Um sich erneuern zu
können, muss die Kirche auf die Opfer hören. Das hat Kardinal Christoph Schönborn
in einem Buß- und Klagegottesdienst am Mittwochabend im Wiener Stephansdom betont.
Der Wortgottesdienst stand unter dem Leitmotiv „Ich bin wütend, Gott!“; in
Fürbitten und einem besonderen Weihrauch- und Kerzenritus konnten die Gottesdienstbesucher
ihre Ohmacht, Enttäuschung sowie Hoffnungen und Bitten vor Gott tragen. Betroffene,
darunter auch Opfer, trugen dabei persönliche Missbrauchserfahrungen vor. Am Vorabend
des Gründonnerstag rief der Kardinal die Kirche eindringlich zur Umkehr auf:
„Wenn
jetzt die Opfer sprechen, dann spricht Gott zu uns, um die Kirche aufzurütteln und
zu reinigen. Dann spricht durch die Opfer der Gott zu uns, der zu Moses gesagt hat:
Ich habe sorgsam auf euch geachtet und habe gesehen, was man euch angetan hat.“
Beim
liturgischen Schuldbekenntnis, gesprochen von Schönborn und der katholischen Theologin
Veronika Prüller-Jagenteufel, kam die Schuld Einzelner sowie die kollektive Schuld
zur Sprache, die durch überkommene Strukturen, Verhaltens- und Denkmuster entstanden
sei. Durch die zahlreichen Missbrauchsfälle im Kreis der Kirche werde der Glaubensgemeinschaft
regelrecht „der Spiegel vorgehalten“, so Kardinal Schönborn. Besonders schwerwiegend
sei dabei die Tatsache, dass Missbrauch Gläubigen das Gottvertrauen nehme.
„Denn
er schändet den heiligen Namen Gottes. Er verstellt oft für ein ganzes Leben den Zugang
zu dem Gott, der mit uns ist und uns befreit. Missbrauch durch Gewalt im Sexuellen,
wenn sie durch Priester, Geistliche, Ordensleute geschieht, kann zur Gottesvergiftung
werden. Die Personen, die die Nähe und den Namen Gottes nahe bringen sollen, werden
zu Zerstörern der Gottesbeziehung. Das ist es, was den Missbrauch in der Kirche noch
einmal schlimmer macht.“
Das „Evangelium der Befreiung“
sei zu einer „Missbotschaft des Missbrauchs“ geworden, so der Kardinal wörtlich. Solange
die Kirche nicht hinschaue und hinhöre, werde sie den Zugang zum „befreienden, rettenden
Gott“ verstellen. Dieser Prozess müsse durchlaufen werden, so der Kardinal, das sei
man den Opfern schuldig:
„Es ist eine schmerzliche
Erfahrung für die Kirche, aber was ist dieser Schmerz im Vergleich zum Schmerz der
Opfer, den wir übersehen und überhört haben.“
Ausdrücklich
dankte der Wiener Erzbischof den Opfern, die bisher den Mut gefunden haben, zu sprechen.
Es sei „vieles aufgebrochen“, so der Kardinal, und es werde „weniger weggeschaut“.
Es bleibe jedoch noch viel zu tun, so Schönborn weiter. Zu dem Buß- und Klagegottesdienst
hatten der Wiener Kardinal, die Dompfarre und die Plattform „Wir sind Kirche“ gemeinsam
eingeladen.