Papst Benedikt XVI.
hat vor dem Turiner Grabtuch gebetet. Am Sonntag besuchte er die norditalienische
Industriestadt, in der zurzeit das berühmte Leinentuch öffentlich gezeigt wird. Es
gilt vielen als das im Johannesevangelium erwähnte Grabtuch Jesu und wird seit 1578
in Turin aufbewahrt. Der Papst nannte es in einer Meditation eine „Ikone“, das für
die Verborgenheit Gottes am Karsamstag stehe. In einer Epoche der Weltkriege, Konzentrationslager
und Atombombenabwürfen sei die Erfahrung der Verborgenheit Gottes heute von besonderer
Aktualität, so Benedikt. Das ist der Kern-Moment dieser eintägigen
Reise nach Turin: Benedikt XVI. kniet im Dom vor dem Grabtuch Jesu, auf dem die Konturen
eines Gekreuzigten aus der Antike zu sehen sind. Der Papst betet einige Minuten lang.
Wenn dieses Tuch eine echte Reliquie Christi sein sollte, dann hat es womöglich Petrus
als erster in Händen gehalten; heute meditiert der Nachfolger Petri vor dem Leinen.
Es sei ein „Zeichen der Hoffnung“, hat Benedikt am Morgen bei einer großen Messe auf
dem Karlsplatz von Turin gesagt: Wer das Tuch betrachte, erkenne in den Schmerzen
Christi auch das eigene Leid. „Passion Christi – Passion des Menschen“, unter diesem
Thema steht dieses Jahr die öffentliche Ausstellung des Grabtuchs.
„Das
ist ein Moment, auf den ich lange gewartet habe“, sagt der Papst im Dom. „Ich habe
schon mehrfach vor dem heiligen Grabtuch gebetet, aber diese Pilgerfahrt ist für mich
besonders intensiv – vielleicht, weil mich das Verstreichen der Jahre noch sensibler
macht für die Botschaft dieser außergewöhnlichen Ikone...“ Diese Botschaft
spreche vom Karsamstag – dem Moment zwischen Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Tag
der Verborgenheit Gottes.
„Liebe Brüder und Schwestern, vor allem nach
dem letzten Jahrhundert ist die Menschheit in unserer Zeit besonders sensibel geworden
für das Geheimnis des Karsamstags. Die Verborgenheit Gottes gehört zur Spiritualität
der Zeitgenossen – auf eine existenzielle, fast unbewußte Weise. Wie eine Leere im
Herzen, die sich immer mehr ausbreitet. „Gott ist tot, und wir haben ihn getötet!“
schrieb Nietzsche gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Diese berühmte Formulierung ist
fast ein wörtliches Zitat aus der christlichen Tradition...“
Und
dennoch – das Grabtuch sei eine Art fotografisches Dokument, mit einer Positiv- und
einer Negativseite, so der Papst weiter. Und das lasse ihn daran denken, dass „das
dunkelste Geheimnis des Glaubens zugleich das leuchtendste Zeichen einer Hoffnung
ist, die keine Grenzen kennt.“
„Der Karsamstag ist Niemandsland zwischen
Tod und Auferstehung – aber ein Niemandsland, in das Einer eingetreten ist, der Einzige,
der es durchschritten hat mit den Stigmata seiner Leidenschaft für den Menschen. Und
von genau diesem Moment erzählt uns das Grabtuch, es zeugt von diesem einzigartigen
und unwiederholbaren Moment der Geschichte der Menschheit und des Universums, in dem
Gott durch Jesus unser Sterben und unser Verbleiben im Tod geteilt hat. Die radikalste
Solidarität...“
Gottes Liebe sei auch ins äußerste Dunkel
des Todes und der absoluten Einsamkeit des Menschen hinabgestiegen. Das Turiner Grabtuch
spreche „von dieser Dunkelheit, aber auch vom Licht, vom Sieg des Lebens über den
Tod“; und es strahle „eine feierliche Majestät aus, eine paradoxe Herrschaft“.
„Es
spricht zu uns mit Blut, und das Blut ist Leben. Das Grabtuch ist eine Ikone, die
mit Blut geschrieben ist, dem Blut eines Gegeißelten, mit Dornen Gekrönten, Gekreuzigten,
von einer Lanze Durchbohrten. Das Bild auf dem Grabtuch ist das eines Toten, aber
das Blut spricht von seinem Leben.“
Treffen mit Jugendlichen:
„Habt Mut zu Entscheidungen!“
Etwa 10.000 Jugendliche haben am Sonntagnachmittag
an einem Open-Air-Treffen mit dem Papst in Turin teilgenommen. „Hope“, Hoffnung –
so hieß der Chor mit 270 Stimmen; außerdem traten einige Sänger aus den USA und Großbritannien
auf. „Wenn ich dem Papst etwas sagen könnte, würde ich sagen: Wir Jugendliche sind
dir nahe“, meint ein Teilnehmer. Und mit dem Grabtuch seien sie hier in Turin buchstäblich
aufgewachsen: „Ich glaube, dass es echt ist und auch eine wichtige Botschaft für alle
Nichtglaubenden hat – auch sie sehen auf diesem Tuch jemanden, der gelitten hat und
der ihnen im Leiden nahe ist...“ „Habt den Mut zu definitiven Entscheidungen“,
sagt der Papst, „und lebt sie dann mit Treue! Ganz gleich, ob euch der Herr zur Ehe,
zum Priestertum, zum geweihten Leben ruft: Antwortet ihm großzügig!“ Es sei „nicht
leicht, aus seinem Leben etwas Großes und Schönes zu machen, aber mit Christus ist
alles möglich.“
Der Pilger aus Rom warnt die jungen
Leute aus Turin und Piemont vor einem falschen Gebrauch der Freiheit. Diese äußere
sich nicht in flüchtigen Freuden des Augenblicks, sondern paradoxerweise gerade in
verbindlichen Entscheidungen. Die vorherrschende individualistische Kultur behindere
tiefere zwischenmenschliche Beziehungen - aber Jugendliche hätten von Natur aus ein
Gespür für die „wahrhafte Liebe“, und diese werde durch den Glauben an Christus vermittelt.
Der Papst lädt außerdem zum Weltjugendtag 2011 ein: Er findet vom 15. bis 21. August
in Madrid statt.
Sonntagabend in Turin: Letzter Punkt im Papstprogramm ist
ein Treffen mit alten und kranken Menschen. „Ihr leistet einen wichtigen Dienst“,
sagt Benedikt: „Indem ihr eure Leiden mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus
vereinigt, nehmt ihr Anteil am Geheimnis seines Leidens für das Heil der Welt... Ihr
habt viel zu tun mit dem Schicksal der Welt – fühlt euch als wertvolle Teile es schönen
Mosaiks, das Gott, der große Künstler, Tag für Tag mit eurer Hilfe zusammensetzt.
Christus hat sich ans Kreuz schlagen lassen, damit von diesem Holz das Leben neu ausgeht.
Das Böse und der Tod haben nicht das letzte Wort, denn aus Tod und Leiden kann das
Leben auferstehen!“
Die öffentliche Ausstellung des Turiner Grabtuchs geht
weiter bis zum 23. Mai.