßstäben der Nachzeit
zusammen gestellt. Und in der dritten Phase kommt dann die
Geschichtswissenschaft, nachdem die Geschichtsbilder schon geprägt sind, mit
dem Versuch, diese Geschichtsbilder durch historische Fakten, durch
wissenschaftliche Erkenntnis zu korrigieren. In dieser Phase sind wir bei
dem Thema 'Die Katholiken und das Dritte Reich' inzwischen angekommen'.

* Ist die Wirkung, die von Hochhuths 'Stellvertreter' ausgegangen ist jetzt
nach 40 Jahren aufgebraucht? Was hat sich verändert, zwischen 1963 und
heute? 
' Hochhuths 'Stellvertreter', 1963 in Berlin uraufgeführt, war ein Stück,
das damals durch die Zeitumstände begünstigt worden ist. Es herrschte Anfang
der 60ger Jahre eine Aufbruchstimmung in Staat und Gesellschaft, die Kirche
steht unmittelbar vor den Beginn des II. Vatikanischen Konzils und die Zeit
ist geprägt durch eine Ablösung des Antikommunismus der unmittelbaren
Nachkriegsjahre durch das 'aggiornamento', durch die Hinwendung zu einer
Dialogbereitschaft mit dem Kommunismus. In dieser Phase wird manches
gegenübergestellt und Pius XII. ist das Symbol für die Kirche der
Vergangenheit, für den Antikommunismus und die Kirche von gestern. Papst
Johannes XXIII. ist das Symbol für die Zukunft der Kirche, für
'aggiornamento' und Gesprächsbereitschaft. Und in diese Zeitstimmung hinein
kommt die These von Hochhuth, dass Papst Pius XII. aus persönlichem
Interesse und aus antijüdischer Voreingenommenheit mit den
Nationalsozialisten zusammen gearbeitet hat. Das trifft den Nerv der Zeit
und wird zu einem theatralischen Welterfolg. Inzwischen - nach über 45
Jahren - ist diese Wirkung aber nicht
mehr feststellbar, denn die Debatten um den Antikommunismus und die
Einstellung zum Bolschewismus spielen nach der Wende und dem Ende des kalten
Krieges keine Rolle mehr. Die Situation innerkirchlich ist in eine neue
Debatte gegangen und vor allem haben wir jetzt nach der Öffnung der Archive,
die Situation, dass wir nachweisen können, dass der 'Bühnenpapst' Pius XII.
Hochhuths Stellvertreter eine reine Kunstfigur ist und den Vergleich mit den
wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen nicht aushält.'

*Herr Dr.Hummel, welche Folgen hat die Öffnung der verschiedenen Archive auf
die Debatte, die wie eben führen, und von welchen Archiven sprechen Sie
genau ? 
' Wir hatten als Forscher das Problem, dass wir über 40 Jahre eine Debatte
geführt haben, in der uns archivische Quellen nicht zur Verfügung standen.
Inzwischen sind die vatikanischen Archive bis 1939 geöffnet, wir haben eine
Reihe von staatlichen Archiven, die neue Einsichten erlauben, und andere
kirchliche Einrichtungen haben ihre Archive auch bis mindestens 1939
geöffnet. Das führt dazu, dass wir jetzt Dinge nachvollziehen können, von
denen wir bisher nur geahnt haben, dass sie stattgefunden haben. Zum
Beispiel: einen innerkirchlichen Diskussionsprozess über die Frage
Rassismus, Totalitarismus und Bolschewismus. Hier gibt es sehr detaillierte
Unterlagen aus den dreißiger Jahren, und wir sehen, dass vatikanische
Entscheidungen auf Grund längerer Diskussionen und sehr genauer Überlegungen
getroffen worden sind und können das inzwischen auch begründen. Außerdem
stehen inzwischen zum Beispiel die Nuntiaturberichte zur Verfügung, die
besonders interessant sind. Am Beispiel Eugenio Pacellis: der seit 1917 bis
1929 Nuntius in München und in Berlin gewesen ist, Hier kann eine ganze
Reihe von Streitfragen inzwischen beantwortet werden und müssen nicht weiter
offen bleiben. Wir wissen zum Beispiel sehr genau über den Fortgang und den
Ausgang der Verhandlungen über das Reichskonkordat 1933 und können jetzt
feststellen, dass durch die Entscheidungen, die die deutschen Bischöfe in
Deutschland getroffen haben, das Staatssekretariat im Vatikan praktisch vor
vollendeteTatsachen gestellt worden ist. Es kann keine Rede davon sein, dass
Pius XII. - damals als Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli - den
politischen Katholizimus, die Zentrumspartei geopfert hätte zu Gunsten eines

Abschlusses für das Reichskonkordat.Und es gibt auch keinen Zusammenhang
zwischen der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz und dem Abschluss des
Reichskonkordates. Also solche wichtige Fragen sind inzwischen entschieden'.

*Was bedeutet dies alles jetzt für die Einschätzung der Person Eugenio
Pacellis, nämlich Pius XII? 
'Wir haben zunächst die Möglichkeit, die Persönlichkeit Pius XII. in einem
breiteren Spektrum zu sehen: er ist nicht mehr reduziert auf den politischen
Papst, nicht mehr reduziert auf den Nuntius, der sich nur um Kirchenpolitik
kümmert, sondern wir sehen inzwischen sehr genau, um welche anderen Themen
in der Seesorge, in der pastoralen Tätigkeit er sich gekümmert hat und wir
können inzwischen auch richtig einschätzen, wie die Verteilung war zwischen
der Notwendigkeit in Deutschland und den Vorgaben, die er aus dem
Staatssekretariat in Rom bekommen hat. Als Nuntius zum Beispiel entsteht das
Problem, dass das Zentrum in der Weimarer Republik zusammengearbeitet hat
mit den Liberalen und den Sozialdemokraten, also genau mit den
weltanschaulichen Gegnern des 19. und 20. Jahrhunderts, aber diese
so genannte Weimarer Koalition war notwendig, denn nur zusammen haben
Liberale, Sozialdemokraten und Zentrum eine demokratische Mehrheit,
wenigstens bis 1933 sicherstellen können. Und in der Abwägung zwischen der
reinen Lehre der weltanschaulichen Gegnerschaft und der politischen
Notwendigkeit war Pius XII. als Nuntius in Deutschland immer auf der
realpolitischen Seite.'

*Sie haben jetzt wieder einen Blick in die Historie geworfen; mich würde
aber auch interessieren, wie war in Ihren Augen der 'Mensch' Eugenio
Pacelli, alias Pius XII.? 
'Über den Menschen erfahren wir eher indirekt aus den Akten, indem wir zum
Beispiel wissen, dass es ein Problem gegeben hat, während des
Hitlerputsches, weil das Staatssekretariat sich nicht schnell genug
informiert gefühlt hat. In dieser Nacht des Hitlerputsches in München war
der Nuntius Pacelli an seinem Schreibtisch und hat sich mit dem
Konkordatstext beschäftigt, also es entsteht das Bild eines unglaublich
aktiven, vollinformierten Nuntius, der engen Kontakt sucht zu
gesellschaftlichen Führungskräften, vor allem auch gesellschaftlichen
Führungskräften, die nicht unbedingt seiner Meinung sind. Also es gibt im
politischen Bereich, im kirchlichen Bereich und im Kontakt zu Künstlern eine
ganze Reihe von überraschenden Kontakten eines interessierten, informierten
und aktiven Nuntius, der für den kommenden Mann gehalten wird. Der
Bayerische Gesandte beim Heiligen Stuhl hat bereits 1917 vorausgesagt, dass
hier - wenn die Verhältnisse es zulassen - ein Nuntius nach Deutschland
gekommen ist, der unter anderem auch Papst werden könnte.'

*Welche Beispiele gibt es für neue Perspektiven in der Forschung zu diesem
Thema 'Die Katholiken und das Dritte Reich'? 
'Das wichtigste Thema ist zunächst die Debatte über den Papst, der
geschwiegen hat. Wir hatten in der Vergangenheit die Situation, dass Pius
XII. reduziert worden ist auf die Frage: Der Papst und der Holcaust. Durch
die Öffnung der vatikanischen Archive wissen wir, dass hier sehr viel mehr
Perspektiven eine Rolle spielen. Hier kann man eine letzlich gültige Antwort
erst geben, wenn wir die Akten zur Verfügung haben bis 1945 oder 1958. Aber
man kann soviel bereits sagen, dass es wahrscheinlich ein vatikanisches
Konzept gegeben hat mit der Bezeichnung 'retten statt reden'. Wenn man die
vielfältigen Aktivitäten sieht, die über die Nuntiaturen unternommen worden
sind, um Juden zu retten, dann hat dieses Konzept 'retten statt reden' eben
zur Folge, dass es unterhalb der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
stattfindet und das wäre eine Erklärung für das öffentliche, diplomatische
Schweigen des Papstes. Weil das die Voraussetzung für Rettung von Juden
gewesen ist. Ein anderes Beispiel ist, dass wir durch die neuen Akten in die
Phase der Kriegsjahre geführt werden. Bisher lag der Schwerpunkt auf den
Friedensjahren und hier stellen sich ganz neue Themen, wie zum Beispiel die
Frage des Klostersturms oder die Frage von Beschäftigung von Zwangsarbeitern
in Einrichtungen der katholischen Kirche oder Fragen der Kriegstheologie
oder andere Fragen, die in den Kriegsjahren eine Rolle spielen, wo es darum
geht, zu überleben, im Wortsinn für die Soldaten, aber eben auch für die
Kirche als Institution. Denn wir wissen inzwischen, dass die Vernichtung der
katholischen Kirche in Deutschland nur aufgeschoben war bis zu dem Tag an
dem die militärischen Aktivitäten eingestellt werden könnten'.

*Was gibt es noch ergänzend zu Ihrem Buch 'Die Katholiken und das dritte
Reich' zu sagen, wie lange haben Sie daran gearbeitet? 
'Ich habe dieses Buch herausgegeben zusammen mit anderen, jüngeren
Forschern, weil wir eine Zwischenbilanz ziehen wollten und in diesem Buch
darlegen, welche Fragen, die wir Jahrzehnte lang diskutiert haben, inzwischen
erledigt sind. Dazu gehört zum Beispiel die Propaganda-Mitteilung, das
Reichskonkordat sei der erste internationale Vertrag gewesen, der Adolf
Hitler hoffähig gemacht hat. Davon kann keine Rede sein: es gibt vierzig
weitere Verträge, die da abgeschlossen worden sind. Also wir haben eine
Zwischenbilanz vorlegen wollen, und wir haben in diesem Buch gezeigt, welche
neuen Debatten geführt werden müssen und haben das Ganze ergänzt durch einen
Hinweis auf Bilder, die in die Irre führen. Wir haben in dieser Debatte der
letzten Jahrzehnte einen Kanon von etwa 15 Bildern 'Katholische Kirche im
Dritten Reich', die jeweils durch die Unterschrift in einen Kontext gesetzt
werden, wo sie die Aussage des Bildes praktisch in ihr Gegenteil verkehren.
Und das ist in diesem Buch jetzt erstmals dokumentiert und wir hoffen, dass
daraus eine gewisse Wirkung für die zukünftigen Debatten ausgeht.'


Aldo Parmeggiani

(rv 9. Mai 2010)







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