Predigt in der „Missa in Coena Domini“ Lateranbasilika, 1. April
2010 Ausführlicher als die drei anderen Evangelisten berichtet uns der heilige
Johannes in seinem Evangelium in der ihm eigenen Art von den Abschiedsreden Jesu,
die gleichsam als sein Testament erscheinen und als Synthese des wesentlichen Kerns
seiner Botschaft. Am Anfang der Abschiedsreden steht die Fußwaschung, in der Jesu
erlösender Dienst für die reinigungsbedürftige Menschheit in einer Geste der Demut
zusammengefasst ist. Am Ende werden Jesu Worte zum Gebet, zu seinem hohepriesterlichen
Gebet, als dessen Hintergrund die Ausleger das Ritual des jüdischen Versöhnungsfestes
ausgemacht haben. Was an jenem Fest und in seinen Riten gemeint war, die Reinigung
der Welt, ihre Versöhnung mit Gott, geschieht in Jesu Beten, das zugleich die Passion
vorwegnimmt, sie in Gebet umwandelt. So wird im hohepriesterlichen Gebet auf eine
ganz eigene Weise auch das bleibende Geheimnis des Gründonnerstags sichtbar: das neue
Priestertum Jesu Christi und seine Fortführung in der Konsekration der Apostel, in
der Einbeziehung der Jünger in das Priestertum des Herrn. Aus diesem unerschöpflichen
Text möchte ich in dieser Stunde drei Worte Jesu herausgreifen, die uns tiefer in
das Mysterium des Gründonnerstags einführen können.
Da steht zunächst der Satz:
„Dies ist das ewige Leben, dass sie dich erkennen, den alleinigen, wahren Gott, und
den du gesandt hast, Jesus Christus“ (17, 3). Jeder Mensch möchte leben. Möchte wirkliches,
gefülltes Leben, das sich lohnt, das Freude ist. Mit der Sehnsucht nach Leben ist
zugleich der Widerstand gegen den Tod verbunden, der dennoch unausweichlich ist. Wenn
Jesus vom ewigen Leben spricht, dann meint er das eigentliche, das wirkliche Leben,
das zu leben sich lohnt. Dann meint er nicht einfach das Leben, das nach dem Tod kommt.
Er meint die eigentliche Weise des Lebens, ein Leben, das ganz Leben und daher dem
Tod entzogen ist, aber durchaus schon in dieser Welt beginnen kann, ja, in ihr beginnen
muss: Nur wenn wir jetzt eigentlich zu leben lernen, jenes Leben erlernen, das der
Tod nicht nehmen kann, hat die Ewigkeitsverheißung Sinn. Aber wie geschieht das? Was
ist das eigentlich, das wahrhaft ewige Leben, dem der Tod nichts anhaben kann? Die
Antwort Jesu haben wir gehört: Das ist das wahre Leben, dass sie dich erkennen – Gott
– und deinen Gesandten Jesus Christus. Leben ist Erkenntnis, wird uns da zu unserer
Überraschung gesagt. Das bedeutet zunächst: Leben ist Beziehung. Keiner hat es aus
sich selbst und nur für sich selbst. Wir haben es vom anderen her, in der Beziehung
zum anderen. Wenn sie Beziehung in der Wahrheit und in der Liebe ist, Geben und Empfangen,
gibt sie dem Leben Fülle, macht es schön. Aber die Zerstörung der Beziehung durch
den Tod kann gerade darum besonders schmerzhaft sein, das Leben selbst in Frage stellen.
Nur die Beziehung zu dem, der selbst das Leben ist, kann auch mein Leben über die
Wasser des Todes halten, mich lebendig durch sie hindurchführen. Schon in der griechischen
Philosophie gab es den Gedanken, der Mensch könne dann ewiges Leben finden, wenn er
sich an das anhängt, was unzerstörbar ist – an die Wahrheit, die ewig ist. Er müsse
sich gleichsam mit Wahrheit anfüllen, um den Stoff der Ewigkeit in sich zu tragen.
Aber nur wenn die Wahrheit Person ist, kann sie mich durch die Nacht des Todes hindurch
tragen. Wir halten uns an Gott fest – an Jesus Christus, den Auferstandenen. Dann
sind wir von dem getragen, der das Leben selber ist. In dieser Beziehung leben wir,
auch durch den Tod hindurch, weil der uns nicht verlässt, der das Leben selber ist.
Aber
kehren wir zu Jesu Wort zurück: Das ist das ewige Leben, dass sie dich erkennen und
deinen Gesandten. Erkenntnis Gottes wird ewiges Leben. Natürlich ist da mit Erkenntnis
mehr gemeint als äußeres Bescheidwissen, wie wir zum Beispiel wissen, wann ein berühmter
Mann gestorben ist und wann eine Erfindung gemacht wurde. Erkennen im Sinn der Heiligen
Schrift ist inwendiges Einswerden mit dem anderen. Gott erkennen, Christus erkennen
heißt immer auch: ihn lieben, mit ihm als Erkennender und Liebender irgendwie eins
zu werden. Unser Leben wird also dann eigentliches, wahres und so auch ewiges Leben,
wenn wir den erkennen, der der Quell allen Seins und Lebens ist. So wird das Wort
Jesu zu einem Anruf an uns: Werden wir Freunde Jesu, suchen wir, ihn immer mehr zu
erkennen. Leben wir im Dialog mit ihm. Lernen wir von ihm das rechte Leben, werden
wir seine Zeugen. Dann werden wir Liebende, und dann handeln wir recht. Dann leben
wir wirklich.
Zweimal im Lauf des hohepriesterlichen Gebetes spricht Jesus
von der Offenbarung des Gottesnamens. „Ich habe den Menschen, die du mir in der Welt
gegeben hast, deinen Namen offenbart“ (v. 6). „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan
und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei
und ich in ihnen“ (v. 26). Der Herr spielt damit auf die Szene am brennenden Dornbusch
an, aus dem heraus Gott Mose auf dessen Bitten hin seinen Namen offenbart hatte. Jesus
will also sagen, dass er das am brennenden Dornbusch Begonnene zu Ende führt. Dass
in ihm sich Gott, der sich dem Mose zu erkennen gegeben hatte, nun vollends offenbart.
Und dass er so die Versöhnung vollzieht: dass die Liebe, mit der Gott seinen Sohn
im Geheimnis seiner Dreifaltigkeit liebt, nun die Menschen einbezieht in diesen göttlichen
Kreislauf der Liebe. Aber was heißt das nun näherhin: Die Offenbarung aus dem Dornbusch
wird zu Ende geführt, kommt vollends an ihr Ziel? Das Wesentliche des Geschehens am
Berge Horeb war nicht das geheimnisvolle Namenswort gewesen, das Gott dem Mose sozusagen
als Erkennungszeichen mit auf den Weg gegeben hatte. Den Namen kundzugeben bedeutet,
in Beziehung zu dem anderen zu treten. So bedeutet die Namensoffenbarung, dass Gott,
der unendlich ist und in sich selber steht, in das Beziehungsgefüge der Menschen herein
tritt. Dass er gleichsam aus sich herausgeht und einer von uns wird, der mitten unter
uns und für uns da ist. Deswegen hat man in Israel unter dem Namen Gottes nicht bloß
ein vom Geheimnis umwobenes Wort verstanden, sondern die Tatsache des Mitseins Gottes
mit uns. Der Tempel ist nach der Heiligen Schrift der Ort, an dem Gottes Name wohnt.
Gott ist in keinen irdischen Raum eingeschlossen; er bleibt unendlich über der Welt.
Aber im Tempel ist er da als der für uns Rufbare – als der, der mit uns sein will.
Dieses Mitsein Gottes mit seinem Volk vollendet sich in der Fleischwerdung des Sohnes.
In ihr vollendet sich wirklich, was am Dornbusch begonnen hatte: Gott ist als Mensch
für uns rufbar und nahe. Er ist einer von uns, und er ist doch der ewige und unendliche
Gott. Seine Liebe tritt sozusagen aus sich heraus und in uns ein. Das eucharistische
Geheimnis, die Gegenwart des Herrn in den Gestalten von Brot und Wein ist die äußerste
und höchste Verdichtung dieses neuen Mitseins Gottes mit uns. „Wahrhaft, du bist ein
verborgener Gott, Gott Israels“, hat der Prophet Jesaja gebetet (45, 15). Das bleibt
immer wahr. Aber zugleich dürfen wir sagen: Wahrhaft, du bist ein naher Gott, du bist
ein Gott mit uns. Du hast uns dein Geheimnis geoffenbart und uns dein Gesicht gezeigt.
Du hast dich selbst offenbart und dich in unsere Hände gegeben… In dieser Stunde soll
uns die Freude und der Dank dafür ergreifen, dass er sich gezeigt hat. Dass er, der
Unendliche und unserem Verstand Unfassbare der nahe und der liebende Gott ist, den
wir kennen und lieben dürfen.
Die bekannteste Bitte aus dem hohepriesterlichen
Gebet ist die Bitte um Einheit für die Jünger, die jetzigen und die künftigen: „Nicht
nur für diese – die im Abendmahlssaal versammelte Jüngergemeinschaft – bitte ich,
sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben: dass sie alle eins seien,
wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, damit auch sie in uns sind, auf dass
die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“ (v. 20f; vgl. v. 11 und 23). Um was bittet
hier der Herr genau? Zunächst: Er betet für die Jünger der Gegenwart und aller künftigen
Zeiten. Er blickt in die Weite der kommenden Geschichte voraus. Er sieht deren Gefährdungen,
und er legt diese Gemeinschaft dem Vater ans Herz. Er erbittet die Kirche und deren
Einheit vom Vater. Man hat gesagt, im Johannes-Evangelium komme die Kirche nicht vor.
Hier erscheint sie mit ihren wesentlichen Eigenschaften: als die Gemeinschaft der
Jünger, die durch das apostolische Wort an Jesus Christus glauben und so eins miteinander
werden. Jesus erbittet die Kirche als eine und apostolische. So ist dieses Gebet ein
eigentlich Kirchen gründender Akt. Der Herr erbittet die Kirche vom Vater. Sie entsteht
aus dem Gebet Jesu und durch die Verkündigung der Apostel, die den Namen Gottes bekanntmachen
und die Menschen in die Gemeinschaft der Liebe mit Gott hineinführen. Jesus bittet
also darum, dass die Verkündigung der Jünger weitergeht durch die Zeiten. Dass sie
Menschen sammelt, die von dieser Verkündigung her Gott erkennen und seinen Gesandten,
den Sohn Jesus Christus. Er bittet darum, dass die Menschen zum Glauben geführt werden
und durch den Glauben zur Liebe. Er bittet den Vater, dass diese Glaubenden „in uns
seien“ (v. 21). Dass sie also in der inneren Gemeinschaft mit Gott und Jesus Christus
leben und aus diesem inneren Sein in der Gottesgemeinschaft sichtbare Einheit entstehe.
Zweimal sagt der Herr, diese Einheit solle bewirken, dass die Welt an die Sendung
Jesu glaubt. Es muss also eine Einheit sein, die man sehen kann. Eine Einheit, die
so sehr über das gewöhnlich bei Menschen Mögliche hinausgeht, dass sie für die Welt
zum Zeichen wird und die Sendung Jesu Christi beglaubigt. Das Gebet Jesu verbürgt
uns, dass die Verkündigung der Apostel nie verstummen kann in der Geschichte. Dass
sie immer Glauben wecken und Menschen zur Einheit sammeln wird – zu einer Einheit,
die Zeugnis wird für die Sendung Jesu Christi. Aber dieses Gebet ist doch immer auch
eine Gewissenserforschung für uns. In dieser Stunde fragt uns der Herr: Lebst du durch
den Glauben in der Gemeinschaft mit mir und so in der Gemeinschaft mit Gott? Oder
lebst du nicht doch für dich selber und so vom Glauben weg? Und bist du nicht damit
an der Spaltung schuldig, die meine Sendung in der Welt verdunkelt, den Menschen den
Zugang zur Liebe Gottes versperrt? Es hat zur historischen Passion Jesu hinzugehört
und bleibt Teil seiner die Geschichte hindurchgehenden Passion, dass er alles, was
die Einheit bedroht und zerstört, gesehen hat und sieht. Wenn wir die Passion des
Herrn betrachten, muss es dazu gehören, den Schmerz Jesu darüber zu empfinden, dass
wir seinem Gebet entgegenstehen. Dass wir seiner Liebe Widerstand leisten. Dass wir
der Einheit entgegenstehen, die der Welt Zeugnis seiner Sendung werden soll.
In
dieser Stunde, in der der Herr in der heiligsten Eucharistie sich selbst, seinen Leib
und sein Blut schenkt, sich in unsere Hände und Herzen gibt, wollen wir uns von seinem
Gebet treffen lassen. Wir wollen selbst in sein Beten hineintreten, und so bitten
wir ihn: Ja, Herr, schenke uns Glauben an dich, der du eins mit dem Vater im Heiligen
Geist bist. Schenke uns, in deiner Liebe zu leben und so eins zu werden, wie du mit
dem Vater eins bist, damit die Welt glaube. Amen.