Gemmingen: „Wir regen uns über Nebensächlichkeiten auf“
Vor fünf Jahren –
am 19. April 2005 – wurde der deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger zum 265. Nachfolger
des Apostel Petrus gewählt. Hautnah dabei war auch der damalige Redaktionsleiter der
deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikan, P. Eberhard von Gemmingen. In unserem
Wocheninterview hat ihn Mario Galgano gefragt, welche Zwischenbilanz zu Benedikts
Amtsführung zu ziehen gibt.
„Zunächst gab es ja einen großen Sturm der Begeisterung
in Deutschland mit dem Slogan „Wir sind Papst“ und dann kam der Papst auch noch nach
Köln und Bayern und man hat sich große Hoffnungen gemacht. Und die andere Seite hat
kritisiert, „um Gottes Willen Ratzinger“. Und beides war meiner Ansicht nach sehr
oberflächlich. Die einen haben gejubelt, weil man dachte, jetzt ist Deutschland eben
vorgerückt und die anderen haben protestiert, weil sie meinten, Ratzinger oder Benedikt
sei eben entsetzlich konservativ. Das heißt die öffentliche Wahrnehmung ist fast immer
wahnsinnig oberflächlich und vor allem ist sie im deutschen Sprachraum auch anders
als anderswo. Und das muss man sich völlig klar machen, dass, was uns deutschsprachige
sehr bewegt – die Piusbruderschaft, die tridentinische Messe – das wird in anderen
Weltteile, und zwar in den allerallermeisten Weltteilen, überhaupt nicht wahrgenommen.
Das heißt, wir regen uns zum Teil auf über Nebensächlichkeiten und es gibt viel wichtigeres,
was der Papst tut und sagt und er wird von anderen, von Christen in anderen Ländern
auch ganz anders wahrgenommen als im deutschen Sprachraum.“
Was ist denn
Ihrer Meinung nach so die Hauptbotschaft, die der Papst in diesen fünf Jahren weitergetragen
hat – sozusagen der rote Faden seines Pontifikats?
„Ich glaube er hat das
Stichwort selber gegeben am Tag bevor das Konklave losging, das ihn dann gewählt hat,
nämlich mit dem Wort „Diktatur des Relativismus“ – also er sagt glaube ich, das ist
meine Interpretation, in unserer heutigen Welt haben wir die Tendenz, nichts mehr
als verbindlich, wahr, gut und sicher anzusehen. Alles wird als vergänglich angesehen,
im Sinne „von heute glauben wir so, morgen werden wir anders glauben“, „heute ist
dies wahr, morgen wird etwas anderes wahr sein“ – die Diktatur des Relativismus. Und
nachdem er aber nun nicht kritisieren will, macht er es umgekehrt: Er zeigt eben auf,
was Glaube ist und was der Glaube bedeutet für die Welt – auch in dem Weltauftrag
und es kommt besonders zum Zug in seinen Enzykliken „Deus caritas est“, Gott ist die
Liebe und „Spe salvi“, über die Hoffnung und dann auch in der Sozialenzyklika. Also
ich meine seine guten, positiven, aufbauenden Botschaften gibt es, aber weil die Presse
und die Medien meistens oberflächlich sind, wird das zu wenig wahrgenommen. Und der
Vatikan hat es auch noch nicht geschafft, die konstruktiven Botschaften des Papstes
so der Welt zu präsentieren, dass sie wahrgenommen werden.“
Sie waren in
diesen fünf Jahren Benedikt meistens in Rom, im Vatikan selber – jetzt sind Sie seit
einiger Zeit außerhalb des Vatikans. Wie hat sich Ihre Sicht gegenüber dem Papst verändert?
„Die
Sicht hat sich vor allem deswegen jetzt verändert, weil ich seit Anfang des Jahres
hier bin und seit Anfang des Jahres haben wir die Missbrauchsvorwürfe gegen Priester.
Und dadurch wird natürlich alles noch einmal besonders davon gefärbt. Also ich meine,
das was wir Deutsche jetzt tun, nämlich wirklich zu sagen, wir müssen den Opfern versuchen
Gerecht zu werden, indem wir sie zur Sprache bringen können. Wir dürfen nicht unser
System oder die Kirche verteidigen, auch wenn die Medien ungerecht sind. Aber zunächst
müssen wir den Sturm ertragen, hinnehmen und uns den Opfern zuwenden. Es war bei uns
die Rede von der kopernikanischen Wende, nämlich dass man sich nicht mehr dem Schutz
der Einrichtung der Kirche zuwendet, sondern der Hilfe für die Opfer. Und zwar nicht
aus pragmatischen Gründen, sondern grundsätzlich – das Evangelium fordert, dass das
Opfer, dass der Geschlagene, der Getretene in den Mittelpunkt gestellt wird - das
ist Jesus Christus und nur wenn wir das tun, tun wir das, was Jesus täte – er würde
auch nicht die Jünger verteidigen, wenn die Jünger etwas Böses tun, würde er nicht
sagen „Na ja die Jünger sind schwache Leute“ – sondern er würde zunächst mal den Angegriffenen
verteidigen. Und das müsste glaube ich in der gesamten Weltkirche noch deutlicher
geschehen. Aber Papst Benedikt hat ja da auch sehr deutlich gesprochen. Er ist für
die totale Aufklärung, für Konsequenzen etc.. Nur es gibt so viele Stimmen – und dann
geht die Stimme des Papstes zum Teil auch unter. Wir deutschsprachige sind in der
Gefahr, aber in der Gefahr sind alle, dass man nur den Blickwinkel sieht, der einen
selbst betrifft. Für die Afrikaner, Asiaten, Lateinamerikaner oder auch Nordamerikaner
sieht die Kirche ganz anders aus – da spielen also gerade die Gespräche mit der Pius-Bruderschaft
oder die Liturgiereform der tridentinischen Messe fast gar keine Rolle. Und dummerweise
konzentrieren wir uns hier in Mitteleuropa oft nur auf diese Sachen, die uns mehr
oder weniger ärgern, aber es ist eine sehr sehr einseitige Sicht und wer mit etwas
mehr Informationen nach Rom schaut, der kriegt auch ein anderes Bild.“