„Vom Exzess zur Schwäche“
– so beschreibt der rumänische Psychiater Ion Vianu den Wandel seines Heimatlandes
nach dem Fall Ceausescus. „Zwanzig Jahre nach der antikommunistischen Revolution befinden
wir uns noch immer in der Schwebe zwischen einer postsowjetischen Oligarchie und einer
Demokratie nach westlichem Modell“, so der aus Bukarest stammende Arzt in einem aktuellen
Beitrag für die „Neue Züricher Zeitung“. Dieser prekäre Zustand ist auch in der Kirche
des Landes spürbar. Aufgrund starker Abwanderung vor allem der jungen Bevölkerung
ist die Zahl der Priesteramtskandidaten gesunken. Nach Zeiten von Unterdrückung und
Verfolgung ist auch die Ökumene eine echte Herausforderung. Der Erzbischof von Bukarest,
Ioan Robu, erzählt uns im Interview von den Schwierigkeiten, mit denen die Glaubensgemeinschaft
in Rumänien zu kämpfen hat. Er und andere rumänische Oberhirten schließen ihren Ad-Limina-Besuch
im Vatikan an diesem Samstag ab.
„In der katholischen Kirche Rumäniens
gibt es drei Riten, den lateinischen, byzantinischen und armenischen, und drei liturgische
Hauptsprachen: Rumänisch, Ungarisch und Deutsch. Das spiegelt in gewisser Weise die
universelle Kirche wider. Unser Kirchenleben nimmt langsam Normalität an. Vor 1989
konnte man den Glauben nur hinter den Kirchenmauern leben, heute hat sich der Bereich
der Glaubensarbeit verbreitert: Wir gehen in die Medien, Schulen und Gefängnisse.“
Gut
86 Prozent der Rumänen gehören der rumänisch-orthodoxen Kirche an, knapp sieben Prozent
sind evangelikale Christen. Das Verhältnis zur orthodoxen Kirche könnte besser sein.
Der Erzbischof:
„Man könnte eher von Koexistenz sprechen, auch wenn wir
uns respektieren. Allerdings gab es auch nach Besuch von Johannes Paul II. noch Spannungen
zwischen der rumänischen-orthodoxen und griechisch-katholischen Kirche. Da geht es
um Besitztümer: Kirchen, Pfarrhäuser, Klöster, die damals vom kommunistischen Regime
unerlaubterweise konfisziert wurden und ins Besitztum der orthodoxen Kirche gelangt
sind.“
Größtes Problem sei die Abwanderung vieler katholischer Familien
in den Westen, so der Erzbischof.
„Vor allem die junge Bevölkerung wandert
wegen Armut und Arbeitssuche aus. Gerade wo wir Stabilität und Wachstum brauchen,
kommt es also zu einer Massenflucht. Leider zeigen die staatlichen Autoritäten für
dieses gravierende Problem kein Verständnis.“
Die neue politische Führung
des Landes, das 2007 der Europäischen Union beitrat, verfolgt einen demokratischen
und marktwirtschaftlichen Kurs. Größtes Problem ist jedoch immer noch das Fehlen eines
konkreten Entwicklungsprojektes für Rumänien, dessen Wirtschaft – so Beobachter –
„anarchisch“ wächst: Diese Entwicklung gehe auf Kosten des Gemeinwohls.