2010-02-13 14:07:15

Betrachtung zum Sonntag


RealAudioMP3 von Vera Krause
6. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Tagesevangelium: Lk 6,17.20-26

Liebe Hörerinnen und Hörer, die Seligpreisungen gehören zum Kernbestand der frohen Gottesbotschaft, wie Jesus von Nazaret sie verkündet. Ja, so sollte es sein. Und so wird es sein: Wohlsein den Hungernden, den Weinenden nicht „einfach“ nur Trost, sondern Freude und ein neues Lachen, die verdiente Anerkennung für die zu Unrecht in Verruf Gebrachten, endlich Heimat für die Ausgeschlossenen und – nicht zuletzt – den Armen das Himmelreich. Sie nennt Jesus „selig“, genauso wie die Hungernden, die Weinenden, die Verhassten, die Verleumdeten und die an den Rand der feinen Gesellschaft Gedrückten. – Eigentlich ist das eine zutiefst beunruhigende Botschaft, setzen ihre Worte doch eine Umwertung der Werte voraus, die für die Existenz unserer Welt grundlegend erscheinen:
Es ist doch gut und erstrebenswert, reich zu sein – oder jedenfalls nicht arm. Und es tut gut, in der Mitte der Gesellschaft erfolgreich, allseits anerkannt und freudig durchs Leben gehen zu dürfen. Wer etwa würde schon freiwillig von Hartz-IV leben bzw. überleben wollen? Niemand. – Trotzdem: „Selig, ihr Armen – aber weh euch, die ihr jetzt reich seid“ (Lk 6,20.24), so bekommen wir es an diesem Sonntag im Evangelium zu hören. Das ist nicht einfach eine Für- und Widerrede zu Armut und Reichtum. Vielmehr ist das der prophetische Ruf, mit dem Jesus den grundlegenden Teil seiner Botschaft in die Köpfe und Herzen der Menschen einprägen will: „Selig, ihr Armen – aber weh euch, die ihr jetzt reich seid. Selig, ihr Hungernden – aber weh euch, die ihr jetzt satt seid. Selig, ihr Weinenden – aber weh euch, die ihr jetzt lacht. Selig, ihr Beschimpften und Ausgeschlossenen – aber weh euch, die ihr von allen Menschen gelobt werdet.“
All das, liebe Hörerinnen und Hörer, ist nicht gerade leichte Kost – für uns, die wir reich sind und meistens satt und dankbar für jedes noch so kleine Scheinwerferlicht, das auf uns fällt. Vom Himmel her wird gewissermaßen unser Werteempfinden auf den Kopf gestellt. Und eigentlich ist es sogar eine äußerst einfache Weise, in der Jesus uns konfrontiert mit unserer Verklammerung in diese Welt, in der fast alles in einen zählbaren Verwertungszusammenhang gestellt ist. – Jesus zählt – Gott sei Dank – nicht. Und demnach rechnet er auch nicht auf – nicht einmal die Schuld der Menschen oder auch nur ihre Mittelmäßigkeit. In eine solche Haltung kann man sich getrost einfinden. In dem Raum, den man dann betritt, lernt man, alternativ zu hören und zu denken – alternativ im Sinne Jesu.
„Selig, ihr Armen – aber weh euch, die ihr jetzt reich seid.“ Jesus predigt hier keine billige Vertröstung auf das Jenseits, genauso wenig, wie er die Seligkeit auf das Diesseits beschränkt. Vielmehr will er neue Maßstäbe zur Geltung bringen. Jetzt! Nicht erst am Ende der Zeit. Dazu will er die Reichen, Satten und Mächtigen herauslocken aus ihrer materiellen Enge, aus ihrer Selbstbezogenheit und Selbstgenügsamkeit – dazu will er uns herauslocken aus unseren Sackgassen des Glaubens und des Lebens.
Die Seligpreisungen und Wehrufe spricht Jesus auf jeden einzelnen Menschen und zu-gleich auf die ganze Welt hin. Sie scheinen eine Art Antwort zu sein auf das, was er zu sehen und zu spüren bekommt auf seinen Wegen durch die Welt der Menschen. Darin verherrlicht er nicht die einen und verdammt grundsätzlich die anderen. Gleichwohl nimmt er achtsam die Möglichkeiten und Chancen sowie die Einseitigkeiten und Gefährdungen menschlichen Lebens und Strebens wahr. Armut oder Reichtum spielen dabei eine nicht unbedeutende Rolle.
Materieller Reichtum wird gefährlich, wo er uns zum Ein und Alles wird, wo das Haben-Wollen und das Immer-mehr-haben-Wollen zum beherrschenden Lebensinhalt wird. Da werden dann Menschen, und mit ihnen ganze Institutionen, schnell blind und taub für anderes und andere. Denn wer immer schon satt ist am Eigenen verliert den Blick dafür, was das Leben sonst noch ausmacht und braucht. Zum Verbrechen gar wird Reichtum dort, wo er auf Armut aufbaut, wo er eigentlich Diebstahl ist, den Armen weggenommen. Als gut informierte Leute von heute, die wir alle sind, wissen wir um solche Zusammenhänge in unserer globalisierten und hemmungslos kapitalistischen Welt. So gelten uns zurecht die Wehrufe Jesu, mit denen er uns auf den Leib und in die Seele rücken will, wo immer wir die Ungerechtigkeiten in der Welt oder in unserer näheren Umgebung für nicht so wichtig ansehen. Doch in der heilsamen Spannung der jesuanischen Reich-Gottes-Rede sind wir auch zur Hoffnung eingeladen, wo wir an der Kälte, der Gier und dem Zynismus dieser Welt und am Lauf ihrer Dinge verzweifeln möchten.
„Selig, ihr Armen – aber weh euch, die ihr jetzt reich seid.“ – Jesus bringt das zusammen: die Verheißung der guten Gottes-Zukunft und den tief in unser Leben hinein schneidenden Umkehrruf. Dabei lohnt der Blick in den griechischen Urtext des Evangeliums. Dort ist das „ούαί“, das „wehe“ nicht ein Drohwort, sondern ein Wort, das die Einsicht oder mindestens die Ahnung zum Ausdruck bringt, dass Unheil droht – hier: den Reichen und Satten, die keinerlei Hunger mehr kennen und keines Trostes mehr bedürfen. In diesem Sinne sind die Wehrufe vielleicht zuerst Worte der Anteilnahme und des Mitleids – oder etwas weniger missverständlich ausgedrückt: der Mitleidenschaft, der Compassion Jesu mit allen, denen zu viel Wohlstand das Herz und oft genug auch den Verstand geraubt hat. Nein, die Reichen sind nicht in jedem Fall zu beneiden. Oft genug sind sie bei all ihrem materiellen Reichtum arme, un-heile Menschen – die meinen, sich kaufen und teuer absichern zu müssen, was andere sich getrost schenken lassen können: das Leben. – Doch nur darum geht es Jesus ja! Um das Leben. Um das „Leben in Fülle“ (Joh 10,10). Um das Leben, das sich bereitwillig stören, ja aufstören und zum besseren Leben antreiben lässt auch von den Armen, den Hungernden, den Weinenden oder den Heimatlosen.
Die Seligpreisungen und die Wehrufe Jesu könnten für uns eine in die Zukunft weisende Herausforderung sein, der die Vision von einer geschwisterlichen Welt inne wohnt – eine Herausforderung, die heute von uns gehört und angenommen werden will. Dazu müssten wir so manches, was unser Leben ausmacht, neu bewerten und gebrauchen lernen. Vor allem unsere Reichtümer. Nein, Gott schenkt es uns nicht, für seinen guten Willen in dieser Welt einzustehen. Vielmehr möchte er uns und das, was wir haben, dafür in Anspruch nehmen. Der vor 30 Jahren ermordete Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, hat das im Vertrauen auf die tiefe Verwobenheit von Gott und Menschen einst so gesagt:Wir bringen das Saatgut in die Erde,
das eines Tages aufbrechen und wachsen wird.
Wir begießen die Keime, die schon gepflanzt sind
in der Gewissheit, dass sie eine weitere Verheißung in sich bergen.
Wir bauen Fundamente, die auf weiteren Ausbau angelegt sind.
Wir können nicht alles tun.
Es ist ein befreiendes Gefühl, wenn uns dies zu Bewusstsein kommt.
Denn es macht uns fähig, etwas zu tun, und das sehr gut zu tun.
Es mag unvollkommen sein,
aber es ist ein Beginn, ein Schritt auf dem Weg,
eine Gelegenheit für Gottes Gnade, ins Spiel zu kommen und den Rest zu tun.
Wir mögen vielleicht nie das Endergebnis zu sehen bekommen,
das ist der Unterschied zwischen Baumeister und Arbeiter.
Wir sind Arbeiter, keine Baumeister.
Wir sind Diener, keine Erlöser.
Doch wir könnten Propheten einer Zukunft sein, die nicht mehr länger nur uns allein gehört.
Liebe Hörerinnen und Hörer, Jesus weiß: „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz“ (Mt 6,21). Welche sind demnach die Schätze, denen die Aufmerksamkeit unserer Herzen gilt?
(rv 13.2.2010 ord)







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