Nahost: Sechs Konfessionen in der Grabeskirche - Und jeder findet seinen Platz
In die Jerusalemer
Grabeskirche drängen zu Ostern jährlich ganze Pilgerströme. Das leere Grab, aus dem
Christus auferstanden sein soll, ist Anziehungspunkt für viele tausend Gläubige der
unterschiedlichen christlichen Konfessionen. Veronica Pohl hat sich die Anziehungskraft
des Ortes erklären lassen:
Bruder Marcello stammt aus Argentinien. Er gehört
dem Franziskanerorden an, der seit 1342 im Heiligen Land vertreten ist. Die Franziskaner
verwalten im Auftrag des Papstes die Bereiche der Grabeskirche, die den römisch-katholischen
Christen zugesprochen sind. Bruder Marcello beschreibt die vielen Menschen, die zu
Ostern die Kirche besuchen, so:
„Die Meisten kommen tatsächlich als Pilger.
Für sie wird am Heiligen Grab deutlich, dass Gott die Transzendenz hinter sich gelassen
hat, sich hineinbegeben hat in unsere Welt. Und dann auferstanden ist, damit auch
wir auferstehen! Der kleinere Teil kommt als Touristen. Was mich fasziniert ist, dass
diese Menschen zwar als Touristen kommen, aber diesen Ort als Pilger verlassen. Das
bewirkt die Besonderheit der Grabeskirche. Das Geheimnis des Leeren Grabes. Hier begegnet
man wahrhaftig dem Herrn.“
Jedes Jahr freue er sich auf das Osterfest –
trotz des Trubels in der Altstadt von Jerusalem. Denn in der Grabeskirche werde das
Osterereignis greifbar wie nirgends sonst, findet Bruder Marcello:
„Das
Heilige Grab ist das Zentrum unseres Glaubens: Christus ist gestorben und auferstanden
– dafür stehen das Kreuz und jede Christusnachfolge. Damit ist das Grab der Mittelpunkt
der christlichen Spiritualität. An diesem Ort gedenken wir im Gebet dessen, was der
Herr für uns getan hat. Denn für uns ist er gestorben und von den Toten auferstanden.
Das ist der Kern unseres christlichen Glaubens. Und hier am Grab hat dieser Glaube
seinen Ursprung.“
Der Glaube an Christus sei der gemeinsame Glaube aller
vertretenen Konfessionen. Deshalb sei die Einheit unter den katholischen, koptischen,
griechisch-orthodoxen, armenischen, syrisch- und äthiopisch-orthodoxen Christen vor
Ort stärker, als gelegentliche Zwiste das vermuten ließen:
„Dieses Miteinander
ist keine bloße Idee, sondern wird hier tatsächlich umgesetzt. Im Zusammenleben gibt
es immer mal wieder Reibungspunkte – auch an Ostern wird das deutlich. Aber vor allem
begegnet man sich. Und weiß, dass uns der christliche Glaube hier am Grab Christi
und am Kalvarienberg eint. Zu Ostern werden die Schwierigkeiten, die das Miteinander
der Konfessionen im Alltag prägen, vielleicht sogar eher etwas hintangestellt.“
Aram
Katchaturiam stammt aus Armenien, führt Pilger aller Konfessionen durch die Grabeskirche
und teilt diesen Eindruck grundsätzlich:
„Nein, als feindselig würde ich
das Verhältnis zwischen den Konfessionen nicht beschreiben. Es gibt bestimmte Anspannungen,
besonders zwischen den griechischen und den armenischen Christen. Aber das Zusammenleben
ist hier in der Grabeskirche gut geregelt, auch die Abläufe zum Osterfest. Jeder hat
seinen angestammten Platz und seine festgelegten Zeiten, und das ist auch gut so!
Früher gab es immer mal Unklarheiten und die haben dann zum Streit geführt. Aber jetzt
ist das weniger der Fall.“
Diese Regeln haben also auch ihr Gutes. Das
findet auch der Geistliche, der den griechisch-orthodoxen Kreuzigungsaltar am Kalvarienberg
bewacht. Er nickt zufrieden und bemerkt in österlicher Stimmung:
„Das Kreuz
Christi, mit Maria und Johannes, das repräsentiert unsere Gemeinschaft hier. Am Golgathafelsen
sind wir dem Osterereignis besonders nahe.“