Alte Grabenkämpfe führen zu Bigotterie, nicht zur Selbsterkenntnis. So kommentiert
die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin und evangelische Theologin Antje Vollmer die
Auseinandersetzungen um die Missbräuche. In einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel
fügte sie hinzu, der Grund des Übels sei noch gar nicht angeschaut worden. Vollmer
wörtlich: „Es gibt überhaupt keinen gesellschaftlichen Raum, der vor Missbrauch sicher
ist.“ Es sei Expertenmeinung, dass Missbrauch am häufigsten innerhalb enger familiärer
Beziehungen vorkomme, was bedeute, dass das Weggucken allgemein in der Gesellschaft
vertreten sei. Vollmer, die Vorsitzende des Runden Tisches Heimerziehung ist, benennt
auch das Störende an dieser Debatte. „In dem Moment, wo Fehlentwicklungen beklagt
werden, sucht und findet man einen Schuldigen, der nicht man selbst ist. Wenn eine
Gesellschaft Liberalisierung will, kann sie nicht gleichzeitig nach alten Autoritäten
zur Schuldentlastung rufen“, so Vollmer. Und weiter: „Es geht fröhlich gegen die katholische
Kirche, die man wegen ihrer ungeliebten Sexualmoral nun endlich mal vorführen kann.
Das konservative Lager und seine Presse befeuern umgekehrt die beliebte Anti-68er-Debatte
neu.“ Hier würden alte Kämpfe neu aufgelegt, die nichts nützten.