2010-04-15 10:33:12

D: Ein Großstadtkloster in Berlin


Ortstermin Prenzlauer Berg: Mitten im Szeneviertel Berlins ein geistlich erfülltes Leben führen? Zwischen Haupststadt-Chic, Intelligenzija und Arbeitslosigkeit ein ständiges Angebot zu Gebet und Gemeindeleben bieten? Eine Schweizer Kommunität nimmt sich seit zwei Jahren dieser Aufgaben an.



Kaum zu übersehen ist der Kirchturm des Stadtklosters Segen schon wenn man aus der U-Bahn-Station auf die Schönhauser Allee tritt, den Funkturm am Alexanderplatz im Rücken, zur Rechten den Eingang zum jüdischen Friedhof. Doch sucht man vergeblich auf der stark befahrenen Straße nach einem Platz, auf dessen Mitte sich das Kirchenschiff ausbreitet. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkt man, dass sich das Gotteshaus architektonisch den bereits bestehenden Strukturen der Häuserfront angepasst hat: Das Gemeindehaus im Stil der Gründerzeit gliedert sich nahtlos ein in die dichte Bebauung der Allee – wäre nicht der Turm, man würde glatt am Stadtkloster Segen vorbeigehen. Erst durch einen Torbogen gelangt man zum eigentlichen Sakralbau. Hier empfängt mich Georg Schubert, der mit seiner eigenen Familie, einer weiteren und einigen Mitarbeitern im Stadtkloster lebt, und erklärt mir die Besonderheit des Kirchenschiffs im Hinterhof:



Das Gebäude ist 100 Jahre alt und wurde 1908 eingeweiht als eine Tochterkirche von Zion, das ist eine Gemeinde Richtung Stadtmitte, weil es einfach zu viele Leute hier gab. Das ganze Viertel wurde 1880-1920 etwa hochgezogen und es lebten einfach sehr viele Menschen hier. Dann hat man hier eine neue evangelische Gemeinde gegründet mit drei Pfarren.



Vom Zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt, wurde das Gebäude zu DDR-Zeiten nicht verändert. Nach der Wende kam jedoch die Frage auf, wie die leere Kirche zu neuem Leben finden könne. Schließlich entschied sich die Gemeinde, hier einen Ort zu schaffen, an dem Menschen leben, beten und arbeiten unter dem Stichwort Spiritualität. Ein Modewort, meint Georg Schubert, und man fragte sich:



Was steckt dahinter? Wie schafft man praktisches, geistliches Leben im Alltag? Dann hat sich der Pfarrer, der zu dieser Kirche gehört, auf den Weg gemacht und eine Kommunität gesucht, die hier mitmachen würde, weil sie als Gemeinde sich gesagt haben, dass das für sie zu schwierig ist, aus dem Nichts etwas zu schaffen.



Der Weg führte den Geistlichen durch Deutschland bis in die Schweiz, wo er auf die Kommunität Don Camillo traf. Ein ungewöhnlicher Name für eine Kommunität, wundere ich mich. Georg Schubert schmunzelt und erklärt:



Wir haben vor etwa 30 Jahren mit dieser Lebensgemeinschaft angefangen und haben Don Camillo als Namen gewählt, weil uns die Bücher von Guareschi und die Filme mit Fernandel fasziniert haben, weil Don Camillo zwei Dinge zusammenbringt, die spannend sind: Das Eine ist diese relativ einfache Beziehung zu Jesus – die wir natürlich so nicht haben, ich nehme nicht an, dass jemand noch mit dem Holzkreuz spricht. Aber die Sehnsucht nach Antwort oder Weisung, die ist mir vertraut, das Andere, die große Liebe zur Gemeinde und immer wieder der Versuch, auch Wege zu finden für die Menschen, mit Peppone zusammen.



Diese Haltung hat sich die Kommunität mit Hauptsitz in Montmirail in der französischsprachigen Schweiz als Weisung genommen. Heute wirken etwa 12 protestantische Familien und einige Alleinstehende mit den unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen mit, die sich für die diversen Aufgaben im Gemeindeleben haben weiterbilden lassen. Ihren Alltag verbinden die Mitglieder der Kommunität mit der Suche nach Gestaltungsmöglichkeiten für ein nicht bloß gläubiges, sondern glaubwürdiges Leben als Christ. Mit seiner Anfrage, das Stadtkloster Segen zu übernehmen, rannte der von ihrer Ausrichtung begeisterte Berliner Pfarrer bei der Kommunität offene Türen ein. Denn schon lange suchte man hier nach einer geeigneten Großstadt, in der eine Dependance gegründet werden konnte. Dass die Lage der Kirche mitten in Ostberlin, wo immer noch kommunistische Lüftchen wehen, und gegenüber des jüdischen Friedhofs so spannend ist, wurde den Schweizer Familien allerdings erst klar, als sie ihr neues Zuhause bereits bezogen hatten. Große Sanierungs- und Umbauarbeiten stehen auch fast drei Jahre später noch an. Derzeit werden die Wohnungen, die nicht von den Familien bewohnt werden, zu Gästezimmern umgestaltet, um die finanzielle Unabhängigkeit von der evangelischen Kirche zu festigen. Aus Platzmangel wird bisweilen der Kirchenraum selbst zur Werkstatt umfunktioniert. Schließlich war Jesus selbst auch Zimmermann, kommentiert Georg Schubert mit einem Augenzwinkern. Doch sei dies natürlich nicht die Hauptaufgabe der Kommunität:



Wir haben sehr früh angefangen mit den Stundengebeten, morgens, mittags und zweimal am Abend, nicht im Sinne dessen, dass man etwas macht, wo man erwartet, dass viele Leute dazu kommen. Ich glaube, dass ist nicht das Charakteristikum von dieser Art Gebet. Ein Benediktiner, der uns Psalmen Singen gelehrt hat, hat zu uns gesagt: Ihr betet für all die Menschen, die nicht mehr beten können oder beten wollen. Es braucht dieses stellvertretende Gotteslob. Und das machen wir hier zunächst.



Dies fängt im gemeinsamen Familienleben an und erstreckt sich bis in Seminare für Gemeindemitglieder und andere interessierte Berliner. Georg Schubert fasst das Angebot der Kommunität so zusammen:



Wir möchten hier gern einen Ort haben, an dem Menschen verlässlich präsent sind, wo deutlich wird: Hier kann man hinkommen, hier findet man ein offenes Ohr, hier kann man einen Moment innehalten. Das ist das Eine, was wir hier machen möchten. Das Andere, was wir dann nach außen tragen sind Überlegungen dazu, wie lebt man als Christ in einer Stadt.



Leider sei die evangelische wie die katholische Kirche noch zu sehr in dörflichen Bildern von Gemeindearbeit verhaftet, in eine Großstadt passe dies aber schlecht, sagt Georg Schubert.



Hier leben sehr viele hochmobile Menschen, die mal da sind, mal da. Es gibt jeden Tag weit über tausend Angebote in dieser Stadt, die man wahrnehmen kann. Und in dem Umfeld muss sich Kirche bewegen. Und mir ist zum Beispiel ein Anliegen, Formen des Betens zu entwickeln, die es einem möglich machen, zur Ruhe zu kommen, auch wenn man in der U-Bahn sitzt, oder wenn man unterwegs ist. Beim Warten auf dem Amt, beim Anstehen, man wartet so viel in unseren vollen Tagen. Und da kleine Hilfen geben, wie man das nutzen kann, das ist unser Interesse.



Und diese Hilfestellung wird gerne angenommen. Zur Mittagsstunde läuten die Glocken des Stadtklosters Segen, gut ein Dutzend Gemeindemitglieder lässt die Arbeit für einige Minuten liegen und versammelt sich zum Gebet, bei dem vor allem Psalmen gesungen werden. Diesen werde man nicht so schnell überdrüssig, meint Georg Schubert und beginnt den Psalmengesang.



(rv 15.04.2010 cl)








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