Papstprediger: Entschuldigung für Gewalt gegen Frauen überfällig!
Der päpstliche Hausprediger Raniero
Cantalamessa hat in seiner Predigt zur Karfreitagsliturgie mit Papst Benedikt XVI.
im Petersdom auf die Gewalt gegen Frauen und Kinder hingewiesen. Dabei hat der Kapuzinerpater
eindeutige Worte gefunden und eine Entschuldigung eingefordert:
„Johannes
Paul II. hat die Praxis der Vergebungsbitte für kollektive Schuld eingeführt. Eine
von ihren, die richtigste und am meisten notwendige, ist die Vergebung, um die die
eine Hälfte der Menschheit die andere bitten muss: die Männer die Frauen. Sie darf
nicht allgemein und abstrakt bleiben. Sie muss besonders bei jenen, die sich als Christen
bekennen, zu konkreten Gesten der Umkehr, zu Worten der Entschuldigung und der Versöhnung
in den Familien und in der Gesellschaft führen.“
Der Prediger lobte in
seinen Ausführungen weiter die moderne Vorstellung, wonach Opfer und Benachteiligte
zu schützen seien. Dies sei eine späte Frucht der Revolution Christi, so der Kapuziner.
Cantalamessa weiter:
„Ich rede hier nicht von der Gewalt gegen Kinder,
mit der sich unglücklicherweise nicht wenige Mitglieder des Klerus befleckt haben.
Davon wird schon genug außerhalb der Kirche gesprochen.“
Am Ende
seiner Predigt zitierte Cantalamessa aus einem persönlichen Brief, den ihm ein jüdischer
Freund geschickt habe. Dieser Freund drücke darin seine Abscheu vor den Unterstellungen
aus, mit welchen die Öffentlichkeit derzeit über den katholischen Klerus herziehe.
Der Freund, so Cantalamessa, habe geschrieben:
„Die Überleitung
von persönlicher Verantwortung und Schuld zu kollektiver Schuld erinnern mich an die
schändlichsten Aspekte des Antisemitismus.“
Dieser Vergleich rief unmittelbar
Proteste in Deutschland und den USA hervor. Der Zentralrat der Juden in Deutschland
sprach von „Frechheit“. Unterdessen hat sich auch Papstsprecher Federico Lombardi
im Namen des Vatikans vom Antisemitismus-Vergleich distanziert. Ein solcher Vergleich
könne zu Missverständnissen führen, so Lombardi. Cantalamessas Ausführungen entsprächen
nicht der Haltung des Vatikans. – Cantalamessa gilt als einer der am meisten gelesenen
geistlichen Schriftsteller Italiens. Traditionsgemäß obliegt ihm die Auslegung des
Evangeliums am Karfreitag.
Gottesdienst im Petersdom
Zuvor
hatte Papst Benedikt XVI. des Leidens und Sterbens Jesu gedacht. Die Feier am Karfreitagabend
war geprägt von Stille und Ernst. Zu Beginn des Gottesdienstes im Petersdom kniete
der Papst vor dem Kreuz und verharrte in schweigendem Gebet. Mit dem Papst nahmen
zahlreiche Kardinäle, Bischöfe und Vertreter des diplomatischen Korps an dem Wortgottesdienst
und der Zeremonie der Kreuzverehrung teil. Nach katholischer Tradition findet am Karfreitag,
dem Gedächtnistag des Todes Jesu, keine Messe statt.
Im Lauf der Feier
beteten Papst und Gläubige für die großen Anliegen der Kirche. Die Fürbitten wurden
in zehn Sprachen vorgetragen. Benedikt XVI. antwortete auf jede der Bitten mit dem
lateinischen Gebet, das die Liturgie nach der Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils
vorsieht.
(rv/kna 03.04.2010 mg/vp)
Lesen
Sie hier die Predigt von P. Raniero Cantalamessa im Wortlaut (Übersetzung von zenit) „Wir
haben einen erhabenen Hohenpriester"
Karfreitagspredigt 2010 in der Vatikanischen
Basilika „Wir haben einen erhabenen Hohenpriester, der die Himmel durchschritten
hat, Jesus, den Sohn Gottes": so beginnt der Abschnitt aus dem Brief an die Hebräer,
den wir soeben in der zweiten Lesung gehört haben. Im Priesterjahr gestattet es uns
die Karfreitagsliturgie, zur historischen Quelle des christlichen Priestertums zurückzukehren. Der
Tod Jesu Christi ist die Quelle beider Verwirklichungen des Priestertums: des Amtpriestertums
der Bischöfe und Priester und des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen. Auch letzteres
gründet nämlich im Opfer Christi, der, wie die Geheime Offenbarung sagt, „uns liebt
und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut; er hat uns zu Königen gemacht
und zu Priestern vor Gott, seinem Vater " (Offb 1,5-6). Daher ist es von fundamentaler
Wichtigkeit, das Wesen des Opfers und des Priestertums Christi zu begreifen, da wir
Priester und Laien von ihnen auf unterschiedliche Weise geprägt sein müssen und so
versuchen müssen, die sich daraus ergebenden Erfordernisse zu leben. Der Brief
an die Hebräer erklärt, worin die Neuheit und die Einzigartigkeit des Priestertums
Christi besteht, dies nicht allein in Bezug auf das Priestertum des Alten Bundes,
sondern - wie er uns heute lehrt - in Bezug auf jede priesterliche Institution auch
außerhalb der Bibel. „Christus aber ist gekommen als Hoherpriester der künftigen Güter;
(er) ist ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken
und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung
bewirkt. Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer Kuh die
Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, dass sie leiblich rein werden, wie
viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses
Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen
Gott dienen" (Hebr 9,11-14). Jeder andere Priester opfert etwas außerhalb seiner
selbst auf, Christus hat sich selbst geopfert; jeder andere Priester bringt Opfer
dar, Christus hat sich als Opfer dargebracht! Der heilige Augustinus hat diese neue
Art des Priestertums, in der Priester und Opfer derselbe sind, in einer berühmten
Formel zusammengefasst: „Ideo sacerdos, quia sacrificium - Priester, weil Opferhabe"[1]. *** Im
Jahr 1972 stellte ein bekannter französischer Denker die These auf, nach der „die
Gewalt das Herz und die geheime Seele des Heiligen" seien[2]. Den Ursprung
nämlich und den Mittelpunkt einer jeden Religion bildet das Opfer, und das Opfer bringt
Zerstörung und Tod mit sich. Die Zeitung „Le Monde" begrüßte diese Behauptung und
sagte, dass sie aus jenem Jahr ein Jahr mache, „das mit einem Sternchen in den Annalen
der Menschheit zu verzeichnen ist". Doch bereits vor diesem Datum hatte sich jener
Gelehrte dem Christentum genähert, und an Ostern 1959 hatte er seine „Bekehrung" öffentlich
gemacht und erklärt, dass er gläubig und in die Kirche zurückgekehrt sei. Dies
erlaubte ihm, in seinen späteren Studien nicht bei der Analyse des Mechanismus der
Gewalt stehenzubleiben, sondern auch einen Hinweis darauf zu geben, wie man ihm entgehen
kann. Leider fahren viele fort, René Girard als einen Mann zu zitieren, der den Bund
zwischen dem Heiligen und der Gewalt angezeigt hatte; keinen Ton jedoch verlieren
sie über den Girard, der auf das Ostergeheimnis Christi als den völligen und endgültigen
Bruch dieses Bundes verwiesen hat. Laut Girard entlarvt und bricht Jesus den Mechanismus
des Sündenbockes, der die Gewalt sakralisiert, indem er sich selbst als Unschuldiger
zum Opfer für alle Gewalt macht[3]. Der Prozess, der zur Geburt der neuen
Religion führt, wird hinsichtlich der Erklärung, die Freud gegeben hatte, umgekehrt.
In Christus ist es Gott, der zum Opfer wird, nicht das Opfer (in Freud der Urvater),
das einmal aufgeopfert und dann zur göttlichen Würde erhoben wird (der himmlische
Vater). Nicht mehr der Mensch ist es, der Gott Opfer darbringt, sondern Gott, der
sich für den Menschen opfert und für ihn seinen eingeborenen Sohn dem Tod übergibt
(vgl. Joh 3,16). Das Opfer dient nicht mehr dazu, die Gottheit zu besänftigen, sondern
vielmehr dazu, den Menschen zu besänftigen und ihn von seiner Feinseligkeit gegenüber
Gott und dem Nächsten Abstand nehmen zu lassen. Christus ist nicht mit dem Blut
eines anderen gekommen, sondern mit seinem eigenen. Er hat nicht seine Sünden auf
die Schultern der anderen gelegt - Menschen oder Tiere -; er hat die Sünden der anderen
auf seine Schultern genommen: „Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des
Kreuzes getragen" (1 Petr 2,24). Ist es also möglich, hinsichtlich des Todes Christi
und somit der Messe weiterhin von Opfer zu sprechen? Für lange Zeit hat der zitierte
gelehrte diesen Begriff abgelehnt, da er ihn für zu sehr von der Vorstellung der Gewalt
gezeichnet erachtete, dann jedoch kam er dazu, die Möglichkeit zuzulassen, dies unter
der Bedingung, im Opfer Christi eine neue Art des Opfers und in dieser Bedeutungsänderung
„das zentrale Ereignis in der religiösen Geschichte der Menschheit" zu erkennen. *** In
diesem Licht gesehen enthält das Opfer Christi eine wunderbare Botschaft für die Welt
von heute. Es ruft der Welt laut zu, dass die Gewalt ein archaisches Residuum ist,
ein Rückschritt zu primitiven und überwundenen Stadien der Menschheitsgeschichte und
- so es sich um Gläubige handelt - um eine schuldhafte und skandalträchtige Verspätung
bei der Bewusstwerdung des Qualitätssprunges, den Christus gewirkt hat. Es ruft
auch in Erinnerung, dass die Gewalt verliert. In fast allen antiken Mythen ist das
Opfer der Besiegte und derjenige, der hinrichtet, der Sieger. Jesus hat das Zeichen
des Sieges geändert. Er hat einer neuen Art des Siegs den Anfang gegeben, der nicht
darin besteht, Opfer zu fordern, sondern sich selbst zum Opfer zu machen. „Victor
quia victima!", Sieger weil Opfer, so bestimmt der heilige Augustinus Jesus am Kreuz[4]. Der
moderne Wert der Verteidigung der Opfer, der Schwachen und des bedrohten Lebens ist
auf dem Boden des Christentums entstanden, er ist eine späte Frucht der durch Christus
gewirkten Revolution. Dafür haben wir den Gegenbeweis. Sobald die christliche Vision
aufgegeben wird (wie dies Nietzsche getan hat), um das heidnische Leben wieder aufleben
zu lassen, geht diese Eroberung verloren und es kommt wieder dazu, „den Starken, den
Mächtigen bis zu seinem höchsten Punkt: bis zum Übermenschen" hervorzuheben und die
christliche Sicht als „Sklavenmoral" zu bezeichnen, die ein Ergebnis des machtlosen
Ressentiments der Schwachen gegenüber den Starken wäre. Leider aber begünstigt
und verherrlicht die heutige Kultur die Gewalt, die sie verurteilt, auf andere und
verstohlene Weise. Man rauf sich die Haare angesichts gewisser Bluttaten, bemerkt
jedoch nicht, daß man den Boden für sie mit dem vorbereitet, was auf den folgenden
Seiten der Zeitungen oder in den anderen Programmen im Fernsehen beworben wird. Das
Vergnügen, mit dem man sich bei der Beschreibung der Gewalt aufhält, und der Wetteifer,
wer der erste ist, der sie auf grausamste Art beschreibt, führen zu nichts anderem
als zu ihrer Begünstigung. Das Ergebnis ist keine Reinigung von der Gewalt, sondern
eine Anstachelung zu ihr. Es ist beunruhigend, dass Gewalt und Blut in Filmen und
Videogames zu derartigen Zutaten geworden sind, dass man von ihnen angezogen wird
und ihren Spaß mit ihnen hat. Der oben erwähnte Gelehrte hat das Muster aufgedeckt,
durch das der Mechanismus der Gewalt seinen Anfang nimm: der Mimetismus, das heißt
die eingeborene Neigung des Menschen, das für ersehnenswert zu halten, was die anderen
ersehnen, und also die Dinge zu wiederholen, die man die anderen tun sieht. Die Psychologie
des Rudels führt zur Auswahl des „Sündenbocks", um im Kampf gegen den gemeinsamen
Feind (im Allgemeinen das schwächste und andersartige Element) einen künstlichen und
momentanen Zusammenhalt zu finden. Ein Beispiel hierfür haben wir in der häufig
vorkommenden Gewalt der Jugendlichen im Stadion, in der Schule und bei gewissen öffentlichen
Veranstaltungen, die Zerstörung und Verheerung hinter sich lassen. Eine Generation
von Jugendlichen, die das so seltene Privileg gehabt hat, keinen wirklichen Krieg
zu kennen und nie an die Front einberufen worden zu sein, hat ihren Spaß daran (denn
es handelt sich um ein Spiel, auch wenn dieses dumm und manchmal tragisch ist), von
demselben Instinkt veranlasst kleine Kriege zu erfinden, der das primitive Rudel anspornte.
*** Es gibt aber eine noch schwerere und noch mehr verbreitete Gewalt, als
es jene der Jugendlichen in den Stadien und auf den Plätzen ist. Ich spreche hier
nicht von der Gewalt gegen Kinder, mit der sich leider auch Elemente des Klerus befleckt
haben; von dieser Gewalt ist draußen genug die Rede. Ich spreche von der Gewalt gegen
die Frauen. Dies ist eine Gelegenheit, um die Menschen und die Institutionen, die
dagegen ankämpfen, begreifen zu lassen, dass Christus ihr bester Verbündeter ist. Es
handelt sich um eine umso schwerere Form der Gewalt, wenn es zur ihr innerhalb der
häuslichen Umgebung kommt, ohne dass jemand davon weiß, wenn sie nicht gar unter pseudoreligiösen
und kulturellen Vorurteilen gerechtfertigt wird. Die Opfer sind verzweifelt allein
und wehrlos. Nur heute, dank der Unterstützung und der Ermutigung so vieler Vereinigungen
und Institutionen, finden einige die Kraft, aus dem Verborgenen herauszutreten und
die Schuldigen anzuzeigen. Ein großer Teil dieser Gewalt geschieht vor einem sexuellen
Hintergrund. Es ist der Mann, der glaubt, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen,
indem er auf die Frauen einschlägt, ohne sich bewusst zu sein, dass er nur seine Unsicherheit
und Feigheit unter Beweis stellt. Auch gegenüber der Frau, die gefehlt hat: Welch
ein Unterschied besteht da doch zwischen dem Handeln Christi und dem, was noch in
einigen Bereichen geschieht! Der Fanatismus fordert die Steinigung; Christus antwortet
den Menschen, die die Ehebrecherin zu ihm brachten: „Wer von euch ohne Sünde ist,
werfe den ersten Stein gegen sie" (vgl. Joh 8,7). Der Ehebruch ist eine Sünde, die
immer zu zweit begangen wird, für die jedoch immer nur einer bestraft worden ist (und
in einigen Teilen der Welt immer noch bestraft wird). Die Gewalt gegen die Frau
ist nie abscheulicher als dann, wenn sie dort einzieht, wo gegenseitige Achtung und
Liebe herrschen sollten, in der Beziehung zwischen den Eheleuten. Es ist wahr, dass
die Gewalt nicht immer nur auf einer Seite gegeben ist, dass man auch mit dem Mund
und nicht nur mit den Händen gewalttätig sein kann, niemand aber kann leugnen, dass
bei der überwiegenden Mehrheit die Frau das Opfer ist. Es gibt Gegenden - auch
in Italien -, wo sich der Mann immer noch im Recht sieht, die Stimme und die Hände
gegen die Frau im Haus zu erheben. Ehefrauen und Kinder leben bisweilen unter der
konstanten Bedrohung des „Zorns des Vaters". Diesen Herrschaften müssen man liebenswürdig
sagen: „Liebe Geschlechtgenossen Männer, als Gott uns als Mann geschaffen hat, hatte
er nicht die Absicht, uns das Recht zu geben, bei der kleinsten Gelegenheit wütend
mit den Fäusten auf den Tisch zu hauen. Das Wort, das an Eva nach dem Sündenfall erging:
„Du wirst ihm (dem Mann) untertan sein" (vgl. Gen 3,16) war eine bittere Vorhersage,
keine Erlaubnis." Johannes Paul II. hat die Praxis der Vergebungsbitte für kollektive
Schuld eingeführt. Eine von ihren, die richtigste und am meisten notwendige, ist die
Vergebung, um die die eine Hälfte der Menschheit die andere bitten muss: die Männer
die Frauen. Sie darf nicht allgemein und abstrakt bleiben. Sie muss besonders bei
jenen, die sich als Christen bekennen, zu konkreten Gesten der Umkehr, zu Worten der
Entschuldigung und der Versöhnung in den Familien und in der Gesellschaft führen. *** Der
Abschnitt aus dem Brief an die Hebräer, den wir gehört haben, geht so weiter: „Er
hat mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn
aus dem Tod retten konnte". Jesus hat die Situation der Opfer in all ihrer Grausamkeit,
die erstickten Schreie und die stillen Tränen gekannt. Wir haben soeben seine Leidensgeschichte
gehört: ausgelacht, geohrfeigt, gegeißelt, in Händen von hemmungslosen Soldaten, gefesselt
und schließlich als Übeltäter gekreuzigt. In der Tat: „Wir haben ja nicht einen Hohenpriester,
der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche". In jedem Opfer von Gewalt erlebt
Christus erneut auf geheimnisvolle Weise seine irdische Erfahrung. Auch diesbezüglich
sagt er: „Ihr habt es an mir getan" (Mt 25,40). Aufgrund einer seltenen Koinzidenz
fällt dieses Jahr unser Osterfest in die Woche des jüdischen Pesach, das der Vorfahre
und die Gestalt ist, in der es sich herausgebildet hat. Dies drängt uns dazu, einen
Gedanken an die jüdischen Brüder zu richten. Sie wissen aus Erfahrung, was es bedeutet,
Opfer kollektiver Gewalt zu sein, und auch deshalb sind sie bereit, deren häufige
Symptome zu erkennen. Dieser Tage habe ich einen Brief von einem jüdischen Freund
erhalten, und mit seiner Erlaubnis möchte ich hier einen Teil daraus mit euch teilen: „Ich
verfolge angeekelt den brutalen und konzentrischen Angriff auf die Kirche, den Papst
und alle Gläubigen seitens der ganzen Welt. Der Gebrauch von Stereotypen, der Übergang
von der persönlichen Verantwortung und Schuld zu einer Kollektivschuld rufen mir die
schändlichsten Aspekte des Antisemitismus in Erinnerung. Daher möchte ich Ihnen persönlich,
dem Papst und der ganzen Kirche meine Solidarität als Jude des Dialogs sowie all jener
zum Ausdruck bringen, die in der jüdischen Welt (und es sind viele) die Gefühle der
Brüderlichkeit teilen. Ich wünsche Ihnen und allen Katholiken ein frohes Osterfest." Und
auch wir Katholiken wünschen unseren jüdischen Brüdern ein frohes Pesach-Fest. Wir
tun dies mit den Worten ihres alten Meisters Gamaliel, die in den jüdischen österlichen
Seder Eingang gefunden haben und von dort in die älteste christliche Liturgie
übergegangen sind: „Er hat uns von der Knechtschaft zur Freiheit übergehen lassen,
von der Traurigkeit zur Freude, von der Trauer zur Fest, von der Finsternis
zum Licht, von der Knechtschaft zur Erlösung, Daher sagen wir vor ihm: Halleluja"[5]. [1]
Augustinus, Confessiones, 10,43. [2] Vgl. R. Girard, La violence
et le sacré, Grasset, Paris 1972. [3] M. Kirwan, Discovering Girard,
London 2004. [4] Augustinus, Confessiones, 10,43. [5]
Pesachim, X,5 e Melito von Sardes, Osterpredigt, 68 (SCh 123, p.98).