von Vera Krause 6.
Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C Tagesevangelium: Lk 6,17.20-26
Liebe
Hörerinnen und Hörer, die Seligpreisungen gehören zum Kernbestand der frohen Gottesbotschaft,
wie Jesus von Nazaret sie verkündet. Ja, so sollte es sein. Und so wird es sein: Wohlsein
den Hungernden, den Weinenden nicht „einfach“ nur Trost, sondern Freude und ein neues
Lachen, die verdiente Anerkennung für die zu Unrecht in Verruf Gebrachten, endlich
Heimat für die Ausgeschlossenen und – nicht zuletzt – den Armen das Himmelreich. Sie
nennt Jesus „selig“, genauso wie die Hungernden, die Weinenden, die Verhassten, die
Verleumdeten und die an den Rand der feinen Gesellschaft Gedrückten. – Eigentlich
ist das eine zutiefst beunruhigende Botschaft, setzen ihre Worte doch eine Umwertung
der Werte voraus, die für die Existenz unserer Welt grundlegend erscheinen: Es
ist doch gut und erstrebenswert, reich zu sein – oder jedenfalls nicht arm. Und es
tut gut, in der Mitte der Gesellschaft erfolgreich, allseits anerkannt und freudig
durchs Leben gehen zu dürfen. Wer etwa würde schon freiwillig von Hartz-IV leben bzw.
überleben wollen? Niemand. – Trotzdem: „Selig, ihr Armen – aber weh euch, die ihr
jetzt reich seid“ (Lk 6,20.24), so bekommen wir es an diesem Sonntag im Evangelium
zu hören. Das ist nicht einfach eine Für- und Widerrede zu Armut und Reichtum. Vielmehr
ist das der prophetische Ruf, mit dem Jesus den grundlegenden Teil seiner Botschaft
in die Köpfe und Herzen der Menschen einprägen will: „Selig, ihr Armen – aber weh
euch, die ihr jetzt reich seid. Selig, ihr Hungernden – aber weh euch, die ihr jetzt
satt seid. Selig, ihr Weinenden – aber weh euch, die ihr jetzt lacht. Selig, ihr Beschimpften
und Ausgeschlossenen – aber weh euch, die ihr von allen Menschen gelobt werdet.“ All
das, liebe Hörerinnen und Hörer, ist nicht gerade leichte Kost – für uns, die wir
reich sind und meistens satt und dankbar für jedes noch so kleine Scheinwerferlicht,
das auf uns fällt. Vom Himmel her wird gewissermaßen unser Werteempfinden auf den
Kopf gestellt. Und eigentlich ist es sogar eine äußerst einfache Weise, in der Jesus
uns konfrontiert mit unserer Verklammerung in diese Welt, in der fast alles in einen
zählbaren Verwertungszusammenhang gestellt ist. – Jesus zählt – Gott sei Dank – nicht.
Und demnach rechnet er auch nicht auf – nicht einmal die Schuld der Menschen oder
auch nur ihre Mittelmäßigkeit. In eine solche Haltung kann man sich getrost einfinden.
In dem Raum, den man dann betritt, lernt man, alternativ zu hören und zu denken –
alternativ im Sinne Jesu. „Selig, ihr Armen – aber weh euch, die ihr jetzt reich
seid.“ Jesus predigt hier keine billige Vertröstung auf das Jenseits, genauso wenig,
wie er die Seligkeit auf das Diesseits beschränkt. Vielmehr will er neue Maßstäbe
zur Geltung bringen. Jetzt! Nicht erst am Ende der Zeit. Dazu will er die Reichen,
Satten und Mächtigen herauslocken aus ihrer materiellen Enge, aus ihrer Selbstbezogenheit
und Selbstgenügsamkeit – dazu will er uns herauslocken aus unseren Sackgassen des
Glaubens und des Lebens. Die Seligpreisungen und Wehrufe spricht Jesus auf jeden
einzelnen Menschen und zu-gleich auf die ganze Welt hin. Sie scheinen eine Art Antwort
zu sein auf das, was er zu sehen und zu spüren bekommt auf seinen Wegen durch die
Welt der Menschen. Darin verherrlicht er nicht die einen und verdammt grundsätzlich
die anderen. Gleichwohl nimmt er achtsam die Möglichkeiten und Chancen sowie die Einseitigkeiten
und Gefährdungen menschlichen Lebens und Strebens wahr. Armut oder Reichtum spielen
dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Materieller Reichtum wird gefährlich, wo er
uns zum Ein und Alles wird, wo das Haben-Wollen und das Immer-mehr-haben-Wollen zum
beherrschenden Lebensinhalt wird. Da werden dann Menschen, und mit ihnen ganze Institutionen,
schnell blind und taub für anderes und andere. Denn wer immer schon satt ist am Eigenen
verliert den Blick dafür, was das Leben sonst noch ausmacht und braucht. Zum Verbrechen
gar wird Reichtum dort, wo er auf Armut aufbaut, wo er eigentlich Diebstahl ist, den
Armen weggenommen. Als gut informierte Leute von heute, die wir alle sind, wissen
wir um solche Zusammenhänge in unserer globalisierten und hemmungslos kapitalistischen
Welt. So gelten uns zurecht die Wehrufe Jesu, mit denen er uns auf den Leib und in
die Seele rücken will, wo immer wir die Ungerechtigkeiten in der Welt oder in unserer
näheren Umgebung für nicht so wichtig ansehen. Doch in der heilsamen Spannung der
jesuanischen Reich-Gottes-Rede sind wir auch zur Hoffnung eingeladen, wo wir an der
Kälte, der Gier und dem Zynismus dieser Welt und am Lauf ihrer Dinge verzweifeln möchten. „Selig,
ihr Armen – aber weh euch, die ihr jetzt reich seid.“ – Jesus bringt das zusammen:
die Verheißung der guten Gottes-Zukunft und den tief in unser Leben hinein schneidenden
Umkehrruf. Dabei lohnt der Blick in den griechischen Urtext des Evangeliums. Dort
ist das „ούαί“, das „wehe“ nicht ein Drohwort, sondern ein Wort, das die Einsicht
oder mindestens die Ahnung zum Ausdruck bringt, dass Unheil droht – hier: den Reichen
und Satten, die keinerlei Hunger mehr kennen und keines Trostes mehr bedürfen. In
diesem Sinne sind die Wehrufe vielleicht zuerst Worte der Anteilnahme und des Mitleids
– oder etwas weniger missverständlich ausgedrückt: der Mitleidenschaft, der Compassion
Jesu mit allen, denen zu viel Wohlstand das Herz und oft genug auch den Verstand geraubt
hat. Nein, die Reichen sind nicht in jedem Fall zu beneiden. Oft genug sind sie bei
all ihrem materiellen Reichtum arme, un-heile Menschen – die meinen, sich kaufen und
teuer absichern zu müssen, was andere sich getrost schenken lassen können: das Leben.
– Doch nur darum geht es Jesus ja! Um das Leben. Um das „Leben in Fülle“ (Joh 10,10).
Um das Leben, das sich bereitwillig stören, ja aufstören und zum besseren Leben antreiben
lässt auch von den Armen, den Hungernden, den Weinenden oder den Heimatlosen. Die
Seligpreisungen und die Wehrufe Jesu könnten für uns eine in die Zukunft weisende
Herausforderung sein, der die Vision von einer geschwisterlichen Welt inne wohnt –
eine Herausforderung, die heute von uns gehört und angenommen werden will. Dazu müssten
wir so manches, was unser Leben ausmacht, neu bewerten und gebrauchen lernen. Vor
allem unsere Reichtümer. Nein, Gott schenkt es uns nicht, für seinen guten Willen
in dieser Welt einzustehen. Vielmehr möchte er uns und das, was wir haben, dafür in
Anspruch nehmen. Der vor 30 Jahren ermordete Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero,
hat das im Vertrauen auf die tiefe Verwobenheit von Gott und Menschen einst so gesagt:Wir
bringen das Saatgut in die Erde, das eines Tages aufbrechen und wachsen wird. Wir
begießen die Keime, die schon gepflanzt sind in der Gewissheit, dass sie eine weitere
Verheißung in sich bergen. Wir bauen Fundamente, die auf weiteren Ausbau angelegt
sind. Wir können nicht alles tun. Es ist ein befreiendes Gefühl, wenn uns dies
zu Bewusstsein kommt. Denn es macht uns fähig, etwas zu tun, und das sehr gut zu
tun. Es mag unvollkommen sein, aber es ist ein Beginn, ein Schritt auf dem Weg, eine
Gelegenheit für Gottes Gnade, ins Spiel zu kommen und den Rest zu tun. Wir mögen
vielleicht nie das Endergebnis zu sehen bekommen, das ist der Unterschied zwischen
Baumeister und Arbeiter. Wir sind Arbeiter, keine Baumeister. Wir sind Diener,
keine Erlöser. Doch wir könnten Propheten einer Zukunft sein, die nicht mehr länger
nur uns allein gehört. Liebe Hörerinnen und Hörer, Jesus weiß: „Wo euer Schatz
ist, da ist auch euer Herz“ (Mt 6,21). Welche sind demnach die Schätze, denen die
Aufmerksamkeit unserer Herzen gilt? (rv 13.2.2010 ord)