Knapp fünf Jahre nach Amtsantritt von Papst Benedikt XVI. zieht der ehemalige Ratzinger-Schüler
und Regensburger Theologe Wolfgang Beinert eine gemischte Bilanz. In der persönlichen
Begegnung habe sich der Papst zum Positiven verändert, erzählt Beinert im Interview
mit Spiegel Online: „Ratzinger war früher ein sehr distanzierter, fast verschlossener
Mann, der kaum auf andere offen zugegangen ist.“ Das sagte Beinert wörtlich. Heute
dagegen gehe er „mit ausgestreckten Armen“ auf die Menschen zu. Als größtes Problem
seit dem Amtsantritt sieht der emeritierte Dogmatik-Professor die vom Papst angestrebte
Versöhnung mit der traditionalistischen Piusbruderschaft. Ökonomisch ausgedrückt habe
der Papst „möglicherweise das Preis-Leistungs-Verhältnis in der Piusbrüder-Geschichte
nicht richtig eingeschätzt“. Die Debatte um die Traditionalisten und den Holocaust-Leugner
Richard Williamson raube dem Papst den Schlaf, berichtete Beinert aus persönlichen
Gesprächen. Die Kirche stecke derzeit in einer „sehr schweren Krise“, werde diese
aber „auch unter Leitung des Papstes meistern“. Als Wissenschaftler und „sehr scharf
nachdenkender Mann“ neige Benedikt XVI. „sicher nie zu Schnellschüssen“, betonte Beinert.
Das müsse man aber nicht unbedingt als Zögern interpretieren mit Blick auf die von
vielen erwarteten Äußerungen zu den Missbrauchsfällen in Deutschland. Den Hirtenbrief
an die Iren etwa, in dem der Papst Missbrauch grundsätzlich anprangere, habe er „nicht
so empfunden, dass man sagen kann, wir Deutschen sind davon überhaupt nicht betroffen“.
– Beinert hatte als Assistent den damaligen Tübinger Theologieprofessor Joseph Ratzinger
1969 bei dessen Umzug nach Regensburg begleitet, wo Beinert drei Jahre später habilitiert
wurde. Von 1978 bis 1998 lehrte er als Dogmatik-Professor in Regensburg.