2010-04-10 14:43:06

Kirgistan: Tauziehen um die Macht


Kirgistan kommt nach dem Sturz des Präsidenten Kurmanbek Bakijew nicht zur Ruhe. Nach dem Aufstand von letzter Woche mit Toten und Verletzten hat die Übergangsregierung zu zweitägiger Staatstrauer für die Toten aufgerufen. In der Hauptstadt Bischkek fühlen sich die Menschen immer noch verunsichert. Das sagte uns Bischof Nikolaus Messmer im Interview. Der apostolische Administrator Kirgisistans hat sich in den letzten Tagen in der Stadt umgesehen.


„Draußen auf der Straße und in der Stadt sieht man keine Polizisten! Das heißt, es wird auch heute Nacht wieder Randale und Diebstähle geben. Gruppen laufen durch die Stadt, machen alles kaputt. Gebäude sind komplett zerschlagen und angezündet worden… Die Regierung weiß offenbar nicht, wie sie reagieren soll.“

Bei Straßenschlachten zwischen Oppositionellen und Sicherheitskräften in der Hauptstadt und im Nordosten des Landes waren 75 Menschen getötet und mehr als hundert verletzt worden. Die Oppositionsbewegung des Landes speist sich vor allem aus der armen Bevölkerung. Warum der seit Monaten gärende Unmut gegen den Präsidenten Bakijew eskalierte, erklärt sich der Bischof so:

„Im Land klafft eine Schere zwischen Armen und Reichen. Die Armen sind belogen worden, es wurde immer versprochen: Es wird besser. Aber auf einmal stiegen die Strompreise, die Menschen hatten keine Arbeit, bekamen wenig Lohn… Wie sollen sie da leben? Das arme kirgisische Volk ist wirklich zu bedauern! Die Aufständischen sind junge Männer aus der Region, die Stadteinwohner sitzen dagegen zu Hause und trauen sich kaum auf die Straße.“

Angestachelt wurden die Unruhen offenbar auch durch den fünften Jahrestag der so genannten „Tulpenrevolution“, an die in Kirgistan Ende März erinnert wurde: Bereits vor fünf Jahren hatte die Oppositionsbewegung des zentralasiatischen Landes versucht, gegen das damalige Regime anzugehen. Nach Ansicht des Bischofs besteht weiter ein Zusammenhang zwischen „70 Jahren Atheismus“ in der Exsowjetrepublik und Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung:



„Sie sind ohne Gott, ohne Glaube, die junge Generation ist nur einseitig erzogen worden in der Schule und zu Hause. Das fehlt den Leuten: Denn mit gutem Gewissen geht doch keiner auf die Straße und schmeißt Steine! Ich glaube, das gibt es einen Zusammenhang. Die Kirgiser, dieses junge Volk, ist noch nicht reif…“



Das Christentum ist heute mit 20 Prozent die zweitstärkste Religionsgruppe in Kirgistan. Etwa die Hälfte davon sind russisch-orthodox, ein anderer Teil geht auf die ostkirchliche Strömung der Nestorianer zurück. Die römisch-katholischen Katholiken bilden eine Minderheit; in Bischkek und Umland gebe es nur etwa 1.000 bis 1.200 Katholiken. Ein neues Religionsgesetz mache den religiösen Minderheiten momentan zu schaffen, so Bischof Messmer:



„Das neue Religionsgesetz beschränkt sehr unser Überleben hier als Kirche. Es bezieht sich vor allem auf die kleinen Gemeinden. Da wird etwa den Baptisten vorgeworfen, sie machten Zwangsbekehrungen und werben Moslems ab. Dabei betont der Leiter der Baptistengemeinde die Religionsfreiheit eines jeden Menschen. Man kann nicht sagen, dass viele Kirgiser zum Christentum übertreten, aber es lassen sich doch inzwischen viele junge Leute taufen, die dann auch sehr aktiv sind im Glaubensleben.“


Das Ringen um die Macht geht in Kirgistan, das seit 1991 von Russland unabhängig ist, unterdessen weiter: Die Opposition erklärte das Parlament am Donnerstag für aufgelöst und forderte Präsident Bakijew zum Rücktritt auf. Dieser ist zwar dialogbereit, lehnte eine Niederlegung seiner Ämter aber bisher ab. Russland hat die neue Regierung in Bischkek bereits anerkannt. Die USA, die wie Russland aus militärstrategischen Gründen an dem Land interessiert sind, dagegen nicht.



(rv/diverse 12.04.2010 pr)








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