Die Bischofskonferenz sieht nach der Veröffentlichung des Hirtenbriefs zum sexuellen
Missbrauch in der irischen Kirche und nach dem Bekanntwerden verschiedener Missbrauchsfälle
in der Schweiz vorerst keinen Handlungsbedarf. Das erklärte ihr Informationsbeauftragter
Walter Müller am Samstag. Der Brief des Papstes an die Katholiken in Irland sei auch
für die Schweizer Kirche eine Ermutigung und eine Bestärkung darin, den eingeschlagenen
Weg fortzusetzen. Derweil übt der Einsiedler Abt Martin Werlen Kritik an der Kommunikationsarbeit
des Vatikans. Ein Wort des Papstes müsse „in die Situation hingesprochen sein und
darf nicht zwei Monate später kommen“, so der Benediktinerabt in einem Interview.
Er fürchte, Rom nehme den gegenwärtigen Missbrauchsskandal nicht ernst genug. Werlen
wörtlich: „Wenn ich daran denke, dass der Brief in englischer und italienischer Sprache
herauskommt, aber nicht in Deutsch, dann verkennt man die Situation, wie sie zurzeit
auch im deutschsprachigen Raum ist.“ Er plädiert außerdem für ein offensives Angehen
der Probleme, denn „unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel“. Mit seinem Ansatz
fühlt sich der Einsiedler Abt laut Interview jedoch „sehr einsam“. Nur wenige Verantwortungsträger
schätzen seines Erachtens die Situation richtig ein. Abt Martin Werlen drängt auch
auf ein Zentralregister von kirchlichen Missbrauchs-Tätern in Rom, „weil sich zeigt,
dass Versetzungen von Priestern nicht nur innerhalb eines Landes geschehen“.
Der
Bischof von Sitten und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Norbert Brunner,
verweist in einem Interview auf die 2002 geschaffenen Strukturen zum Umgang mit Missbrauchsfällen:
Sie seien „in der heutigen Situation sehr hilfreich“. Die Häufung, mit der in den
letzten Wochen Missbrauchsfälle bekannt worden, überrasche ihn, so Brunner. Er führt
sie darauf zurück, dass „die Gesellschaft heute sensibilisierter auf sexuellen Missbrauch
reagiert und das Thema in den Medien präsent ist“. Die Häufung der Fälle ist nach
Ansicht Brunners allerdings zu relativieren, weil sie sich auf mehrere Jahrzehnte
beziehen. Brunner betonte in dem Interview weiter, dass auch fehlbare Priester eine
zweite Chance bekommen sollten: „Wenn ich die Garantie habe, dass sich sein Vergehen
nicht wiederholt, dass er bereut und die nötige Wiedergutmachung geleistet hat, kann
er durchaus in einer Aufgabe tätig bleiben.“ Einen Zusammenhang zwischen den Missbrauchsfällen
und dem Zölibat weist Brunner zurück. Auch eine allgemeine Entschuldigung der Institution
Kirche „für die Tat eines anderen“ sei problematisch. Brunner wörtlich: „In erster
Linie trägt der Täter die Verantwortung. Die Bischöfe haben aber die Pflicht, die
Priesteramtskandidaten sorgfältig zu prüfen.“ Die eigene Sexualität ist im Priesterseminar
Schulstoff. Darauf weist Ernst Fuchs, Leiter des Churer Priesterseminars, in einem
Interview hin. Vor einer Aufnahme müssen die Anwärter zudem psychologische Tests bestehen.
Jeder zweite Anwärter wird nach Worten von Fuchs abgelehnt. Die Sexualität werde während
der Ausbildung im Seminar regelmässig thematisiert: in jährlichen Vorlesungen, Gesprächen
unter vier Augen und alle zwei Jahre in einem Wochenendseminar. Mehr Klarheit im
Umgang mit Missbrauchsfällen wünscht sich der Luzerner Kirchenrechtler Adrian Loretan.
Eine Zeitung zitiert ihn mit den Worten: „Es genügt nicht, zu warten, bis die Opfer
Klage erheben vor einem staatlichen Gericht. Dazu sind die Fälle zu gravierend.“ Der
Schweizer verwies auf den Vorstoss der bayerischen Bischöfe, die vor wenigen Tagen
einstimmig beschlossen haben, künftig jeden Missbrauchsverdacht in der Kirche der
Staatsanwaltschaft zu melden und diese Selbstverpflichtung in ihren kirchlichen Leitlinien
so festzuhalten. (kipa 21.03.2010 sk)