2010-05-02 11:43:24

Papst: Das Grabtuch zeigt den Beginn der Herrlichkeit im Leiden


Wir dokumentieren in einer Arbeitsübersetzung die Predigt des Papstes bei der Messe auf der Piazza San Carlo in Turin.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich freue mich, an diesem Festtag bei euch zu sein, um die Eucharistie mit euch zu feiern. Ich grüße alle, die hier versammelt sind, besonders den Hirten eurer Erzdiözese, Kardinal Severino Poletto, dem ich für die herzlichen Worte danke, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Danke! Ich grüße ebenfalls die anwesenden Erzbischöfe und Bischöfe, die Priester, die Ordensleute und die Vertreter der geistlichen Bewegungen.
Ich richte einen respektvollen Gruß an den Bürgermeister, Dr. Sergio Chiamparino, dankbar für die freundliche Begrüßung, und an die Vertreter der Regierung und der zivilen und militärischen Behörden, mit besonderem Dank an alle, die großzügig ihre Zusammenarbeit für die Verwirklichung meiner Pastoralreise angeboten haben. Ich denke ferner an die, die nicht anwesend sein konnte, vor allem an die kranken und einsamen Menschen und die Menschen in Not. Ich vertraue dem Herrn in dieser Eucharistiefeier die Stadt Turin und alle ihre Bewohner an, in dieser Feier, die uns wie jeden Sonntag zur Teilnahme am Tisch der Wahrheit des Wortes und des Brotes des ewigen Lebens einlädt.
Wir befinden uns in der Osterzeit, der Zeit der Verherrlichung Jesu. Das Evangelium, das wir soeben gehört haben, erinnert uns daran, dass diese Verherrlichung durch das Leid gegangen ist. Im Ostergeheimnis sind Leid und Verherrlichung vollständig verbunden, sie bilden eine untrennbare Einheit. Jesus bestätigt: „Heute wird der Menschensohn verherrlicht, und Gott wird in ihm verherrlicht“ und er sagt es, als Judas den Abendmahlssaal verlässt, um seinen Plan des Verrates umzusetzen, der zum Tod seines Meisters führen wird: Genau in diesem Moment beginnt das Leiden Jesu. Der Evangelist Johannes lässt es uns klar verstehen: Er sagt nicht etwa, dass Jesus erst nach seinem Leiden verherrlicht wurde, durch die Auferstehung, sondern er zeigt uns, dass seine Verherrlichung mit dem Leiden selbst begann. In ihr zeigt Jesus seine Herrlichkeit, welche die Herrlichkeit der Liebe ist, die sich selbst ganz gibt. Er hat den Vater geliebt und seinen Willen erfüllt bis zum Ende, in einer perfekten Gabe, und die Menschheit geliebt und für sie sein Leben gegeben. Wie er so in seinem Leiden verherrlicht wird, ist Gott in ihm verherrlicht. Aber das Leiden ist nur ein Beginn. Jesus sagt durch sie auch, dass seine Herrlichkeit auch in der Zukunft liegt. So sagt der Herr in dem Moment, in dem er sein Verlassen dieser Welt verkündigt, quasi wie ein Testament an seine Jünger, dass unter ihnen in einer neuen Weise ein neues Gebot anwesend sei: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ Wenn wir einander lieben, bleibt Jesus in unserer Mitte.
Jesus spricht von einem neuen Gebot. Aber was ist seine Neuheit? Schon im Alten Testament hat Gott sein Gebot der Liebe gegeben. Heute aber wird dieses Gebot neu gegeben, und dabei macht Jesus eine sehr wichtige Hinzufügung: „wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“. Das Neue liegt genau darin, im „lieben wie Jesus geliebt hat“. Das Alte Testament gibt uns kein Vorbild der Liebe, sondern es gibt uns nur die Aufforderung, zu lieben. Jesus aber hat sich selbst uns gegeben als Vorbild und Quelle der Liebe. Es ist eine Liebe ohne Grenzen, universell, in der Lage, auch die negativen Umstände und alle Widerstände umzuformen, um in der Liebe fortzuschreiten.
In den vergangenen Jahrhunderten hat die Kirche in Turin eine reiche Tradition von Heiligkeit und des großzügigen Dienstes am Nächsten gesehen – wie sie der Kardinal-Erzbischof und der Bürgermeister uns ins Gedächtnis gerufen haben – dank der Arbeit der eifrigen Priester und Ordensleute des kontemplativen und aktiven Lebens und der Laien. Die Worte Jesu bekommen also eine besondere Resonanz für diese Kirche, eine aktive und großzügige Kirche, beginnend mit ihren Priestern. Uns das neue Gebot gebend fordert Jesus uns auf, seine Liebe zu leben, die ein glaubhaftes Zeichen ist, wirkmächtig und eloquent, um der Welt das Kommen des Reiches Gottes zu verkünden.
Natürlich sind wir in unseren eigenen Kräften schwach und begrenzt. In uns gibt es immer einen Widerstand gegen die Liebe und in unserer Existenz gibt es viele Schwierigkeiten, die Trennung, Ablehnung und Streit zur Folge haben. Aber der Herr hat uns versprochen, in unserem Leben anwesend zu sein und uns fähig zu machen für diese großzügige und totale Liebe, die alle unsere Widerstände überwinden kann. Wenn wir mit Christus eins sind, können wir auf diese Weise wirklich leben. Den Nächsten lieben wie Jesus uns geliebt hat, ist nur mit der Kraft möglich, die uns die Nähe zu ihm bringt, besonders in der Eucharistie, in der sich auf wirkliche Weise sein Opfer der Liebe zeigt, das Liebe bringt.
Ich möchte ein Wort der Ermutigung besonders an die Priester und die Diakone in dieser Kirche richten, die sich mit Großzügigkeit der seelsorgerischen Arbeit widmen, und auch an die Ordensleute. Manchmal kann das Arbeiten im Weinberg des Herrn ermüdend sein; die Verpflichtungen vermehren sich, der Bedürfnisse sind viele, und an Problemen fehlt es nicht: Wisst, dass man täglich aus der Liebesbeziehung mit Gott im Gebet die Kraft zur prophetischen Weitergabe der Erlösung zieht; zentriert eure Existenz neu auf das Wesentliche des Evangeliums, kultiviert eine wirkliche Dimension der Gemeinschaft und der Brüderlichkeit unter euch, in euren Gemeinschaften, in den Beziehungen mit dem Volk Gottes; bezeugt im Dienst die Kraft der Liebe die vom Höchsten kommt.
Die erste Lesung, die wir gehört haben, stellt uns eine besondere Weise der Verherrlichung Jesu vor: Das Apostolat und seine Früchte. Paulus und Barnabas, gegen Ende ihrer ersten Pastoralreise, kehren zurück in die Stadt, die sie schon besucht haben und ermuntern erneut die Jünger und ermahnen sie, fest im Glauben zu stehen, so dass sie, wie sie selbst sagen, durch viele Drangsale ins Reich Gottes gelangen. Das christliche Leben, liebe Schwestern und Brüder, ist nicht einfach; ich weiß, dass es auch in Turin genug Schwierigkeiten, Probleme und Sorgen gibt: Ich denke im Besonderen an die, die ihr Leben unter Bedingungen der Instabilität leben, auf Grund des Fehlens von Arbeit, der Unsicherheit der Zukunft, des physischen oder moralischen Leidens. Ich denke an die Familien, an die Jugend, an die alten Menschen, die in Einsamkeit leben, an diejenigen am Rande der Gesellschaft, an die Immigranten. Ja, das Leben bringt es mit sich, dass wir vielen Schwierigkeiten und Problemen gegenüberstehen, aber es ist genau die Sicherheit, die aus dem Glauben kommt, die Sicherheit, dass wir nicht allein sind, dass Gott jeden Einzelnen von uns ohne Unterschied in seiner Liebe liebt, die uns dieses Entgegentreten, das Leben und Überwinden der Mühe der täglichen Probleme, möglich macht. Der Zustand der universellen Liebe des auferstandenen Christus brachte die Apostel dazu, aus sich selbst herauszugehen, das Wort Gottes zu verbreiten und sich ohne Zurückhaltung für den Nächsten einzusetzen, mit Mut, Freude und Unbeschwertheit. Der Auferstandene besitzt eine Kraft der Liebe, die alle Begrenzung überwindet, die nicht vor einem Hindernis stehen bleibt. Und die christliche Gemeinde, besonders in der pastoral herausfordernden Realität, soll ein konkretes Instrument dieser Liebe Gottes sein.
Ich ermahne die Familien, die christliche Dimension der Liebe in den einfachen Dingen des täglichen Lebens zu leben, in den Familienbeziehungen die Trennungen und Missverständnisse zu überwinden, in der Pflege des Glaubens, der neu die Gemeinschaft stark macht. Auch in der reichen und differenzierten Welt der Universitäten und der Kultur fehlt es nicht am Zeugnis der Liebe, von der das heutige Evangelium spricht: In der Fähigkeit, aufmerksam aufeinander zu hören, und im demütigen Dialog in der Suche der Wahrheit. Sicher, es ist dieselbe Wahrheit, die zu uns kommt und die uns erfasst. Ich möchte auch die Bemühungen derer ermutigen – auch, wenn es schwer ist – die zur Leitung der öffentlichen Dinge berufen sind: Die Zusammenarbeit zur Verfolgung des Gemeinwohls und des immer menschlicher und lebenswerter Werdens der Stadt ist ein Zeichen, dass das christliche Menschenbild sich nie gegen die Freiheit richtet, aber für eine größere Fülle steht, die nur in einer „Zivilisation der Liebe“ wirklich werden kann. Allen, besonders der Jugend, möchte ich sagen: Verliert nie die Hoffnung, die vom auferstandenen Christus komme, vom Sieg Gottes über Sünde und Tod.
Die zweite Lesung zeigt uns heute das letztendliche Ergebnis der Auferstehung Jesu: Es ist das neue Jerusalem, die heilige Stadt, die von Himmel herab kommt, von Gott, geschmückt wie eine Braut für den Bräutigam. Er, der gekreuzigt wurde, der unser Leiden geteilt hat, wie es uns in sprechender Weise auch das heilige Grabtuch ins Gedächtnis bringt; er ist es, der auferstanden ist und alle in seiner Liebe vereinen will. Es ist eine großartige Hoffnung, stark, fest – wie das Buch der Offenbahrung sagt: „Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.” Sagt uns das heilige Grabtuch nicht genau diese Botschaft? In ihm sehen wir wie in Spiegeln unseren Schmerz im Leiden Christi. „Passio Christi. Passio hominis.“ Genau deswegen ist es ein Zeichen der Hoffnung: Christus hat das Kreuz auf sich genommen, um das Böse zu verhindern, um uns ahnen zu lassen, dass Ostern ein Vorgriff ist auf jenen Moment, in dem jede Träne getrocknet wird, in dem es keinen Tod und auch kein Leid oder Schreien oder Schmerzen mehr geben wird.
Der Text aus der Offenbarung endet mit der Bestätigung: „Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.“ Das erste wirklich Neue, was Gott gemacht hat, ist die Auferstehung Jesu, seine himmlische Verherrlichung. Es ist der Beginn einer ganzen Serie von „neuen Dingen“, an denen auch wir teilhaben. „Neue Dinge“, das ist eine Welt voller Freude, in der es kein Leiden gibt, weder Streit noch Hass, und in der alles Leid überwunden ist. Wo es nur die Liebe gibt, die von Gott kommt und alles verwandelt.
Liebe Kirche von Turin, ich bin zu euch gekommen um euch im Glauben zu stärken. Ich möchte euch ermahnen, mit Kraft und mit Zuneigung fest in dem Glauben zu stehen, den ihr empfangen habt und der dem Leben Sinn gibt, und nie das Licht der Hoffnung in den auferstandenen Christus zu verlieren, der fähig ist, die Wirklichkeit zu verwandeln und alles neu zu machen. Lebt in der Stadt, den Vierteln, den Gemeinschaften, den Familien einfach und konkret die Liebe Gottes: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“
Amen








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