Bologna-Prozess: „Bedachtes Hineinwachsen statt ad hoc-Bürokratie“
Der viel diskutierte
Bologna-Prozess will eine bessere Vergleichbarkeit unter europäischen Studierenden
und annähernd gleiche Studienanforderungen erreichen – und hat inzwischen auch die
theologischen Fakultäten im deutschsprachigen Raum erreicht. Martin Jäggle ist Professor
für Religionspädagogik und Katechetik an der Fakultät für Theologie in Wien und als
deren Dekan bestens mit der Umsetzung von Bologna vertraut. Seine Fakultät habe einen
ersten Schritt vom bisherigen System in Richtung Bologna gemacht, ohne die Ideen schon
vollkommen umzusetzen, erklärt er im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Bestmöglich
heißt immer: Den nächstmöglichen Schritt, der lebbar ist und einen nahen Weg eröffnet.
Das bedeutet: Bologna stärkt die Zusammenarbeit der Lehrenden. Statt einer Addition
von Lehrveranstaltungen, für die immer eine Lehrperson verantwortlich ist, ist ja
die Idee von Bologna, dass es eine Verantwortungsgemeinschaft der Lehrenden gibt.
Und das haben wir an bestimmten Stellen des Studienplans realisiert. Wir haben in
diesem Sinne auch die Einheit der Theologie gestärkt durch den Studienplan nach Bologna.“
Und
trotz dieser Annährung an Bologna, die beispielsweise verstärkt auf interdisziplinäre
Veranstaltungen setzt, hat an den theologischen Fakultäten auch der klassische Diplomstudiengang
Bestand. Das erklärt Professor Jäggle so:
„Der Beschluss war eine Vorgabe
Roms, dass es in der Fachtheologie beim Diplomstudiengang bleibt und kein Bachelor-
und Mastersystem gibt. Aber wir haben in Absprache mit Rom innerhalb des Diplomstudiums
eine Bologna gemäße Form gefunden: Indem wir sechs Semester für den ersten Abschnitt
haben und sechs Semester für den zweiten, die Grundlagen der Theologie im ersten Studienabschnitt
und die Vertiefung im zweiten. Und wir haben die Grundidee von Bologna in den Vordergrund
gerückt, nämlich die Frage nach fachlichen und metafachlichen Kompetenzen. Also die
Frage danach, was quer durch die Lehrveranstaltungen hindurch gelernt wird.“
So
seien etwa einzelne Studienmodule von vorn herein auf Kooperation ausgelegt:
„Wir
haben zum Beispiel ein Modul „Praktische Ekklesiologie“, wo Kirchenrecht, Pastoraltheologie
und Katechetik kooperieren. Oder wir haben thematische Module, die auch die Möglichkeit
bieten, aktuelle Fragestellungen interdisziplinär im Studium zu behandeln.“
Zu
den Themen mit Gegenwartsbezug zählten etwa Migration oder Sexualität und Gewalt.
In Deutschland habe die Umsetzung des Bologna-Prozesses hingegen wesentlich bürokratischer
stattgefunden, bemängelt der Dekan der Wiener Fakultät:
„Wenn Studierende
von Deutschland zu uns nach Österreich kommen, dann stehen sie vor dem Problem, dass
sie für bloße Anwesenheit noch keine Studienleistungsanerkennung bekommen. Die Idee,
dass schon das einfache Sitzen in einer Lehrveranstaltung eine Studienleistung ist,
ist uns total fremd. Das Zweite ist, dass die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern
in Deutschland verschieden ist, und dass sich die Normierung ins Detail verliert.
Wir in Österreich wollten Bologna nicht Perfektionieren, sondern bestmöglich umsetzen.
Ich glaube, das ist der markante Unterschied zu Deutschland. Bologna ist ein Langzeitprojekt
und eine Kultur, in die wir hineinwachsen.“