Ortstermin Prenzlauer Berg: Mitten im Szeneviertel Berlins ein geistlich erfülltes
Leben führen? Zwischen Haupststadt-Chic, Intelligenzija und Arbeitslosigkeit ein ständiges
Angebot zu Gebet und Gemeindeleben bieten? Eine Schweizer Kommunität nimmt sich seit
zwei Jahren dieser Aufgaben an.
Kaum zu übersehen ist der Kirchturm
des Stadtklosters Segen schon wenn man aus der U-Bahn-Station auf die Schönhauser
Allee tritt, den Funkturm am Alexanderplatz im Rücken, zur Rechten den Eingang zum
jüdischen Friedhof. Doch sucht man vergeblich auf der stark befahrenen Straße nach
einem Platz, auf dessen Mitte sich das Kirchenschiff ausbreitet. Erst bei genauerem
Hinsehen bemerkt man, dass sich das Gotteshaus architektonisch den bereits bestehenden
Strukturen der Häuserfront angepasst hat: Das Gemeindehaus im Stil der Gründerzeit
gliedert sich nahtlos ein in die dichte Bebauung der Allee – wäre nicht der Turm,
man würde glatt am Stadtkloster Segen vorbeigehen. Erst durch einen Torbogen gelangt
man zum eigentlichen Sakralbau. Hier empfängt mich Georg Schubert, der mit seiner
eigenen Familie, einer weiteren und einigen Mitarbeitern im Stadtkloster lebt, und
erklärt mir die Besonderheit des Kirchenschiffs im Hinterhof:
Das Gebäude
ist 100 Jahre alt und wurde 1908 eingeweiht als eine Tochterkirche von Zion, das ist
eine Gemeinde Richtung Stadtmitte, weil es einfach zu viele Leute hier gab. Das ganze
Viertel wurde 1880-1920 etwa hochgezogen und es lebten einfach sehr viele Menschen
hier. Dann hat man hier eine neue evangelische Gemeinde gegründet mit drei Pfarren.
Vom Zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt, wurde das Gebäude zu DDR-Zeiten
nicht verändert. Nach der Wende kam jedoch die Frage auf, wie die leere Kirche zu
neuem Leben finden könne. Schließlich entschied sich die Gemeinde, hier einen Ort
zu schaffen, an dem Menschen leben, beten und arbeiten unter dem Stichwort Spiritualität.
Ein Modewort, meint Georg Schubert, und man fragte sich:
Was steckt
dahinter? Wie schafft man praktisches, geistliches Leben im Alltag? Dann hat sich
der Pfarrer, der zu dieser Kirche gehört, auf den Weg gemacht und eine Kommunität
gesucht, die hier mitmachen würde, weil sie als Gemeinde sich gesagt haben, dass das
für sie zu schwierig ist, aus dem Nichts etwas zu schaffen.
Der Weg
führte den Geistlichen durch Deutschland bis in die Schweiz, wo er auf die Kommunität
Don Camillo traf. Ein ungewöhnlicher Name für eine Kommunität, wundere ich mich. Georg
Schubert schmunzelt und erklärt:
Wir haben vor etwa 30 Jahren mit dieser
Lebensgemeinschaft angefangen und haben Don Camillo als Namen gewählt, weil uns die
Bücher von Guareschi und die Filme mit Fernandel fasziniert haben, weil Don Camillo
zwei Dinge zusammenbringt, die spannend sind: Das Eine ist diese relativ einfache
Beziehung zu Jesus – die wir natürlich so nicht haben, ich nehme nicht an, dass jemand
noch mit dem Holzkreuz spricht. Aber die Sehnsucht nach Antwort oder Weisung, die
ist mir vertraut, das Andere, die große Liebe zur Gemeinde und immer wieder der Versuch,
auch Wege zu finden für die Menschen, mit Peppone zusammen.
Diese Haltung
hat sich die Kommunität mit Hauptsitz in Montmirail in der französischsprachigen Schweiz
als Weisung genommen. Heute wirken etwa 12 protestantische Familien und einige Alleinstehende
mit den unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen mit, die sich für die diversen
Aufgaben im Gemeindeleben haben weiterbilden lassen. Ihren Alltag verbinden die Mitglieder
der Kommunität mit der Suche nach Gestaltungsmöglichkeiten für ein nicht bloß gläubiges,
sondern glaubwürdiges Leben als Christ. Mit seiner Anfrage, das Stadtkloster Segen
zu übernehmen, rannte der von ihrer Ausrichtung begeisterte Berliner Pfarrer bei der
Kommunität offene Türen ein. Denn schon lange suchte man hier nach einer geeigneten
Großstadt, in der eine Dependance gegründet werden konnte. Dass die Lage der Kirche
mitten in Ostberlin, wo immer noch kommunistische Lüftchen wehen, und gegenüber des
jüdischen Friedhofs so spannend ist, wurde den Schweizer Familien allerdings erst
klar, als sie ihr neues Zuhause bereits bezogen hatten. Große Sanierungs- und Umbauarbeiten
stehen auch fast drei Jahre später noch an. Derzeit werden die Wohnungen, die nicht
von den Familien bewohnt werden, zu Gästezimmern umgestaltet, um die finanzielle Unabhängigkeit
von der evangelischen Kirche zu festigen. Aus Platzmangel wird bisweilen der Kirchenraum
selbst zur Werkstatt umfunktioniert. Schließlich war Jesus selbst auch Zimmermann,
kommentiert Georg Schubert mit einem Augenzwinkern. Doch sei dies natürlich nicht
die Hauptaufgabe der Kommunität:
Wir haben sehr früh angefangen mit
den Stundengebeten, morgens, mittags und zweimal am Abend, nicht im Sinne dessen,
dass man etwas macht, wo man erwartet, dass viele Leute dazu kommen. Ich glaube, dass
ist nicht das Charakteristikum von dieser Art Gebet. Ein Benediktiner, der uns Psalmen
Singen gelehrt hat, hat zu uns gesagt: Ihr betet für all die Menschen, die nicht mehr
beten können oder beten wollen. Es braucht dieses stellvertretende Gotteslob. Und
das machen wir hier zunächst.
Dies fängt im gemeinsamen Familienleben
an und erstreckt sich bis in Seminare für Gemeindemitglieder und andere interessierte
Berliner. Georg Schubert fasst das Angebot der Kommunität so zusammen:
Wir
möchten hier gern einen Ort haben, an dem Menschen verlässlich präsent sind, wo deutlich
wird: Hier kann man hinkommen, hier findet man ein offenes Ohr, hier kann man einen
Moment innehalten. Das ist das Eine, was wir hier machen möchten. Das Andere, was
wir dann nach außen tragen sind Überlegungen dazu, wie lebt man als Christ in einer
Stadt.
Leider sei die evangelische wie die katholische Kirche noch
zu sehr in dörflichen Bildern von Gemeindearbeit verhaftet, in eine Großstadt passe
dies aber schlecht, sagt Georg Schubert.
Hier leben sehr viele hochmobile
Menschen, die mal da sind, mal da. Es gibt jeden Tag weit über tausend Angebote in
dieser Stadt, die man wahrnehmen kann. Und in dem Umfeld muss sich Kirche bewegen.
Und mir ist zum Beispiel ein Anliegen, Formen des Betens zu entwickeln, die es einem
möglich machen, zur Ruhe zu kommen, auch wenn man in der U-Bahn sitzt, oder wenn man
unterwegs ist. Beim Warten auf dem Amt, beim Anstehen, man wartet so viel in unseren
vollen Tagen. Und da kleine Hilfen geben, wie man das nutzen kann, das ist unser Interesse.
Und
diese Hilfestellung wird gerne angenommen. Zur Mittagsstunde läuten die Glocken des
Stadtklosters Segen, gut ein Dutzend Gemeindemitglieder lässt die Arbeit für einige
Minuten liegen und versammelt sich zum Gebet, bei dem vor allem Psalmen gesungen werden.
Diesen werde man nicht so schnell überdrüssig, meint Georg Schubert und beginnt den
Psalmengesang.