2010-03-19 15:11:53

Europa und das Christentum: Eine Kolumne von Botschafter Hans Henning Horstmann


Jeden Monat kommentiert der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Dr. Hans Henning Horstmann, für uns herausragende Ereignisse. In diesem März beschäftigt sich die Kolumne des Diplomaten mit dem heiligen Benedikt.

„Sehr verehrte Hörerinnen, sehr verehrte Hörer, der Abt des Benediktinerklosters von Montecassino hat für den 21. März zum traditionellen Feiertag des Heiligen Benedikt, Schutzpatron von Europa, die europäischen Botschafterinnen und Botschafter beim Heiligen Stuhl zu einer Festmesse eingeladen, die von dem Kardinalstaatssekretär zelebriert werden wird. Dieser Festgottesdienst zu Ehren des Schutzpatrons von Europa hat Tradition. Die Teilnahme des italienischen Außenministers, insbesondere aber auch des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Antonio Tajani und einer Vielzahl europäischer Vertreter beim Vatikan sind sichtbares Zeichen für die enge Verbundenheit von Kirche und Europa. Ich selbst werde zusätzlich am traditionellen Benedikt-Fest des Benediktiner-Kollegs von Sant'Anselmo in Rom teilnehmen. Also: zwei Ehrentage für Benedikt und Europa in meinem Terminkalender!

Die Geschichte Europas ist vor allem auch die Geschichte der Christianisierung unseres Kontinents. Gemeinden, Regionen und die überwiegende Zahl der europäischen Nationen haben ihre Schutzheiligen (so z.B. Bonifatius für uns Deutsche). Sie sind heute vielfach in Vergessenheit geraten. Die Trennung von Staat und Kirche, die zunehmende Säkularisierung unseres Kontinentes und das Wirken anderer Religionsgemeinschaften haben zu dem Vergessen beigetragen. Dennoch: die christlichen Schutzpatrone wirken für eine Vielzahl von Christen in Europa weiter.

Der Vertrag von Lissabon hält in der Präambel fest: "Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas". In Artikel 16 c bei insgesamt 358 Artikeln des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt es: "Die Union pflegt mit diesen Kirchen in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog." Eine Vielzahl von Kirchen in Europa hat sich in der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) organisiert: es ist eine Gemeinschaft von 126 orthodoxen, protestantischen und anglikanischen Kirchen aus allen Teilen Europas. Die COMECE (Commissio Episcopatuum Communitatis Europensis) setzt sich aus den delegierten Bischöfen der 24 katholischen Bischofskonferenzen auf dem Gebiet der Europäischen Union zusammen. Sie treffen sich zwei Mal pro Jahr zu einer Vollversammlung und haben wie die KEK ein Sekretariat in Brüssel. Beide Kommissionen, KEK und COMECE, arbeiten in vorbildlicher Ökumene zusammen und richten zu essentiellen Fragen öffentliche Schreiben an die Verantwortlichen in und für europäische Politik.

In dem gemeinsamen öffentlichen Brief "Für ein Europa mit gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Hoffnung" haben sie eindringlich gefordert: die europäische Integration darf sich nicht auf die wirtschaftliche und politische Dimension reduzieren lassen. Die europäischen Kirchen betonen in diesem Schreiben die große Bedeutung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs, da Europa Heimat vieler Nationen, Kulturen und Religionen ist.

Die beiden europäischen kirchlichen Kommissionen sind wie der Heilige Stuhl nicht nur mit der Europäischen Union sondern insbesondere mit dem Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz: OSZE, eng verbunden. Der Heilige Stuhl hat einen Ständigen Vertreter bei dem Europarat in Straßburg und bei der Europäischen Union, er ist Vollmitglied der OSZE. Die Europäische Kommission ist durch einen Botschafter beim Heiligen Stuhl präsent.

Die Zusammenarbeit von Kirche, Heiligem Stuhl und den staatlichen Autoritäten in Europa reflektiert die Vielfalt europäischer Zusammenarbeit. Die nationalen Bischofskonferenzen, z.B. die Deutsche Bischofskonferenz, arbeitet in wichtigen Fragen eng mit der Bundesregierung zusammen. Ein Beispiel ist das nunmehr vereinbarte Forum von Deutscher Bischofskonferenz, drei Bundesministerien (Bildung, Familie und Justiz) sowie anderen staatlichen, kirchlichen und Nicht-Regierungs-Organisationen zur Aufklärung der uns alle erschütternden sexuellen Missbrauchsfälle von Minderjährigen in unserer Gesellschaft. Auf karitativem Gebiet hat sich eine Jahrhunderte alte Tradition bewährt und sie wird stetig für die Armen und Schwachen zu Hause und in aller Welt fortentwickelt. Der Heilige Stuhl ist hier mit dem Päpstlichen Rat "Cor Unum" ein kräftiger, globaler Impulsgeber und Helfer. Ich selbst weiß aus meiner Zeit in Afrika, dass Kirche oft weitaus effizienter helfen kann als staatliche Bürokratie. Die europäische Zusammenarbeit zwischen den europäischen weltlichen Institutionen, den Bischofskonferenzen und dem Heiligen Stuhl ist von eminenter Bedeutung für den Kampf gegen Rassismus und für die Integration der Migranten. Da die Bereiche Einwanderung und Asyl für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine nunmehr mindestens über zwanzig Jahre alte Herausforderung ist, die täglich dringlicher wird, ist das Zusammenwirken auf diesen Gebieten besonders wichtig. Diese Zusammenarbeit ist umso wichtiger, weil die europäischen Nationen aufgrund ihrer historischen, vielfältigen und vielschichtigen Erfahrungen die Fragen von Migration unterschiedlich perzipieren. Kirche kann auf diesem Gebiet solidarisch wirken.

Die europäische Geschichte ist ohne das Christentum nicht denkbar, die Gegenwart lässt sich mit gelebter Ökumene und interreligiöser Kooperation besser gestalten. Die Zukunft stellt uns lokal, regional, vor allem aber global vor Herausforderungen, bei der wir auf die Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Weltkirche angewiesen sind.“

(rv 19.03.2010 sk)







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