Die Türkei und Europa
– das scheint eine endlose Geschichte zu sein. An der Frage des EU-Beitritt des Landes
scheiden sich politisch die Geister, andere sehen die kulturelle Identität Europas
bedroht. Das muss doch auch irgendwie anders gehen! Dominik Skala im Gespräch mit
einem deutschen Diplomaten.
Die Identität Europas darf man nicht auf dem Status
quo einfrieren. Das ist die zentrale Forderung von Rudolf Schmidt, langjähriger Botschafter
der Bundesrepublik Deutschland in der Türkei. An der römischen Jesuitenuniversität
Gregoriana warb er in der vergangenen Woche für einen dynamischen Identitätsbegriff,
der auch in der Zukunft noch neue Beziehungen Europas zu anderen Ländern, insbesondere
der Türkei, möglich mache.
„Das Problem ist, dass der Begriff ‚Identität’
die Gefahr in sich birgt, sich selbst abzuschließen in dem gegenwärtigen Zustand,
in dem man ist. Ungefähr so: ‚Das ist unsere Identität, wir müssen sie bewahren und
verteidigen.’ Ich würde sagen: Unsere Identität als Europa sollte gerade darin bestehen,
dass wir – so wie wir uns in den vergangenen Jahren institutionell und kulturell weiter
entwickelt haben – auch in Zukunft offen bleiben für weitere Entwicklungen.“
Schmidts
großes Thema sind die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei.
Die Türkei habe, so Schmidt, eigentlich seit dem 19. Jahrhundert eine Europäisierungsgeschichte
durchlaufen, inklusive weitgehender Säkularisierung und Beitritt zum Europäischen
Rat und zur NATO. Im Bezug auf den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, die
sich über ein gemeinsames „kulturelles, religiöses und humanistisches Erbe“ definiere,
stockten die Verhandlungen aber vordergründig aus politischen Gründen.
„Es
stockt aus zwei Gründen. Der erste ist, dass einige Mitgliedsstaaten sich in den Verhandlungen
so verhalten, dass die Verhandlungen langsamer vorangehen. Technisch gesagt: Sie widersetzen
sich der Öffnung neuer Verhandlungskapitel. Aber das wirklich große Problem ist die
Frage nach Zypern. Zypern unter seiner zyprisch-griechischen Regierung ist Mitglied
der Union und Zypern ist nach wie vor geteilt. Offenbar hat die Türkei einen anderes
Verständnis über die Einigung Zyperns als die zyprisch-griechische Regierung und das
ist ein schwieriges Problem.“
Ein Miteinander von Türkei
und Europäischer Union setze auch einen Wandel auf beiden Seiten voraus. Ein wichtiger
Punkt sei dabei, die Multireligiosität sowohl in Europa als auch in der Türkei endlich
ernst zu nehmen. In Europa tue man sich da mit Blick auf den Islam oft noch schwer.
Aber, so Schmidt, vor allem die Türkei habe sich da weiterzuentwickeln:
„Für
die Türkei gilt auch, dass sie eine multireligiöse Gesellschaft ist, wenn auch mit
einer riesigen Mehrheit an sunnitischen Muslimen. Es gibt aber auch christliche Gemeinden
in der Türkei und es gibt die große Gruppe der Alleviten, einer Sonderform des Islam.
Das muss die Türkei anerkennen und sie sollte den Christen nicht nur das individuelle
Recht auf Religionsfreiheit zugestehen, sondern auch den christlichen Gemeinden einen
sicheren Status geben.“
Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit Europas
mit der Türkei speise sich aber auch aus anderen Motiven, so Schmidt. Europas Funktion
im Mittleren Osten werde immer wichtiger, weshalb es entscheidend sei, die Türkei
als langfristigen und zuverlässigen Partner nicht zu vergraulen.
„Ansonsten
glaube ich, dass Europa mehr und mehr eine außenpolitische Rolle wird spielen müssen,
gerade auch in der Region des Mittleren Ostens. Da müssen wir lernen, dass wir die
Beziehungen zur Türkei dazu nutzen können. Für die Türkei selbst: Sie wird vielleicht
irgendwann die Lust verlieren und sagen: ‚Wir haben jetzt so lange gewartet, wir wollen
selbstständig bleiben und uns nicht mehr in die EU integrieren.’ Das birgt natürlich
gewisse Risiken.“
Positiv gewendet kann sich Rudolf Schmidt das Miteinander
von Türkei und Europa durchaus als Modell für das Miteinander in der Welt vorstellen.
Das erfordere aber neue Formen des Miteinanders und einen Mentalitätswandel, etwa
ganz im Sinne Johannes Paul II., der sich immer wieder ein geeintes Europa in aller
erforderlichen Vielfalt gewünscht habe.
„Tatsache ist, dass wir als Folge
einer Globalisierung, die ja weit über das Wirtschaftliche hinausgeht, immer enger
in Verbindung sind mit Menschen anderer Nationen, Kulturen und Religionen. Das wir
für diese Nähe, für dieses Angewiesensein und diese Abhängigkeiten neue Formen finden
müssen, ist die wesentlich Aufgabe, vor der wir stehen. Die wesentliche Voraussetzung
dafür ist aber, dass wir alle dazu bereit sind.“