In diesem Jahr feiert
die Ökumene-Bewegung ihr 100-jähriges Bestehen: 1910 wurden mit der Weltmissionskonferenz
von Edinburgh weltweit die ersten Schritte gemacht. Von da ab hat sich die organisierte
Ökumene ausgebreitet. Zu einer der größten Ökumene-Veranstaltung gehört in diesem
Jahr der Ökumenischen Kirchentag. In knapp zwei Wochen ist es soweit, dann beginnt
er in München. Wolfgang Thönissen, der leitende Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts
für Ökumenik in Paderborn, berät den Vatikan in ökumenischen Fragen. Der Professor
der Ökumenischen Theologie ist seit zwei Jahren so genannter Konsultor des Päpstlichen
Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom. Mit ihm hat Nicole Stroth ein
Interview vor dem Ökumenischen Kirchentag in München geführt und Professor Thönissen
gefragt, welchen Hafen die ökumenische Bewegung seiner Meinung nach ansteuert.
-
Warum brauchen wir überhaupt einen ökumenischen Kirchentag? Wieso ist das notwendig,
so eine Veranstaltung anzubieten?
„Zunächst geht ja der ökumenische Kirchentag
auf zwei eigenständige Bewegungen in beiden großen Kirchen in Deutschland zurück;
in der evangelischen Kirche auf die Tradition der Deutschen evangelischen Kirchentage,
die nach dem Zweiten Weltkrieg in der evangelischen Kirche neu als Idee aufgenommen
und umgesetzt wurden als große Laientreffen der evangelischen Kirche und auf die andere,
schon wesentlich länger aus dem 19. Jahrhundert stammende Laienbewegung in der katholischen
Kirche, organisiert vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Beides waren zunächst
eigenständige Veranstaltungen. Und nun, auch unter dem Ergebnis des ökumenischen Dialogs
und der guten ökumenischen Verhältnisse ist man vor zehn Jahren daran gegangen zu
überlegen, ob man nicht beide Treffen einmal in einem bestimmten Rhythmus zusammenlegen
sollte. Dahinter verbarg sich die Einsicht, dass jeweils an den evangelischen Kirchentagen
oder an den Katholikentagen immer eine große Zahl von Christen teilgenommen haben,
die jeweils der anderen Kirche angehören. Das war ein Thema. Und das andere ist: Es
gab bei beiden großen Kirchen- und Katholikentagen immer auch ökumenische Veranstaltungen
mit sehr gutem Erfolg. Und daraus ist dann der Gedanke gewachsen, einmal eine gemeinsame
Veranstaltung zu organisieren. Das ist 2003 geschehen. Und in Berlin war der Kirchentag
wirklich ein voller Erfolg gewesen, so dass man sich von dort aus ermutigt sah, nach
sieben Jahren wieder einen gemeinsamen ökumenischen Kirchentag zu veranstalten.“ -
Aber wieso ist das denn wichtig, dass eben auch beide Seiten zusammenkommen und eben
eine solche Veranstaltung zusammen anbieten?
„Da kann man hinweisen auf
die ökumenische Bewegung insgesamt. Wir feiern im Jahre 2010 das hundertjährige Bestehen
der weltweiten ökumenischen Bewegung. Auftakt ist gemeinhin die Weltmissionskonferenz
von Edinburgh 1910. Von da aus hat sich die organisierte ökumenische Bewegung im 20.
Jahrhundert ausgebreitet, an der die katholische Kirche zunächst nicht offiziell,
aber durch einige Vorkonferenzen schon vor dem Zweiten Weltkrieg teilgenommen hat
und diese ökumenische Bewegung vom Innersten her mitgeprägt hat, so dass das ökumenische
Miteinander weltweit, aber auch vor allem in Deutschland, im Ursprungsland der Reformation,
noch eine gute Tradition ist. Warum, müsste man jetzt noch einmal genauer sagen, beide
Kirchen oder auch die meisten Christen, dazu gehören ja nicht nur evangelische und
katholische, sondern auch Orthodoxe und Freikirchen, warum sie zusammenarbeiten, hängt
damit zusammen, dass wir gemeinsam unser Christsein verstehen wollen, gemeinsam unser
Christsein leben wollen. Und dazu brauchen wir auch gemeinsame Veranstaltungen, wo
wir das einerseits erlernen können und gleichzeitig auch dokumentieren können.“ -
Welche Impulse erwarten oder erhoffen Sie sich denn persönlich vom ökumenischen Kirchentag
in München?
„Ja, zunächst einmal ist es eine große Begegnung. Begegnung
bietet die Möglichkeit, sich zu treffen, einander zu begegnen, im Austausch, im Gespräch
Probleme anzuschneiden. Das ist zunächst einmal eine wichtige Dimension eines Kirchentages.
Die andere Dimension ist das gemeinsame Feiern. Ich denke, die Gottesdienste, die
vielen Gebetsveranstaltungen, vor allen Dingen auch die Bibelveranstaltungen bieten
immer Platz für solche gemeinsamen Aktionen für solches gemeinsames Lernen. Das denke
ich ist eine wichtige, hat eine wichtige Funktion. Das Dritte ist, dass Christen auch
gemeinsam die Probleme dieser Welt aufgreifen wollen. Dazu wäre ja auch die Überlegung,
ob man nicht mal wieder darangehen könnte, das Wort zur wirtschaftlichen und sozialen
Lage in Deutschland wieder aufzunehmen, neu zu schreiben, neu zu formulieren, die
neuen Probleme aufzunehmen; die große Finanzkrise. Ich denke, die Herausforderung,
vor denen Christen in der Welt stehen, macht es erforderlich, dass wir auch gemeinsam
die Probleme aufnehmen, diskutieren und Lösungsvorschläge anbieten.“ - Wo
soll die Reise denn überhaupt hingehen? Was ist das Ziel der Ökumene?
„Also
Ökumene heißt die Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche Jesu Christi. Sichtbare
Einheit der Kirche Jesu Christi – das wissen wir alle – heißt nicht, es wird keine
Einheitskirche geben, die in einem ganz bestimmten organisatorischen Verbund untereinander
existieren wird, sondern wir haben gelernt, miteinander gemeinsam – sagen wir einmal
– komplementär zu leben. Das ist das Gewinnen eines größeren Reichtums. Natürlich
gibt es jetzt verschiedene spezifische Überlegungen: Also wie können wir die Gemeinschaft
unter den Christen, die wir suchen, in denen die sichtbare Einheit zum Ausdruck kommt,
wie können wir die gestalten? Nun gibt es auf der evangelischen Seite das Modell Leuenberg,
Leuenberger Kirchengemeinschaft. Das ist ein spezifisch im evangelischen Bereich gewachsenes
Modell, der Kanzel- und der Abendmahlsgemeinschaft, in der unter den reformatorischen
Kirchen ein Mehr an Gemeinsamkeit, immer gemessen an der Zeit der Reformation selbst,
des 16. Jahrhunderts, gewachsen ist und sich ausprägt. Nun ist die Überlegung, ob
man darüber hinaus zwischen den reformatorischen Kirchen und der römisch-katholischen
Kirche Gemeinschaftsformen finden kann. Ich denke, wir sind da auf einem Weg. Die
Ökumene ist ein dynamischer Prozess. Wir teilen schon vieles miteinander. Wir können
die Bibel gemeinsam lesen. Wir feiern gemeinsam Gottesdienste, wenn auch noch nicht
am Tisch des Herrn. Wir legen die Bibel gemeinsam aus. Wir haben gemeinsame ökumenische
Kommissionen mit theologischen, aber auch ethischen und sozialethischen Fragestellungen.
Wir teilen die Taufe gemeinsam. Die gegenseitige Anerkennung der Taufe ist ein wichtiges
Moment dieser ökumenischen Begegnung. Und vielleicht gelingt es uns, noch in dieser
oder auch – dies kann man wahrscheinlich zeitlich nicht festlegen – auch, das Ziel,
gemeinsam die Eucharistie zu feiern, dass das uns irgendwann einmal gelingt zu tun,
wenn wir denn auch unsere eigenen ökumenischen Hausaufgaben gemacht haben, die dagegen
stehenden Fragen aufgenommen und aufgearbeitet zu haben.“ - Was meinen Sie
denn jetzt, wann könnte dieses Ziel erreicht sein?
„Das ist schwer zu sagen,
und die Ökumene steht immer unter einem bestimmten Erwartungsdruck der Menschen. Ich
denke, dass viele Menschen ein Recht haben, darauf eine Antwort zu verlangen. Ich
denke hier an die vielen Ehen, Familien, die gemischt konfessionell leben und Kinder,
die darin aufgewachsen sind. Das ist sicher eine Herausforderung für uns alle. Und
da sitzt auch sozusagen der Stachel im Fleisch für die Kirchen und die Verantwortlichen,
auch für die Ökumeniker nach Wegen zu suchen, unter denen eine größere Einheit möglich
ist. Aber der Zeitdruck ist das eine. Das andere ist, wir dürfen uns auch nicht unter
Druck setzen lassen. Denn eine Gemeinschaft muss wachsen. Wir haben 400 Jahre, 450
Jahre hinter uns, in denen wir mehr oder weniger getrennt waren, in denen wir einander
abgeschottet gelebt haben. Das alles lässt sich nicht mit einem Federschritt beseitigen
und jede Einigung, die nicht wirklich in die Tiefe geht, führt zu neuen Konflikten.
Das müsste uns eigentlich eine Warnung sein.“ (Nicole Stroth, Erzbistum Freiburg
30.04.2010 kk)