Kirgistan kommt nach dem Sturz des Präsidenten Kurmanbek Bakijew nicht zur Ruhe. Nach
dem Aufstand von letzter Woche mit Toten und Verletzten hat die Übergangsregierung
zu zweitägiger Staatstrauer für die Toten aufgerufen. In der Hauptstadt Bischkek fühlen
sich die Menschen immer noch verunsichert. Das sagte uns Bischof Nikolaus Messmer
im Interview. Der apostolische Administrator Kirgisistans hat sich in den letzten
Tagen in der Stadt umgesehen.
„Draußen auf der Straße und in der Stadt
sieht man keine Polizisten! Das heißt, es wird auch heute Nacht wieder Randale und
Diebstähle geben. Gruppen laufen durch die Stadt, machen alles kaputt. Gebäude sind
komplett zerschlagen und angezündet worden… Die Regierung weiß offenbar nicht, wie
sie reagieren soll.“
Bei Straßenschlachten zwischen Oppositionellen und
Sicherheitskräften in der Hauptstadt und im Nordosten des Landes waren 75 Menschen
getötet und mehr als hundert verletzt worden. Die Oppositionsbewegung des Landes speist
sich vor allem aus der armen Bevölkerung. Warum der seit Monaten gärende Unmut gegen
den Präsidenten Bakijew eskalierte, erklärt sich der Bischof so:
„Im Land
klafft eine Schere zwischen Armen und Reichen. Die Armen sind belogen worden, es wurde
immer versprochen: Es wird besser. Aber auf einmal stiegen die Strompreise, die Menschen
hatten keine Arbeit, bekamen wenig Lohn… Wie sollen sie da leben? Das arme kirgisische
Volk ist wirklich zu bedauern! Die Aufständischen sind junge Männer aus der Region,
die Stadteinwohner sitzen dagegen zu Hause und trauen sich kaum auf die Straße.“
Angestachelt
wurden die Unruhen offenbar auch durch den fünften Jahrestag der so genannten „Tulpenrevolution“,
an die in Kirgistan Ende März erinnert wurde: Bereits vor fünf Jahren hatte die Oppositionsbewegung
des zentralasiatischen Landes versucht, gegen das damalige Regime anzugehen. Nach
Ansicht des Bischofs besteht weiter ein Zusammenhang zwischen „70 Jahren Atheismus“
in der Exsowjetrepublik und Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung:
„Sie
sind ohne Gott, ohne Glaube, die junge Generation ist nur einseitig erzogen worden
in der Schule und zu Hause. Das fehlt den Leuten: Denn mit gutem Gewissen geht doch
keiner auf die Straße und schmeißt Steine! Ich glaube, das gibt es einen Zusammenhang.
Die Kirgiser, dieses junge Volk, ist noch nicht reif…“
Das Christentum
ist heute mit 20 Prozent die zweitstärkste Religionsgruppe in Kirgistan. Etwa die
Hälfte davon sind russisch-orthodox, ein anderer Teil geht auf die ostkirchliche Strömung
der Nestorianer zurück. Die römisch-katholischen Katholiken bilden eine Minderheit;
in Bischkek und Umland gebe es nur etwa 1.000 bis 1.200 Katholiken. Ein neues Religionsgesetz
mache den religiösen Minderheiten momentan zu schaffen, so Bischof Messmer:
„Das
neue Religionsgesetz beschränkt sehr unser Überleben hier als Kirche. Es bezieht sich
vor allem auf die kleinen Gemeinden. Da wird etwa den Baptisten vorgeworfen, sie machten
Zwangsbekehrungen und werben Moslems ab. Dabei betont der Leiter der Baptistengemeinde
die Religionsfreiheit eines jeden Menschen. Man kann nicht sagen, dass viele Kirgiser
zum Christentum übertreten, aber es lassen sich doch inzwischen viele junge Leute
taufen, die dann auch sehr aktiv sind im Glaubensleben.“
Das Ringen
um die Macht geht in Kirgistan, das seit 1991 von Russland unabhängig ist, unterdessen
weiter: Die Opposition erklärte das Parlament am Donnerstag für aufgelöst und forderte
Präsident Bakijew zum Rücktritt auf. Dieser ist zwar dialogbereit, lehnte eine Niederlegung
seiner Ämter aber bisher ab. Russland hat die neue Regierung in Bischkek bereits anerkannt.
Die USA, die wie Russland aus militärstrategischen Gründen an dem Land interessiert
sind, dagegen nicht.