Der deutsche Kurienkardinal
Walter Kasper hat im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in Deutschland nie von
Entschädigungen gesprochen. Das präzisiert Kasper in einem Exklusiv-Interview mit
Radio Vatikan. Er verteidigt den Vatikan und die deutschen Bischöfe: Die Missbrauchsfälle
seien von der Kirche entschieden angegangen worden, sagt der Kardinal. Die Fälle würden
nicht allein die katholische Kirche betreffen. Kardinal Kasper will deshalb ein kürzlich
wiedergegebenes Interview richtigstellen.
Herr Kardinal, in den vergangenen
Tagen sorgte in Deutschland die Debatte zum Thema „Missbrauch“ für Schlagzeilen. Die
katholische Kirche war natürlich sehr davon betroffen. Ihre Einschätzungen dazu?
„Es
ist ein trauriges Thema und erfüllt uns mit Scham, dass solche Dinge in katholischen
Einrichtungen vorgekommen sind und dass Kinder missbraucht wurden. Dass dies verwerflich
ist, darüber kann überhaupt keine Frage bestehen. Dass dies auch aufgeklärt werden
muss, ist völlig klar. Ich habe den Eindruck, die Deutschen Bischöfe tun in dieser
Situation das, was möglich ist. Sie verhalten sich sehr klug. Ich habe dazu kürzlich
Stellung genommen und zwar in einer italienischen Zeitung [„La Repubblica“, Anmerkung
der Redaktion]. Die Wiedergabe war allerdings sehr frei. Vor allem habe ich kein Wort
gesagt zu möglichen oder erforderlichen Entschädigungen. Das ist eine juristische
Frage, die völlig außerhalb meines Gesichtskreises und meiner Zuständigkeit ist. Dazu
habe ich kein Wort gesagt.“
Sie kennen die katholische Kirche in Deutschland
sehr gut. Sie wissen auch, dass in der Vergangenheit bereits Anti-Missbrauchsmaßnahmen
ergriffen wurden. Was halten Sie von den bisherigen Richtlinien?
„Die
katholische Kirche in Deutschland ist die einzige Institution, die dazu Richtlinien
erlassen hat. Diese kann man jetzt aufgrund der Erfahrungen sicherlich verbessern.
Fakt ist aber, dass wir bereits Richtlinien haben. Nun müssten auch alle anderen Institutionen,
die davon betroffen sind, solche Maßnahmen ergreifen. Denn Missbrauch ist kein katholisches,
sondern ein gesellschaftliches Problem. Jetzt muss man also gemeinsam zusammensitzen
und überlegen, was man für die Prävention tun und wie man den Opfern helfen kann.“
Und
wie ist es aus Vatikan-Sicht? Der Vatikan ist ja nicht schweigsam oder unternimmt
nichts in Sachen Missbrauch. Auf Weltkirchenebene gibt es doch Richtlinien.
„Selbstverständlich
hat der Vatikan mehrfach Stellung dazu genommen. Das war so, als die Missbräuche in
den Vereinigten Staaten in den Schlagzeilen waren und in Irland die Fälle bekannt
wurden. Der Vatikan unterstützt selbstverständlich die Ortsbischöfe. Über die klare
Meinung des Papstes zu dieser Frage besteht kein Zweifel. Es ist leider ein völlig
falscher Zungenschlag hereingekommen über die deutsche Bundesjustizministerin. Ich
habe den Eindruck, sie kennt das Kirchenrecht nicht. Sie kann nicht unterscheiden,
was kirchenrechtliche Zuständigkeit und staatliche Kompetenzen sind. Das sind unterschiedliche
Rechtskreise und Vorgänge. Selbstverständlich ist es so, dass dort, wo es notwendig
ist, eine Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften gefördert wird. Schweigemauern
werden nicht von der Kirche aufgebaut. Ich habe gewisse Erfahrungen als Bischof gesammelt.
Ich hatte damals meinen Personalreferenten zu den Eltern geschickt, wo Vorwürfe da
waren. Die Eltern schwiegen, obwohl wir sie gedrängt hatten, dass sie reden sollten.
Diese Vorwürfe gegen die katholische Kirche, dass wir nicht zusammenarbeiten würden
und Schweigemauern aufbauen, sind völlig absurd und außerhalb der Welt.“
Themenwechsel:
An diesem Sonntag wird Papst Benedikt XVI. die lutherische Gemeinde in Rom besuchen.
Sie sind im Vatikan für die Ökumene – und auch für den Dialog mit dem Luthertum –
zuständig. Ihre Einschätzung zu diesem Besuch, der ja auch für Deutschland sicherlich
wichtig ist?
„Ich freue mich über diesen Besuch. Die Visite ist ein
Ausdruck der gewachsenen Zusammenarbeit und Nähe zwischen uns und den lutherischen
Christen in Deutschland und der lutherischen Gemeinde hier in Rom. Es ist eine gute
und freundschaftliche Beziehung, die der Papst zum Ausdruck geben möchte. Er leistet
zugleich einen Beitrag zur weiteren Verbesserung des Verhältnisses zu den lutherischen
Christen, die in Deutschland sind. Der Dialog mit den Lutheranern war ja einer der
ersten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dieser Dialog hat wesentliche Fortschritte
gemacht. Man denke hierbei an die Rechtfertigungslehre. So hoffen wir, dass das eine
Zukunftsperspektive eröffnet. Ich freue mich, am Sonntag dabei sein zu können.“