2010-04-11 11:28:44

70 Jahre Lothar de Maizière


RealAudioMP3 “Menschen in der Zeit” - eine Sendung von Aldo Parmeggiani
Lothar de Maizière wurde 1940 in Nordhausen als Sohn eines Rechtsanwalts geboren und stammt – wie er sagt – aus einem aufgeklärten protestantischen Elternhaus. Als Musiker war de Maizière in verschiedenen Theater-und Kulturorchestern tätig. Eine Nervenerkrankung des linken Armes erzwang 1969 einen Berufswechsel in die Jurisprudenz: es war der Anfang einer steilen Politikerkarriere.
Ab nun spielte er die erste Geige auch in der Politik. Der Aufstieg de Maizières ging nach der Einheit Deutschlands zunächst weiter. Beim ersten gesamtdeutschen CDU-Parteitag wurde er zum einzigen Stellvertreter von Parteichef Helmut Kohl gewählt, gegenüber dem er rein physisch ein bisschen wie David neben Goliath wirkte. Kohl berief ihn als Minister in sein Kabinett. Dann wurden Stasi-Vorwürfe laut, die de Maizière zurückwies. Er bat um seine Entlassung als Minister. Wenig später wurde festgestellt, dass es keine Anhaltspunkte für eine Spitzeltätigkeit gab. Lothar de Maizière ist verheiratet und hat drei Töchter und elf Enkelkinder.


*Herr Dr. de Maizière, willkommen zu unserer Sendereihe ‘Menschen in der Zeit’. Sie sind gelernter Musiker und gelernter Rechtsanwalt. Es heißt: beide Disziplinen würden sich gegenseitig ergänzen oder sich sogar gegenseitig anspornen?

‘Ich denke schon. Meine Mutter hat Klavier studiert, war an der Musik sehr interessiert und hat uns Kinder alle so erzogen. Mein Vater war Jurist und selbstverständlich der Meinung, der erste Sohn wird Jurist und Anwalt oder so was. Ich bin dann doch Musiker geworden. Beide Berufe haben eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Ich habe in der Musik gelernt: die absolute Präzision, das sich selber Zuhören, das kritisch mit sich umgehen. Und wenn Sie das erstemal, was Sie spielen vom Band hören, sind Sie ziemlich entsetzt, wenn Sie sich das hinterher anhören: kein anderer Beruf hält uns wahrscheinlich so schonungslos den Spiegel vor, wie der Musikerberuf . Und ich habe gelernt, wie man Zeit einteilt…also ich glaube, dass man mit beiden Berufen gut leben kann’.

*Sie spielen Bratsche, ein Instrument, das im Orchester im Hintergrund steht, aber im Streichquartett zum Beispiel unverzichtbar ist. Darf man daraus Parallelen zu Ihrer Persönlichkeit ziehen?

‘Ja sicherlich. Also, die Bratsche spielt immer die vermittelnde Rolle…es ist zum Beispiel bekannt, dass Johannes Sebastian Bach mit Vorliebe die Bratsche spielte, weil er so in der Mitte der Harmonie saß und nach rechts und links sich orientieren konnte…Streichquartett ist eigentlich immer eine großartige Angelegenheit, Goethe hat dazu einmal gesagt: vier erwachsene Männer sitzen zusammen und reden ernsthaft über eine Sache.’


*Als evangelischer Christ haben Sie in bewegter Zeit in Deutschland in herausragender Position Verantwortung getragen: es geht heute um Ihren 70. Geburtstag, es geht um Ihre Person und darum, wie Sie ein Stück deutscher Zeitgeschichte mitgeschrieben haben. Von der Familie her sind Sie in einem protestantischen Sinn religiös geprägt. Wäre Ihr Leben anders verlaufen, wenn es
diese Prägung nicht gegeben hätte?

‘Nein, ich bin in einem aufgeklärten protestantischen Elternhaus großgezogen worden und dieser Protestantismus war die Grundlage der Erziehung meiner Eltern: Pflichterfüllung, Gradlinigkeit, Klarheit in der Form, Klarheit in der Sprache, aber auch Verantwortung zu übernehmen für seine Mitbürger, mit denen man zusammen tätig ist. Also ich glaube, ohne diese Erziehung wäre ich das nicht geworden. Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen: Ich habe mir als Konfirmant einen Spruch aus Jesaia 49,4 ausgesucht: ‘ich aber dachte, ich arbeite vergeblich und brächte meine Kraft umsonst und unnütz zu, wie wohl meine Sache meines Herrn und mein Amt meines Gottes ist’.

*Konnten Sie diese Lebenshaltung an Ihre Familie weitergeben?

‘Meine erste Tochter ist Pastorin in Salzwedel und hat Klavier und Orgel studiert und danach, als sie fertig war, hat sie gesagt: Vater, jetzt studiere ich Theologie! Die zweite Tochter ist Kinder-Krankenschwester in der Charité und ist ganz tief eingebunden in ihre Heimatgemeinde, und die jüngste Tochter ist Journalistin geworden. Sie hat nach dem Abitur ein Jahr in England gelebt, ein Jahr in Frankreich und in Moskau russisch gelernt und ist beim ZDF und sie ist auch mit ihren beiden Kindern fest verankert im Bereich der evangelischen Kirche. Beide sind getauft, schwierig im Osten Deutschlands ist blos noch Paten zu finden. Das ist das bleibende Erbe der SED: dass dieses Land so entkirchlicht ist’.

*Sie haben als Rechtsanwalt vor der Wende in der DDR viele systemkritische Mandanten verdeidigt. War das irgendwie gefährlich, standen Sie da ziemlich alleine auf weiter Flur?

‘Es gab nicht viele Kollegen, die das machten, aber es war insofern nicht ganz so gefährlich, weil mir meine Kirche einen Schutzmantel umgehängt hatte. Ich war Vize-Präses der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen und ein Mensch, der in einer solchen kirchlichen Funktion tätig ist, den kann man nicht mehr wegsperren, bestrafen oder sonst irgend sowas. Also insofern bin ich meiner Kirche schon dankbar gewesen, dass sie mir so quasi eine Tarnkappe, wie immer das man auch nennen will, umgelegt hatte. Aber die Verteidigung dieser Menschen war häufig nicht so erfolgreich, sondern sie war eigentlich mehr eine seelsorgerliche Aufgabe. Als ich mit meinem Bischof einmal darüber sprach, und ich ihm sagte, ich tue das bald nicht mehr, antwortete er: Sie sind doch der Einzige, der diese Menschen besuchen kann. Darauf sagte ich ihm: Lieber Herr Bischof, ich wollte eigentlich Jurist werden und nicht Seelsorger, sonst hätte ich Theologie studiert. Worauf dieser sagte: Na und? Ein Christenmensch ist immer Seelsorger!’

*Was hätten Sie vermutlich anders gemacht, wenn der Mauerfall, der Ihre steile Karriere ja mitbestimmt hat, nicht stattgefunden hätte?

‘Als Christ lebte man in der DDR ein Leben im Zwielicht. Einerseits stand man zu seiner Kirche, zu seiner Überzeugung, aber es wurde einem auch ein gewisses Maß an Anpassung abverlangt, dass man mit seiner Familie existieren konnte. Und diese Balance zu finden, zwischen notwendiger Anpassung, ohne sich selbst zu verleugnen und sich treu zu bleiben, das ist eine unglaublich strenge und schwierige Aufgabe. Wenn ich jetzt 70 werde, kann ich nur sagen: fünf Siebtel meines Lebens mußte ich diese Aufgabe erledigen’.

*Haben Sie eine philosophische Definition für den Mauerfall? Wie lautet Ihre politiche Defintion dazu?

’Die alten Griechen hatten für die Zeit ja zwei Vokabeln: das war der Chronos, das war die ewige, die dahinfließende Zeit und dann hatten sie den Gott Kairos, den Gott für den rechten Moment, für den Augenblick. Ich glaube, dass wir ein solches Kairos-Erlebnis hatten. Stefan Zweig hat ja einmal ein sehr schönes Buch geschrieben: Sternstunde der Menschheit. In entscheidenden Momenten geraten Menschen plötzlich in eine Bedeutung, die sie vorher nicht geahnt haben und wo die Geschichte einen völlig anderen Verlauf nimmt, als man sich erwartet. Dieser 9. November war ein solches Kairos-Erlebnis und von da aus hat sich unser Leben total verändert’.

*Und Ihre politiche Definition zum Mauerfall?

‘Der Mauerfall war die endgültige Kapitulation des Kommunismus. Er hatte an allen Fronten versagt, er hatte ökonomisch versagt, er hatte gesellschaftlich versagt, er hatte politisch versagt, er hatte die Menschen eben nicht zur Komunis geführt, zur Gemeinsamkeit, sondern zur Vereinsamung und zum Gruppen- und Cliquenleben. Im Grunde genommen hat der Kommunismus einen Totalanspruch auf den Menschen postuliert, ich habe immer gesagt: Es ist das Schwierige, diesen Totalanspruch des Staates, den Anspruch Gottes auf den Menschen entgegen zu halten. Und nur das hat uns geschützt’.

*Für Sie war die Wende der Beginn Ihrer politischen Tätigkeit. Wie wird man damit fertig, plötzlich Ministerpräsident eines Landes und Anwalt von 16. Millionen Bürgern zu sein?

‘Das Schwierigste war dieser Verantwortungsdruck. Ich habe also unglaublich fast gelitten darüber, dass ich plötzlich nicht mehr 160 Mandanten, sondern 16 Millionen Mandanten hatte. Und das in einer Zeit, in der alle Stukturen sich auflösten und zerbröselten. Aber, wir hatten soviel zu tun, dass wir gar nicht die Zeit fanden, darüber nachzudenken, wie schwierig das ist, was wir da tun. Ich habe damals gesagt: Wir sind in diesem Jahr in Gottes Hand und wir müssen davon ausgehen, dass der Herrgott alle Schutzengel, die er zur Verfügung hat, über der DDR kreisen läßt und sie erst dann wieder zurückzieht, wenn sie nicht mehr nötig sind. Ich glaube, dass wir im Ganzen sagen können, dass wir die Wiedervereinigung auch so gestaltet haben, dass sie für die Menschen Ostdeutschlands würdevoll vollzogen hat und dass sie nicht wie Geschlagene in die Einheit gehen sollen, sondern wie diejenige, die eine friedliche Revolution durchgeführt haben’.

*Was haben Deutschland und die Welt aus der gewaltlosen Wende gelernt?

‘Zunächst hat die Welt davon gelernt, dass Zustände in der Geschichte nicht ewig sind. Die Kommunisten waren ja der Meinung, man könne diesen Zustand verewigen. Honegger hatte ja gesagt, diese Welt werde neunhundert Jahre bestehen. Also, dass die Geschichte im Fließen ist und dass von da aus eine neue Form von Gemeinschaft ausgehen wird. Wir haben erlebt, wie sich die europäische Union in den letzten 20 Jahren erweitert hat, aber der 9. November hat auch ein Maß von Freiheit gebracht, die gefährlich ist. Wir sehen keine sicheren Sicherheitsstrukturen mehr, die in der Welt herrschen, wir sehen verantwortungslose Finanziers, die eine Welt in eine Krise stürzen dürfen. Also, wenn wir den 9. November als Chance begreifen, müssen wir darüber nachdenken, wie eine neue Weltordnung aussieht.’


*Sie sind protestantischer Preuße: mit welchen Augen schauen Sie nach Rom?

‘Ich schaue nach Rom als auf die Ewige Stadt des klassischen Altertums, aber auch auf dessen, was von Rom ausgegangen ist an christlicher, abendländischer Kultur. Ich glaube, dass der Kontinent eine Prägung durch dieses erfahren hat, dass ein Mann wie Luther einen Reformbedarf erkannte – er wird ja inzwischen selbst in katholischen Kreisen so gesehen…Sie müssen mir nachsehen, dass ich meine Form Christ zu sein für mich plausibler empfinde, aber ich habe großen Respekt vor Leuten, die dies in anderer Weise sehen’.

*Die Welt, hat erkannt: der Kommunismus hat versagt, der Kapitalismus führt auch nicht in das gelobte Land. Die Frage ist, gibt es dritte Ziele, oder ist der Weg das Ziel?

‘Das ist die alte Frage, die schon Max Weber beantworten mu߆e, zwischen Gesinnungs-Ethik und Verantwortungs-Ethik. Mein Leben hat mir gezeigt, dass die Verantwortungsethik der einzige richtige Weg ist. Immer fùhren die gesinnungsethischen Ansätze dazu, dass man die Menschen erziehen will, dass man sie umerziehen will. Wer alles regeln will, nimmt den Menschen sehr viel von seiner freiheitlichen Würde. Der Herrgott hat uns die Möglichkeit gegeben, gut und böse zu sein. Wer glaubt, mann könne die Menschen durch Gesetze zwingen, gut zu sein, der wird erleben, dass er damit erheblichen Schiffbruch erleidet, weil er den Menschen die Verantwortung für sich selbst entzieht’.

*Wird es uns wieder besser gehen, wenn es uns wieder etwas schlechter geht?

‘Wenn ich so an die Generation meiner Eltern denke, die immer erzählt hatten, wie solidarisch man im Luftschutzkeller war: das ist schon richtig, dass Not zusammenschweißt. Aber Not als dauerhafter Kitt der Gesellschaft – das kann ja nicht sein. Ich glaube auch nicht, dass das ein politischer Ansatz ist, der tragen kann. Ich glaube, dass der Drang des Menschen nach Wohlstand und zwar im wohlverdienten Sinne des Wohlstands – ich meine damit nicht Reichtum im Überfluss, ich meine damit nicht Verschwendungssucht – ich ärgere mich darüber, dass heute kaum jemand etwas repariert, wenn mal etwas kaputtgeht, sondern dass wir alles wegschmeissen. Wohlstnd heißt, dass man das Lebensnotwendige hat, dass man satt wird, dass man nicht friert und dass man Gesundheit erhalten kann, dass man seinen Kindern das Notwendige zukommen lassen kann, gute Bildung, vernünftige Kleidung, alles was dazugehört’.

Aldo Parmeggiani, Rom

(rv 11.04.2010)







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