2010-03-19 17:17:47

Oberammergauer Passionsspiele 2010 - Ein Gespräch mit Spielleiter Christian Stückl


RealAudioMP3 Oberammergau, 1633. In Bayern wütet der Dreißigjährige Krieg und in seinem Gefolge die Pest. Als die Krankheit das Dorf erreicht, flehen die Bürger Gott um Hilfe an. In der Hoffnung, von der Pest von nun an verschont zu bleiben, leisten sie einen Schwur: Sie werden alle zehn Jahre das Passionsspiel aufführen, für immer. Seit diesem Gelübde gab es im Ort keine Pesttoten mehr. Und ihr Versprechen halten die Oberammergauer bis heute – seit über 375 Jahren. Mit 24 Jahren ist Christian Stückl 1990 zum jüngsten Spielleiter von Oberammergau gewählt worden. Seitdem steht der gebürtige Oberammergauer den Spielen vor. Sein Bezug zu den Spielen reicht aber noch weiter zurück:

„Bei uns in der Familie waren über Generationen hinweg alle an den Spielen beteiligt. Mein Uropa hat schon im Hohen Rat mitgespielt. Dann mein Opa und mein Papa. Als Kind habe ich immer gedacht: Das ist ein Erbbauernhof, den krieg ich auch mal! 1970 mit acht Jahren war ich schon ständig im Theater. Wie ich die zweite Schulklasse da mitgekriegt habe, weiß ich schon gar nicht mehr! Mein Beiname lautete damals Bühnenschreck. Ich habe mich ständig ins Bühnenbild geschmuggelt, bis mir der damalige Spielleiter eine Backpfeife verpasst hat. Und angeblich bin ich dann nach Hause gerannt und habe gesagt: Wenn ich einmal Spielleiter bin, dann hau ich dem auch eine na! Also kam mein erster Wunsch, Passionsspielleiter zu werden, aus niederen Beweggründen. Und so mit fünfzehn, sechzehn wusste ich tatsächlich: Ich werde einmal Spielleiter! Den Begriff „Regisseur“ hat es bei uns erst gar nicht gegeben. Das heißt hier einfach Spielleiter.“

Die Gretchenfrage werde ihm seitdem immer wieder gestellt, berichtet Stückl… und wie hält er es nun mit der Religion?

„Wenn man als Bub so in die ganze Geschichte hineinwächst, fragt man sich das gar nicht. Man fragt nicht: Wie katholisch bin ich oder wie katholisch ist meine Großmutter? Ganz früh wollte ich schon Ministrant werden, weil mich das begeistert hat. Alles, was Kirche ist, hat mich schon immer begeistert. Als Bub habe ich Kirche, glaube ich, als Theaterveranstaltung empfunden.“

Und der Spielleiter erklärt weiter:

„Trotzdem ist es so, dass man, wenn man sich selbst ganz persönlich nach seinem Glauben fragt, manchmal schon ins Zweifeln kommt. Eine Tante von mir hat immer gesagt: Ist der Deckel mal zu, dann bleibt er auch zu. Und meine Oma sagte dann immer: Hoffentlich kommt die Auferstehung! Und wissen tut man natürlich gar nichts. Aber ich kann sagen, dass mir die Passionsgeschichte sehr viel gibt und mich mitreißt, auch wenn da Zweifel übrig bleiben.“

Bei den Massenszenen der Passionsspiele stehen über 1000 Menschen auf der offenen Bühne. Dabei sind die Spiele immer eine ganz eigene Leistung des Holzschnitzerdorfes geblieben: Nur gebürtige Oberammergauer oder Leute, die seit mindestens zwanzig Jahren hier leben, dürfen mitmachen beim Spiel vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Christi. Seit Kurzem spielen auch Muslime bei der Passion mit. Stückl erinnert sich:
 
„Bei einer Kinderprobe haben wir jede Schulklasse einzeln singen lassen und es war eine Katastrophe. Keiner hat singen können. Bis auf einen Bub, der aus voller Brust sein „Heil dir! Heil dir, oh Davidssohn!“ geschmettert hat. Dann bin ich hingegangen und hab ihn gefragt, wie er heißt: „Abdullah!“ Ihn hab ich dann als Beispiel für alle vorsingen lassen. Dreimal musste ich zu seinem Vater, damit er mitsingen durfte. „Aber mach mich nicht katholisch!“ hat der kleine Kerl dann noch gesagt. Ich habe geantwortet: „Keine Sorge, ich lasse jedem seinen Glauben!“ Sehr nett war das.“

Ungefähr die Hälfte der gut 5000 Oberammergauer macht bei der Passion mit: Als Bühnenarbeiter, als Musiker im Orchester, im Chor und natürlich auf der Bühne. Im normalen Leben ist einer der beiden Christusdarsteller Psychologe. Herodes arbeitet als Zahnarzt und Maria Magdalena als Flugbegleiterin. Das Casting, seine Suche nach der Traumbesetzung, beschreibt der Spielleiter so:

„Irgendwann bin ich nur noch durchs Dorf gegangen und habe gedacht: „Römer!“ oder „Apostel!“ Bei den vielen hundert Darstellern, die man braucht, tickt man ab einem bestimmten Punkt so. Und öfters hab ich mir schon einen Namen notiert, den ich mir für die Spiele in zehn Jahren vorgemerkt habe! Schließlich muss man die kommenden Generationen stark mit einbeziehen!“

Die Geschichte bleibt, doch das Spiel ändert sich: jede Zeit bringt neue Gesichter, neue Bühnenbilder, neue Inszenierungen hervor. Stückl habe das einst verstaubte und latent antisemitische Dorfspiel auf höchstem Niveau reformiert, so internationale Kritiker. Er beschreibt:

„Als ich so ungefähr siebzehn Jahre alt war, lag auf einmal von der Anti-Defamation League aus den USA ein Schreiben vor, das gefordert hat, die Passionsspiele müssten von Antijudaismen befreit werden. Und ich bin zu meinem Großvater und habe gefragt, was das denn sind, Antijudaismen. Antisemitismus kannte ich schon. Meinem Opa war die Frage etwas unangenehm. Und mich hat das neugierig gemacht, die Frage, was an den Spielen wohl antijüdisch sein könnte. Seitdem habe ich mich damit auseinander gesetzt. Wir Jungen haben daraufhin etwas an den Spielen verändern wollen – zum Unmut der konservativen Kreise im Ort damals. Ich habe den Spielleiter beobachtet und festgestellt, dem geht es ja gar nicht um Religion! Der macht ja nur Vorgaben wie für leere Puppen! Dann habe ich mich mit Mitte zwanzig zum Spielleiter wählen lassen, mit einer Stimme Mehrheit im Gemeinderat.“

Von Mai bis Oktober 2010 wird eine halbe Million Menschen aus der ganzen Welt nach Oberammergau kommen. Ganze achtzig Prozent der Besucher seien Protestanten, was sich durch den hohen Besucheranteil aus dem englischsprachigen Sprachraum erkläre. Stückl setzt allerdings für diese Saison verstärkt auf das deutschsprachige Publikum:

„Eigentlich habe ich schon immer gesagt, dass wir uns aus der Abhängigkeit vom amerikanischen Markt lösen müssen. Jetzt merken wir zum Beispiel besonders die Finanzkrise. Aber vor allem denke ich, dass wir, so gern ich die Amerikaner bei uns habe, an erster Stelle für diejenigen aufspielen, die unsere Sprache sprechen und das Gezeigte auch im Wortlaut verstehen!“

Die Passion hat epische Dimensionen: Eine Aufführung dauert fünf Stunden – unterbrochen mit einer dreistündigen Pause. Über einhundert Mal wird das Passionsspiel auch in dieser Saison vor der beeindruckenden Kulisse der Alpen aufgeführt werden, bevor sich der Vorhang wieder für zehn Jahre schließt.

(passionsspiele2010.de/katholisches bildungswerk bad tölz 19.03.2010 vp)








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