„Der Islam in Europa
nähert sich immer mehr dem Christentum an – nur wollen wir das nicht wahrnehmen.“
Das hat jetzt der französische Philosoph Olivier Roy, der Leiter des Nationalen Forschungszentrums
in Paris ist, gegenüber der Zürcher „Sonntagszeitung“ geäußert. Die Internetseiten
muslimischer Gemeinden in Frankreich und Deutschland seien beispielsweise auf Französisch
beziehungsweise Deutsch geschrieben, betonte der Politologe. Besonders kritisierte
er das Schweizer Minarettverbot vom vergangenen November. Denn die Minarette seien
der Versuch, sich den Christen anzunähern. Sie zeigten den Wunsch, muslimische Gemeinden
zu bilden, die sichtbar sind und ähnlich funktionieren wie christliche, so Roy.
Dass
sich der Islam und das Christentum näher stehen, als oftmals gedacht, hat jüngst auch
der Botschafter der Türkei beim Heiligen Stuhl, Kenan Gürsoy, betont. Er legte im
Rahmen der Vortragsreihe „Identität und Religion“, die am Dienstagabend an der Päpstlichen
Jesuitenhochschule Gregoriana in Rom gestartet ist, seine Vorstellung vom Miteinander
der Religionen dar:
„Wir alle sind von einer bestimmten Tradition geprägt
und darüber hinaus Gläubige einer bestimmten Religion. Das, was uns aber allen gemeinsam
ist, das ist er ethische Anspruch, der unseren Religionen inne wohnt. Ihr Bewusstsein
um Werte. Hierin zeigt sich die universelle Größe der Religionen, trotz aller Verschiedenheiten.
So etwas wie eine interreligiöse Ethik. Und jeder von uns muss auf die Suche nach
dieser universellen Botschaft gehen.“
Die islamische Mystik könne eine
Brücke zu diesem Universalismus bauen, vertiefte der Diplomat seine Ansicht. So vereine
die jahrhundertealte Tradition des Sufismus verschiedene mystische Strömungen, die
von der meditativen Rezitation der „neunundneunzig schönsten Namen Gottes“ und damit
von der Reflexion der eigenen Gottesbeziehung lebten. Das bereite auch den Weg für
die Begegnung mit anderen Religionen und könne dazu beitragen, Vorurteile, die besonders
im Zuge des radikalislamischen Terrorismus angewachsen seien, abzubauen:
„Der
Sufismus ist keine Doktrin und kann keine eigene Kirche begründen. Er ist auch keine
religiöse oder philosophische Schule, sondern vielmehr eine Energie. Und diese ermöglicht
es uns, die verschiedenen Linien des Islam in einem neuen Licht zu sehen. So können
auch die sunnitische und schiitische Tradition in Einklang miteinander gebracht werden.
Und mehr noch: Die sufische Blickrichtung ermöglicht es uns, alle monotheistischen
Religionen neu wahrzunehmen! Hier wird so etwas wie eine Neuinterpretation der Geschichte
der Religionen auf philosophischer Ebene möglich – auch, wenn das erstmal eine Utopie
darstellt.“