2010-04-27 15:21:10

China: Der Drache und die Mücke


China und der Vatikan, das ist wie der Drache und die Mücke: zwei Partner, die nicht so recht zusammenpassen. Seit Jahrzehnten bemüht sich der Vatikan darum, die Kontrolle über die katholische Kirche in China zu behalten... und kann dabei nur Mücken-Erfolge feiern: punktuell eben. Doch seit dem Amtsantritt von Benedikt XVI. scheint der Vatikan eine flexiblere China-Politik zu haben. Eine Analyse von Stefan Kempis.



21. April: Eine Nachricht aus der Provinz Jiangsu von der chinesischen Ostküste. In der Kathedrale von Haimen wird ein neuer Bischof geweiht. Der Punkt ist: Shen Bin ist auch vom Vatikan anerkannt, nicht nur vom Regime. Seit 2006 war der Bischofssitz vakant gewesen, in den letzten zwei Jahren war es überhaupt zu keinen neuen Bischofsernennungen mehr gekommen. Ist die Nachricht aus Haimen also ein Durchbruch? Irgendwie schon: Nur vier Tage zuvor konnte schließlich auch in Hohhot ein vom Vatikan bestätigter Bischof sein Amt antreten. Und irgendwie auch wieder nicht - bei der Weihe in Haimen waren nämlich vier Mitbrüder im Bischofsamt dabei – und einer davon, der Oberhirte von Xuzhou, ist im November 2006 ohne päpstliche Genehmigung in sein Amt gekommen... Und eine ähnliche Situation hatte sich auch vier Tage zuvor bei der Weihe in Hohhot ergeben.



Der Tanz des Drachen und der Mücke – seit Jahrzehnten geht das so. Einen Schritt vor, einen zurück, zwei zur Seite... Stich. Ob sich das Verhältnis China-Vatikan nun gerade bessert oder nicht, ist schwer zu beurteilen, die Nachrichten aus dem Riesenreich sind einfach zu unterschiedlich. Mit einem Brief an Chinas Katholiken hat Papst Benedikt im Juni 2007 seine Rechte auch mit Blick auf Chinas Kirche bekräftigt; seit 2007 tritt im Vatikan immer wieder eine eigene China-Kommission zusammen. Sie appellierte bei ihrer letzten Tagung vor einem Monat an Chinas Katholiken, auf alle Äußerungen und Gesten zu verzichten, die ihre Gemeinschaft untereinander gefährden könnten.



Der Polit-Profi Otto von Habsburg bewundert, mit welcher Geduld sich China und Vatikan nach einer langen Zeit von Verfolgungen und Untergrundkirche jetzt auf dieses diplomatische Spiel eingelassen haben. „Schritt für Schritt wird ganz vorsichtig eine zweiseitig diplomatische Annäherung durchgeführt“; vor allem die „Atmosphäre“ habe sich schon geändert, so der langjährige Europa-Abgeordnete. Überraschend ist, dass Habsburg die Position der Kirche für stärker hält als die von Peking: Das will er daran ablesen, dass Peking derzeit „die größeren Konzessionen macht“. Das Regime sei sich „immer mehr darüber im klaren, dass es die religiöse Unterstützung braucht, schon wegen der Atmosphäre in seiner Bevölkerung“. Der Wunsch nach „Wiederfinden der verschiedenen Teile der christlichen Kirchen“ sei „immer mehr fühlbar“.



Nicht nur das Regime in Peking, auch der Vatikan hat ein Interesse daran, dass die so genannte Untergrundkirche und die regimenahe „Patriotische Vereinigung“ sich nicht so weit auseinanderentwickeln, dass eine einheitliche katholische Kirche in China dadurch für immer unmöglich wird. Der Fall von Bischof An Shuxin in der Unruheprovinz Hebei ist ein gutes Beispiel für dieses Bemühen um Einigkeit.



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Wir schreiben das Jahr 2006, also noch vor dem Papstbrief nach China: Ein Bischof taucht aus dem Untergrund auf. Francis An Shuxin ist ohne das Plazet der regimetreuen „Patriotischen Vereinigung“ heimlich zum Bischof geweiht worden, der mittlerweile verstorbene Papst Johannes Paul hatte ihn zum Koadjutor des Bistums Baoding in Hebei gemacht. Zehn Jahre hat An in Haft und Isolation verbracht; dass er jetzt auftaucht, ist überraschend. Und für viele Katholiken, die dem Papst treu sind, auch sehr bitter, denn zu ihrem Entsetzen ist An bereit, mit der „Patriotischen Vereinigung“ zusammenzuarbeiten. Viele im Bistum wenden sich gegen ihn, wollen ihn nicht als legitimen Bischof anerkennen. Allerdings: Der eigentliche Bischof von Baoding, der papsttreue Jacob Su Zhimin, kann nicht einschreiten - er ist seit 1996 „verschwunden“.



Herbst 2009: Der Konflikt im Bistum bekommt neuen Schub, als Ans Gegner erfahren, dass der Bischof einen Posten bei der „Patriotischen Vereinigung“ angenommen hat. „Verräter“ nennen ihn jetzt viele Priester der so genannten Untergrundkirche; über bestimmte Kanäle wenden sie sich auch an Rom. Im November schreibt aber auch An selber an den Papst und bittet um konkrete Handlungsanweisungen. Relativ schnell kommt Antwort: Mit dem Datum vom 10. Februar 2010 schickt Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone einen Brief an Bischof An, und in Italien veröffentlicht die vatikannahe Zeitschrift „30 Tage“ das Schreiben, das einen bemerkenswerten Ton anschlägt. Hier sind Auszüge:



„Lieber Bruder Bischof, der Heilige Vater läßt Ihnen das Folgende mitteilen. Erstens: Er ist Ihnen, dem Diözesanbischof Su und dem ganzen Bistum geistlich nahe und verfolgt das Leben der Kirche in China mit großer Aufmerksamkeit. Zweitens: Er schickt an Bischof Su, der so viele Jahre an der Ausübung seines Bischofsamtes gehindert wurde, seinen besonderen Segen. Drittens: Sie haben einmal mit Bischof Su Changshan konzelebriert, der nicht in voller Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater steht. Aber wie uns jetzt ist, wußten Sie in diesem Moment, dass dieser Bischof sich dringend um die Gemeinschaft mit Rom bemühte. Dieser Fall kann also als abgeschlossen gelten. Viertens: Der Heilige Stuhl weiß, dass Ihr Amt in der Patriotischen Vereinigung bei vielen chinesischen Katholiken Fragen aufwirft, die heikel und komplex sind. In Ihrer speziellen Situation hätte man eine solche Lage vermeiden sollen! Allerdings scheint es jetzt doch besser, dass Sie nicht von sich aus auf diese Möglichkeit wieder verzichten, in offizieller Form zu handeln. Ihre Arbeit gilt dabei den offiziellen wie den heimlichen Priestern. Der Heilige Stuhl wird die Lage weiter beobachten. Fünftens: Wir rechnen mit dem Gehorsam des ganzen Klerus von Baoding Ihnen gegenüber, solange die Abwesenheit von Bischof Su Zhimin anhält. Wir verstehen, dass das von allen Betreffenden Opfer verlangt, aber die Einheit der Priester mit dem Bischof ist wichtig. In Christus – Ihr Kardinal Tarcisio Bertone.“



Dieser eigentlich vertrauliche Brief macht deutlich, wie pragmatisch der Vatikan intern auf komplexe Gemengelagen in Chinas Kirche reagiert. Bischof An wird ohne Umschweife dafür getadelt, dass er sich auf ein Amt in der „Patriotischen Vereinigung“ eingelassen hat; seinen scharfen Kritikern im Bistum wird nicht einmal eine Rüge erteilt. Gleichzeitig macht der Papst über seinen Kardinalstaatssekretär aber auch ganz klar, dass es nicht zu einem Bruch kommen darf: Alle Priester sollen sich um An scharen, und dieser wiederum soll sich um alle Katholiken im Bistum kümmern, ob „offizielle“ oder „heimliche“. In keinem offiziellen Text würde übrigens der Vatikan so direkt von Katholiken im Untergrund, von „clandestini“ sprechen.

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„Es ist geschrieben worden, dass diese Lösung zwischen der Untergrundkirche und der sichtbaren Kirche sehr bald zu einem Bruch im chinesischen Katholizismus führen wird“, so der Beobachter von Habsburg. „An Ort und Stelle wird man aber viel mehr erkennen, dass dies nicht der Fall sein wird, sondern dass die so genannte patriotische Kirche Lösungen finden wird, durch die es möglich ist, die volle Wiedervereinigung herbeizuführen, Schritt für Schritt, wie es einmal von den Chinesen, aber auch von Rom geplant worden ist.“ Der Tanz von Drache und Mücke geht weiter...

Eine Art Testlauf für bessere Beziehungen zwischen Vatikan und China könnte das sein, was der Heilige Stuhl derzeit mit dem Regime in Vietnam versucht. Auch hier fehlt es zwar nicht an Schwierigkeiten, etwa an (sogar gewaltsamen) Auseinandersetzungen um enteignete Kirchengebäude. Und auch hier bestehen keine diplomatischen Beziehungen. Dennoch hat Papst Benedikt schon den Präsidenten und den Regierungschef Vietnams in Rom empfangen; man weiß, dass er im letzten Sommer auch die Bereitschaft signalisierte, den chinesischen Präsidenten zu treffen, als dieser zum G-8-Gipfel in Italien war - eine Geste, die in Peking gut angekommen sein soll. Und selbst von einem möglichen Papstbesuch in Vietnam ist die Rede.

Hebelpunkt dafür und für eine Aufnahme diplomatischer Bemühungen könnte der nächste Erzbischof von Hanoi sein: Bischof Peter Nguyen Van Nhon wurde vor ein paar Tagen von Beendikt XVI. zum Koadjutor für das Hauptstadt-Bistum ernannt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur asianews gibt es gegen diese Entscheidung starke Vorbehalte bei vielen Katholiken in Vietnam, die ihrem Ärger etwa im Internet Luft machen. Schließlich erfülle Rom hier einen Wunsch des Regimes, das schon lange versucht hat, den jetzigen Erzbischof Joseph Ngo Quang Kiet loszuwerden. Außerdem sei es doch seltsam, dass Rom einen Koadjutor ernenne, der älter sei als der, an dessen Stelle er treten soll. Natürlich sei der jetzige Erzbischof Kiet krank, sagt der vietnamesische Kapuzinerpater Pascal Nguyen Ngoc Tinh – „aber woher rührt diese Krankheit?“ Kiet wirke manchmal von der Bischofskonferenz (die sein künftiger Nachfolger in Hanoi leitet) im Stich gelassen, etwa wenn er dem Regime wie im September 2008 den Satz entgegenschleudere: „Religionsfreiheit ist ein Recht, nicht eine Gnade, die man gewähren oder wieder entziehen könnte!“ Seine unnachgiebige Haltung in den Streitigkeiten um früheres Kircheneigentum hat Kiet eine heftige Medienkampagne und Drohungen eingehandelt. Doch die Benennung seines Nachfolgers hat der Erzbischof in mehreren Statements unmißverständlich begrüßt: Auch Kiet weiß, dass dem Vatikan vor allem an der Einheit der Ortskirche gelegen ist – und an einem gewissen Pragmatismus im Umgang mit den Machthabern.

Von dieser Sorge um die Einheit und diesem Pragmatismus legt der Vatikan deutlich Zeugnis ab, in seiner Politik gegenüber Vietnam wie gegenüber China.

(rv 27.04.2010 sk)








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