Der Regensburger Dogmatiker und Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert sieht die katholische
Kirche in einer Krise ähnlich jener zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert. Die
Krise sei sicherlich nicht von Benedikt XVI. gemacht, deshalb könne er sie auch nicht
allein beheben, sagte Beinert am Montag im Bayerischen Rundfunk. Aber der Papst habe
die letzte Verantwortung dafür. Viele Dinge seien im Vatikan so gelaufen, dass sie
zur Krise beigetragen hätten. Dies habe Benedikt XVI. selbst eingeräumt. Als „kirchengeschichtliche
Revolution“ bezeichnete es der Theologe, wenn nun neue päpstliche Richtlinien vorsähen,
dass Fälle von Kindsmissbrauch durch einen Priester an den Staatsanwalt gegeben werden
sollen. Damit sei die These von der Kirche als vollkommene, in sich geschlossene Gesellschaft,
die mit allem allein fertig werden könne, durchbrochen. Zugleich bedauerte Beinert,
dass die Mehrzahl der Gläubigen mittlerweile in einer merkwürdigen Gleichgültigkeit
gegenüber der Kirche verharre. Er halte es auch für gefährlich, wenn als Losung ausgegeben
werde: „Was die da oben machen, interessiert uns überhaupt nicht.“ Die Leute lebten
ihren Glauben dann so, wie sie es für richtig hielten. „Das ist im Grunde etwas, was
gar nicht katholisch ist, aber was für viele Christen die einzige Möglichkeit ist
zu überleben, wenn sie nicht austreten wollen.“ – Die Amtszeit Benedikt XVI. betrachtet
Beinert als eine Art Scharnierfunktion. Die Kardinäle hätten Joseph Ratzinger zum
Nachfolger von Johannes Paul II. vor fünf Jahren gewählt, um die Kontinuität zu wahren.
Diese Linie der Tradition habe Benedikt XVI. versucht. Nun sei aber zu sehen, dass
sie scheitere. Etwas Altes sei endgültig zu Ende gekommen, jetzt aber öffneten sich
neue Wege. Aber es werde dem Papst schon aufgrund der biologischen Verhältnisse so
gehen wie Mose, meinte der Theologe: „Er sieht das gelobte Land vielleicht, aber er
wird es nicht mehr betreten können.“