2010-04-30 12:02:25

D: Ökumene steht unter Erwartungsdruck


RealAudioMP3 In diesem Jahr feiert die Ökumene-Bewegung ihr 100-jähriges Bestehen: 1910 wurden mit der Weltmissionskonferenz von Edinburgh weltweit die ersten Schritte gemacht. Von da ab hat sich die organisierte Ökumene ausgebreitet. Zu einer der größten Ökumene-Veranstaltung gehört in diesem Jahr der Ökumenischen Kirchentag. In knapp zwei Wochen ist es soweit, dann beginnt er in München. Wolfgang Thönissen, der leitende Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn, berät den Vatikan in ökumenischen Fragen. Der Professor der Ökumenischen Theologie ist seit zwei Jahren so genannter Konsultor des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom. Mit ihm hat Nicole Stroth ein Interview vor dem Ökumenischen Kirchentag in München geführt und Professor Thönissen gefragt, welchen Hafen die ökumenische Bewegung seiner Meinung nach ansteuert.

- Warum brauchen wir überhaupt einen ökumenischen Kirchentag? Wieso ist das notwendig, so eine Veranstaltung anzubieten?

„Zunächst geht ja der ökumenische Kirchentag auf zwei eigenständige Bewegungen in beiden großen Kirchen in Deutschland zurück; in der evangelischen Kirche auf die Tradition der Deutschen evangelischen Kirchentage, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der evangelischen Kirche neu als Idee aufgenommen und umgesetzt wurden als große Laientreffen der evangelischen Kirche und auf die andere, schon wesentlich länger aus dem 19. Jahrhundert stammende Laienbewegung in der katholischen Kirche, organisiert vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Beides waren zunächst eigenständige Veranstaltungen. Und nun, auch unter dem Ergebnis des ökumenischen Dialogs und der guten ökumenischen Verhältnisse ist man vor zehn Jahren daran gegangen zu überlegen, ob man nicht beide Treffen einmal in einem bestimmten Rhythmus zusammenlegen sollte. Dahinter verbarg sich die Einsicht, dass jeweils an den evangelischen Kirchentagen oder an den Katholikentagen immer eine große Zahl von Christen teilgenommen haben, die jeweils der anderen Kirche angehören. Das war ein Thema. Und das andere ist: Es gab bei beiden großen Kirchen- und Katholikentagen immer auch ökumenische Veranstaltungen mit sehr gutem Erfolg. Und daraus ist dann der Gedanke gewachsen, einmal eine gemeinsame Veranstaltung zu organisieren. Das ist 2003 geschehen. Und in Berlin war der Kirchentag wirklich ein voller Erfolg gewesen, so dass man sich von dort aus ermutigt sah, nach sieben Jahren wieder einen gemeinsamen ökumenischen Kirchentag zu veranstalten.“  
- Aber wieso ist das denn wichtig, dass eben auch beide Seiten zusammenkommen und eben eine solche Veranstaltung zusammen anbieten?

„Da kann man hinweisen auf die ökumenische Bewegung insgesamt. Wir feiern im Jahre 2010 das hundertjährige Bestehen der weltweiten ökumenischen Bewegung. Auftakt ist gemeinhin die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910. Von da aus hat sich die organisierte ökumenische Bewegung im 20. Jahrhundert ausgebreitet, an der die katholische Kirche zunächst nicht offiziell, aber durch einige Vorkonferenzen schon vor dem Zweiten Weltkrieg teilgenommen hat und diese ökumenische Bewegung vom Innersten her mitgeprägt hat, so dass das ökumenische Miteinander weltweit, aber auch vor allem in Deutschland, im Ursprungsland der Reformation, noch eine gute Tradition ist. Warum, müsste man jetzt noch einmal genauer sagen, beide Kirchen oder auch die meisten Christen, dazu gehören ja nicht nur evangelische und katholische, sondern auch Orthodoxe und Freikirchen, warum sie zusammenarbeiten, hängt damit zusammen, dass wir gemeinsam unser Christsein verstehen wollen, gemeinsam unser Christsein leben wollen. Und dazu brauchen wir auch gemeinsame Veranstaltungen, wo wir das einerseits erlernen können und gleichzeitig auch dokumentieren können.“ 
- Welche Impulse erwarten oder erhoffen Sie sich denn persönlich vom ökumenischen Kirchentag in München?

„Ja, zunächst einmal ist es eine große Begegnung. Begegnung bietet die Möglichkeit, sich zu treffen, einander zu begegnen, im Austausch, im Gespräch Probleme anzuschneiden. Das ist zunächst einmal eine wichtige Dimension eines Kirchentages. Die andere Dimension ist das gemeinsame Feiern. Ich denke, die Gottesdienste, die vielen Gebetsveranstaltungen, vor allen Dingen auch die Bibelveranstaltungen bieten immer Platz für solche gemeinsamen Aktionen für solches gemeinsames Lernen. Das denke ich ist eine wichtige, hat eine wichtige Funktion. Das Dritte ist, dass Christen auch gemeinsam die Probleme dieser Welt aufgreifen wollen. Dazu wäre ja auch die Überlegung, ob man nicht mal wieder darangehen könnte, das Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland wieder aufzunehmen, neu zu schreiben, neu zu formulieren, die neuen Probleme aufzunehmen; die große Finanzkrise. Ich denke, die Herausforderung, vor denen Christen in der Welt stehen, macht es erforderlich, dass wir auch gemeinsam die Probleme aufnehmen, diskutieren und Lösungsvorschläge anbieten.“ 
- Wo soll die Reise denn überhaupt hingehen? Was ist das Ziel der Ökumene?

„Also Ökumene heißt die Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche Jesu Christi. Sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi – das wissen wir alle – heißt nicht, es wird keine Einheitskirche geben, die in einem ganz bestimmten organisatorischen Verbund untereinander existieren wird, sondern wir haben gelernt, miteinander gemeinsam – sagen wir einmal – komplementär zu leben. Das ist das Gewinnen eines größeren Reichtums. Natürlich gibt es jetzt verschiedene spezifische Überlegungen: Also wie können wir die Gemeinschaft unter den Christen, die wir suchen, in denen die sichtbare Einheit zum Ausdruck kommt, wie können wir die gestalten? Nun gibt es auf der evangelischen Seite das Modell Leuenberg, Leuenberger Kirchengemeinschaft. Das ist ein spezifisch im evangelischen Bereich gewachsenes Modell, der Kanzel- und der Abendmahlsgemeinschaft, in der unter den reformatorischen Kirchen ein Mehr an Gemeinsamkeit, immer gemessen an der Zeit der Reformation selbst, des 16. Jahrhunderts, gewachsen ist und sich ausprägt. Nun ist die Überlegung, ob man darüber hinaus zwischen den reformatorischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche Gemeinschaftsformen finden kann. Ich denke, wir sind da auf einem Weg. Die Ökumene ist ein dynamischer Prozess. Wir teilen schon vieles miteinander. Wir können die Bibel gemeinsam lesen. Wir feiern gemeinsam Gottesdienste, wenn auch noch nicht am Tisch des Herrn. Wir legen die Bibel gemeinsam aus. Wir haben gemeinsame ökumenische Kommissionen mit theologischen, aber auch ethischen und sozialethischen Fragestellungen. Wir teilen die Taufe gemeinsam. Die gegenseitige Anerkennung der Taufe ist ein wichtiges Moment dieser ökumenischen Begegnung. Und vielleicht gelingt es uns, noch in dieser oder auch – dies kann man wahrscheinlich zeitlich nicht festlegen – auch, das Ziel, gemeinsam die Eucharistie zu feiern, dass das uns irgendwann einmal gelingt zu tun, wenn wir denn auch unsere eigenen ökumenischen Hausaufgaben gemacht haben, die dagegen stehenden Fragen aufgenommen und aufgearbeitet zu haben.“ 
- Was meinen Sie denn jetzt, wann könnte dieses Ziel erreicht sein?

„Das ist schwer zu sagen, und die Ökumene steht immer unter einem bestimmten Erwartungsdruck der Menschen. Ich denke, dass viele Menschen ein Recht haben, darauf eine Antwort zu verlangen. Ich denke hier an die vielen Ehen, Familien, die gemischt konfessionell leben und Kinder, die darin aufgewachsen sind. Das ist sicher eine Herausforderung für uns alle. Und da sitzt auch sozusagen der Stachel im Fleisch für die Kirchen und die Verantwortlichen, auch für die Ökumeniker nach Wegen zu suchen, unter denen eine größere Einheit möglich ist. Aber der Zeitdruck ist das eine. Das andere ist, wir dürfen uns auch nicht unter Druck setzen lassen. Denn eine Gemeinschaft muss wachsen. Wir haben 400 Jahre, 450 Jahre hinter uns, in denen wir mehr oder weniger getrennt waren, in denen wir einander abgeschottet gelebt haben. Das alles lässt sich nicht mit einem Federschritt beseitigen und jede Einigung, die nicht wirklich in die Tiefe geht, führt zu neuen Konflikten. Das müsste uns eigentlich eine Warnung sein.“ 
(Nicole Stroth, Erzbistum Freiburg 30.04.2010 kk)







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