China und der Vatikan, das ist wie der Drache und die Mücke: zwei Partner, die nicht
so recht zusammenpassen. Seit Jahrzehnten bemüht sich der Vatikan darum, die Kontrolle
über die katholische Kirche in China zu behalten... und kann dabei nur Mücken-Erfolge
feiern: punktuell eben. Doch seit dem Amtsantritt von Benedikt XVI. scheint der Vatikan
eine flexiblere China-Politik zu haben. Eine Analyse von Stefan Kempis.
21.
April: Eine Nachricht aus der Provinz Jiangsu von der chinesischen Ostküste. In der
Kathedrale von Haimen wird ein neuer Bischof geweiht. Der Punkt ist: Shen Bin ist
auch vom Vatikan anerkannt, nicht nur vom Regime. Seit 2006 war der Bischofssitz vakant
gewesen, in den letzten zwei Jahren war es überhaupt zu keinen neuen Bischofsernennungen
mehr gekommen. Ist die Nachricht aus Haimen also ein Durchbruch? Irgendwie schon:
Nur vier Tage zuvor konnte schließlich auch in Hohhot ein vom Vatikan bestätigter
Bischof sein Amt antreten. Und irgendwie auch wieder nicht - bei der Weihe in Haimen
waren nämlich vier Mitbrüder im Bischofsamt dabei – und einer davon, der Oberhirte
von Xuzhou, ist im November 2006 ohne päpstliche Genehmigung in sein Amt gekommen...
Und eine ähnliche Situation hatte sich auch vier Tage zuvor bei der Weihe in Hohhot
ergeben.
Der Tanz des Drachen und der Mücke – seit Jahrzehnten geht
das so. Einen Schritt vor, einen zurück, zwei zur Seite... Stich. Ob sich das Verhältnis
China-Vatikan nun gerade bessert oder nicht, ist schwer zu beurteilen, die Nachrichten
aus dem Riesenreich sind einfach zu unterschiedlich. Mit einem Brief an Chinas Katholiken
hat Papst Benedikt im Juni 2007 seine Rechte auch mit Blick auf Chinas Kirche bekräftigt;
seit 2007 tritt im Vatikan immer wieder eine eigene China-Kommission zusammen. Sie
appellierte bei ihrer letzten Tagung vor einem Monat an Chinas Katholiken, auf alle
Äußerungen und Gesten zu verzichten, die ihre Gemeinschaft untereinander gefährden
könnten.
Der Polit-Profi Otto von Habsburg bewundert, mit welcher
Geduld sich China und Vatikan nach einer langen Zeit von Verfolgungen und Untergrundkirche
jetzt auf dieses diplomatische Spiel eingelassen haben. „Schritt für Schritt wird
ganz vorsichtig eine zweiseitig diplomatische Annäherung durchgeführt“; vor allem
die „Atmosphäre“ habe sich schon geändert, so der langjährige Europa-Abgeordnete.
Überraschend ist, dass Habsburg die Position der Kirche für stärker hält als die von
Peking: Das will er daran ablesen, dass Peking derzeit „die größeren Konzessionen
macht“. Das Regime sei sich „immer mehr darüber im klaren, dass es die religiöse Unterstützung
braucht, schon wegen der Atmosphäre in seiner Bevölkerung“. Der Wunsch nach „Wiederfinden
der verschiedenen Teile der christlichen Kirchen“ sei „immer mehr fühlbar“.
Nicht
nur das Regime in Peking, auch der Vatikan hat ein Interesse daran, dass die so genannte
Untergrundkirche und die regimenahe „Patriotische Vereinigung“ sich nicht so weit
auseinanderentwickeln, dass eine einheitliche katholische Kirche in China dadurch
für immer unmöglich wird. Der Fall von Bischof An Shuxin in der Unruheprovinz Hebei
ist ein gutes Beispiel für dieses Bemühen um Einigkeit.
*
Wir
schreiben das Jahr 2006, also noch vor dem Papstbrief nach China: Ein Bischof taucht
aus dem Untergrund auf. Francis An Shuxin ist ohne das Plazet der regimetreuen „Patriotischen
Vereinigung“ heimlich zum Bischof geweiht worden, der mittlerweile verstorbene Papst
Johannes Paul hatte ihn zum Koadjutor des Bistums Baoding in Hebei gemacht. Zehn Jahre
hat An in Haft und Isolation verbracht; dass er jetzt auftaucht, ist überraschend.
Und für viele Katholiken, die dem Papst treu sind, auch sehr bitter, denn zu ihrem
Entsetzen ist An bereit, mit der „Patriotischen Vereinigung“ zusammenzuarbeiten. Viele
im Bistum wenden sich gegen ihn, wollen ihn nicht als legitimen Bischof anerkennen.
Allerdings: Der eigentliche Bischof von Baoding, der papsttreue Jacob Su Zhimin, kann
nicht einschreiten - er ist seit 1996 „verschwunden“.
Herbst 2009:
Der Konflikt im Bistum bekommt neuen Schub, als Ans Gegner erfahren, dass der Bischof
einen Posten bei der „Patriotischen Vereinigung“ angenommen hat. „Verräter“ nennen
ihn jetzt viele Priester der so genannten Untergrundkirche; über bestimmte Kanäle
wenden sie sich auch an Rom. Im November schreibt aber auch An selber an den Papst
und bittet um konkrete Handlungsanweisungen. Relativ schnell kommt Antwort: Mit dem
Datum vom 10. Februar 2010 schickt Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone einen Brief
an Bischof An, und in Italien veröffentlicht die vatikannahe Zeitschrift „30 Tage“
das Schreiben, das einen bemerkenswerten Ton anschlägt. Hier sind Auszüge:
„Lieber
Bruder Bischof, der Heilige Vater läßt Ihnen das Folgende mitteilen. Erstens: Er ist
Ihnen, dem Diözesanbischof Su und dem ganzen Bistum geistlich nahe und verfolgt das
Leben der Kirche in China mit großer Aufmerksamkeit. Zweitens: Er schickt an Bischof
Su, der so viele Jahre an der Ausübung seines Bischofsamtes gehindert wurde, seinen
besonderen Segen. Drittens: Sie haben einmal mit Bischof Su Changshan konzelebriert,
der nicht in voller Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater steht. Aber wie uns jetzt
ist, wußten Sie in diesem Moment, dass dieser Bischof sich dringend um die Gemeinschaft
mit Rom bemühte. Dieser Fall kann also als abgeschlossen gelten. Viertens: Der Heilige
Stuhl weiß, dass Ihr Amt in der Patriotischen Vereinigung bei vielen chinesischen
Katholiken Fragen aufwirft, die heikel und komplex sind. In Ihrer speziellen Situation
hätte man eine solche Lage vermeiden sollen! Allerdings scheint es jetzt doch besser,
dass Sie nicht von sich aus auf diese Möglichkeit wieder verzichten, in offizieller
Form zu handeln. Ihre Arbeit gilt dabei den offiziellen wie den heimlichen Priestern.
Der Heilige Stuhl wird die Lage weiter beobachten. Fünftens: Wir rechnen mit dem Gehorsam
des ganzen Klerus von Baoding Ihnen gegenüber, solange die Abwesenheit von Bischof
Su Zhimin anhält. Wir verstehen, dass das von allen Betreffenden Opfer verlangt, aber
die Einheit der Priester mit dem Bischof ist wichtig. In Christus – Ihr Kardinal Tarcisio
Bertone.“
Dieser eigentlich vertrauliche Brief macht deutlich, wie
pragmatisch der Vatikan intern auf komplexe Gemengelagen in Chinas Kirche reagiert.
Bischof An wird ohne Umschweife dafür getadelt, dass er sich auf ein Amt in der „Patriotischen
Vereinigung“ eingelassen hat; seinen scharfen Kritikern im Bistum wird nicht einmal
eine Rüge erteilt. Gleichzeitig macht der Papst über seinen Kardinalstaatssekretär
aber auch ganz klar, dass es nicht zu einem Bruch kommen darf: Alle Priester sollen
sich um An scharen, und dieser wiederum soll sich um alle Katholiken im Bistum kümmern,
ob „offizielle“ oder „heimliche“. In keinem offiziellen Text würde übrigens der Vatikan
so direkt von Katholiken im Untergrund, von „clandestini“ sprechen.
*
„Es
ist geschrieben worden, dass diese Lösung zwischen der Untergrundkirche und der sichtbaren
Kirche sehr bald zu einem Bruch im chinesischen Katholizismus führen wird“, so der
Beobachter von Habsburg. „An Ort und Stelle wird man aber viel mehr erkennen, dass
dies nicht der Fall sein wird, sondern dass die so genannte patriotische Kirche Lösungen
finden wird, durch die es möglich ist, die volle Wiedervereinigung herbeizuführen,
Schritt für Schritt, wie es einmal von den Chinesen, aber auch von Rom geplant worden
ist.“ Der Tanz von Drache und Mücke geht weiter...
Eine Art Testlauf für bessere
Beziehungen zwischen Vatikan und China könnte das sein, was der Heilige Stuhl derzeit
mit dem Regime in Vietnam versucht. Auch hier fehlt es zwar nicht an Schwierigkeiten,
etwa an (sogar gewaltsamen) Auseinandersetzungen um enteignete Kirchengebäude. Und
auch hier bestehen keine diplomatischen Beziehungen. Dennoch hat Papst Benedikt schon
den Präsidenten und den Regierungschef Vietnams in Rom empfangen; man weiß, dass er
im letzten Sommer auch die Bereitschaft signalisierte, den chinesischen Präsidenten
zu treffen, als dieser zum G-8-Gipfel in Italien war - eine Geste, die in Peking gut
angekommen sein soll. Und selbst von einem möglichen Papstbesuch in Vietnam ist die
Rede.
Hebelpunkt dafür und für eine Aufnahme diplomatischer Bemühungen könnte
der nächste Erzbischof von Hanoi sein: Bischof Peter Nguyen Van Nhon wurde vor ein
paar Tagen von Beendikt XVI. zum Koadjutor für das Hauptstadt-Bistum ernannt. Nach
Angaben der Nachrichtenagentur asianews gibt es gegen diese Entscheidung starke Vorbehalte
bei vielen Katholiken in Vietnam, die ihrem Ärger etwa im Internet Luft machen. Schließlich
erfülle Rom hier einen Wunsch des Regimes, das schon lange versucht hat, den jetzigen
Erzbischof Joseph Ngo Quang Kiet loszuwerden. Außerdem sei es doch seltsam, dass Rom
einen Koadjutor ernenne, der älter sei als der, an dessen Stelle er treten soll. Natürlich
sei der jetzige Erzbischof Kiet krank, sagt der vietnamesische Kapuzinerpater Pascal
Nguyen Ngoc Tinh – „aber woher rührt diese Krankheit?“ Kiet wirke manchmal von der
Bischofskonferenz (die sein künftiger Nachfolger in Hanoi leitet) im Stich gelassen,
etwa wenn er dem Regime wie im September 2008 den Satz entgegenschleudere: „Religionsfreiheit
ist ein Recht, nicht eine Gnade, die man gewähren oder wieder entziehen könnte!“ Seine
unnachgiebige Haltung in den Streitigkeiten um früheres Kircheneigentum hat Kiet eine
heftige Medienkampagne und Drohungen eingehandelt. Doch die Benennung seines Nachfolgers
hat der Erzbischof in mehreren Statements unmißverständlich begrüßt: Auch Kiet weiß,
dass dem Vatikan vor allem an der Einheit der Ortskirche gelegen ist – und an einem
gewissen Pragmatismus im Umgang mit den Machthabern.
Von dieser Sorge um die
Einheit und diesem Pragmatismus legt der Vatikan deutlich Zeugnis ab, in seiner Politik
gegenüber Vietnam wie gegenüber China.