2010-02-12 09:00:27

Eritrea: Chronik einer angekündigten Hungersnot


RealAudioMP3 Eritrea – das ist einer dieser Problemstaaten am Horn von Afrika. Ständig am Rand eines Krieges mit dem Nachbarn Äthiopien, zu dem es mal gehörte; ständig bedroht von Hungerkatastrophen. Die beiden Punkte gehören zusammen, sagt Joachim Schroedel: Der Monsignore ist Seelsorger für Deutschsprachige in mehreren Ländern Nordafrikas. Ein Bericht mit Material des Hilfswerks „Kirche in Not“.

„Man muss wissen, dass Eritrea ein ganz kleines Land ist, aber dennoch etwa fünf Millionen Einwohner hat; die Bevölkerungsdichte ist mit etwa 40 oder 50 Menschen pro Quadratkilometer sehr eng. Die Lage ist in den letzten Wochen und Monaten sehr, sehr schwierig geworden, weil die Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea wieder einmal aufflammen und somit die Kontakte zwischen beiden Ländern auch auf dem wirtschaftlichen Sektor gar nicht mehr möglich sind.“

Auf diese Kontakte ist Eritrea allerdings angewiesen, so Schroedel, der gerade wieder mal durch die Region gereist ist.

„Das bedeutet, dass dort eine große Hungersnot droht und die Lage sich Tag für Tag verschärft. Das Problem, das hinter allem steht, ist natürlich die sehr straff gelenkte Regierung; der Präsident sagt nach außen, es gebe überhaupt keine Probleme und alles funktioniere ganz gut, und es gebe natürlich Religionsfreiheit oder die Freiheit der Presse wie in anderen Ländern auch – aber das ist natürlich nicht der Fall!“

Das Verhalten der Regierung schreckt reichere Staaten geradezu davon ab, irgendetwas für die Menschen in Eritrea zu tun. Es gebe aber in dem kleinen Land noch ein weiteres Problem:

„Die religiöse Freiheit ist überhaupt nicht gegeben. Als ich vor fünfzehn Jahren das erste Mal dort war, war es noch relativ leicht, mit den Christen und Muslimen zusammenzutreffen und auch gemeinsame Aktionen zu planen. Jetzt ist es kaum mehr möglich! Es gibt zwar offiziell noch die protestantischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche und natürlich die orthodoxe, die als Kirchen anerkannt sind – aber viele, viele andere Missionsgemeinschaften können dort nicht mehr aktiv werden. Das bedeutet eben auch: Die Hilfsorganisationen, die kirchlichen Hintergrund haben, sind eher unterdrückt…“

Das heißt, um es noch klarer zu sagen: Sie werden gar nicht erst ins Land hineingelassen. Die Regierung fürchtet, dass die Bevölkerung durch den Kontakt mit Helfern von außen zu einem kritischeren Blick auf das Regime gelangen könnte. Außerdem gibt es in Eritrea wie überhaupt in der Region ein islamisches Erwachen, das die Lage noch komplizierter macht; einige katholische Ordensfrauen wurden vor kurzem aus Eritrea ausgewiesen. Viele Einheimische wären liebend gerne mitgegangen – nur raus aus dem Land! Aber:
„So leicht kann man nicht ausreisen – jedenfalls nicht auf legalem Wege. Es gibt einige Gruppen, die versuchen, über Djibuti das Land zu verlassen, aber auch das ist nicht einfach; nach Äthiopien kann man nicht und in den Sudan auch nicht.“

Schon in den neunziger Jahren kamen viele Flüchtlinge aus Eritrea nach Europa und auch nach Deutschland, wo es jetzt vielerorts eritreische christliche Gemeinden gibt – aber viele können eben nicht heraus aus dem Land, in dem sich die Umrisse einer humanitären Katastrophe immer deutlicher abzeichnen.

„Ich bin froh, dass vor kurzem im Vatikan auf Einladung der Ostkirchenkongregation unter Kardinal Sandri eine Konferenz zur Lage in Eritrea stattgefunden hat. Die Bischöfe der drei Bistümer des Landes wurden eingeladen, Anträge zu stellen an die katholischen Hilfswerke, damit hier auf der hohen Ebene Vatikan-Hilfswerke etwas geschieht.“

Eritrea, öffne dich der Welt! Diese Botschaft hat der Vatikan mit seiner Konferenz den Herren in Asmara übermittelt.

„Eritrea muss sich wieder öffnen, sonst werden dort sehr viele Menschen hungers sterben und auch aus anderen Gründen heraus sehr viel mehr Menschen noch leiden, als sie es derzeit tun.“

Aber die Zeichen stehen eher auf Sturm: Die USA haben Eritrea kürzlich auf die Liste von Staaten gesetzt, die den Terrorismus unterstützen. Der Vorwurf: Die Machthaber des Landes unterstützten Islamisten im nahegelegenen Somalia. Somalia und auch Jemen sind jetzt neu im Fokus des so genannten Krieges gegen den Terrorismus; das könnte die Lage in der Region destabilisieren. Allerdings findet Pfarrer Schroedel:

„Wenn Sie vom Sudan über Eritrea nach Äthiopien schauen, das kleine Djibuti noch sehen, dann werden Sie feststellen: Die Lage ist immer noch recht stabil. Wobei wir bei dem größten Land, nämlich dem Sudan, schon seit Jahren sehen, dass Rebellen im christlichen Süden doch immer wieder Massaker anrichten – das ist sehr bedrohlich. In Äthiopien sieht es offiziell noch so aus, dass das Verhältnis zwischen Islam und Christen noch recht gut ist; aber die Islamisten erstarken derzeit im Westen Äthiopiens, und das ist etwas Neues. Man muss hier sehr sensibel sein und auch international immer im Gespräch bleiben, sonst ist diese Ecke Afrikas ein erneuter Punkt, an dem sich vielleicht etwas entzünden könnte – so wie wir es ja jetzt leider in Nigeria sehen.“

Erst Anfang der 90er Jahre hat Eritrea seine Unabhängigkeit von Äthiopien erlangt; dem vorausgegangen war ein dreißigjähriger Unabhängigkeitskrieg. Die zwei Staaten unterscheidet vor allem eines: Das heutige Äthiopien selbst war nie von einer ausländischen Macht besetzt, während das jetzige Eritrea jahrzehntelang eine italienische Kolonie bildete.

„Und das hat dieses kleine Eckchen Land sehr geprägt: Die christliche Religion hatte westlichen Einfluss. Äthiopien war mehr orientalisch geprägt; die Christenheit dort ist eine der ältesten christlichen Gruppen der Welt, aber im Nordteil, dem heutigen Eritrea, hatte der Westen Einfluss. Das ist einerseits positiv zu werten: Dieses Land konnte sich nach außen öffnen. Aber heute wird erklärt, dass das, was damals an Einfluss da war, negativ zu sehen ist – und deswegen schottet man sich jetzt in Eritrea ab.“

Die Regierung sagt: Wir waren so lange von außen abhängig, das wollen wir nicht mehr – jetzt nehmen wir unser Schicksal selbst in die Hand. Wir brauchen darum auch keine ausländischen Hilfswerke. Aber, so Monsignore Schroedel: Diese Rechnung geht nur auf, wenn Eritrea wirtschaftliche Kontakte zu den Nachbarn hat. Seit der Unabhängigkeit bekommt Eritrea die meisten Waren kommen über Djibuti und sind teuer; mit Äthiopien streitet man sich über die Grenze, braucht aber eigentlich auch von dort Waren.

„Nun ist zwischen Asmara und Addis Abeba aber eine Funkstille eingetreten. In der letzten großen kriegerischen Auseinandersetzung sind wahrscheinlich etwa 100.000 Soldaten gefallen – und keiner hat im Westen Notiz davon genommen! Also, diese kriegerische Auseinandersetzung hat das hervorgebracht, was jetzt zu sehen ist: Der Staat ist mit aller Gewalt daran interessiert, die Türen zuzumachen. Regimekritikern droht Haft und Folter; vor zwei Jahren hat „Reporter ohne Grenzen“ Eritrea auf die Weltrangliste der Presseunterdrückung gesetzt“

- und zwar auf den letzten Platz. Schroedel sieht im Moment nur eine Möglichkeit: Die römisch-katholische Kirchenspitze, die Weltkirche, sollte die Dinge in Eritrea beim Namen nennen und das Gewissen vieler Menschen weltweit aufrütteln. Rom hätte, glaubt der Pfarrer, einen guten Zugang ins Land:

„Der größte Bevölkerungsanteil mit ca. 40 bis 50 Prozent sind die Tikrai – eine christliche Gruppe, die übrigens auch zu großen Teilen mit Rom uniert ist. Gerade da oben im Norden Äthiopiens und im angrenzenden Eritrea sind sehr viele katholische Bischöfe und einige katholische Diözesen. Die zweitgrößte Gruppe sind dann die Tigrinier – ebenfalls eine christliche Gruppierung. Und da folgen eigentlich nur sehr kleine, versprengte Gruppen wie etwa die Afar im Westen von Eritrea, die dann auch meistens muslimisch sind. Das bedeutet: Unter dem Strich ist Eritrea eigentlich ein christliches, ein stark christlich geprägtes Land. Aber der islamische Ansatz, der von Osten her und aus dem Gebiet von Djibuti kommt, ist natürlich stärker geworden.“

Präsident Issaias Afeworki fährt seit einigen Jahren einen härteren Kurs gegen religiöse Gruppen, die – Zitat – „von der Einheit des Staates abrücken“. Damit meint er vor allem die nicht offiziell registrierten Bewegungen, allen voran die Evangelikalen: Sie erleben seit ungefähr 2002 eine regelrechte Unterdrückung.

„Tausende von ihnen wurden wegen ihres Glaubens eingesperrt und gefoltert, zum Teil auch gefoltert. Der Präsident und eine starke Gruppe von Muslimen sagen: Wir sind gegen jede christliche Missionierung, egal ob von innen oder von außen. Anders als Äthiopien sieht sich Eritrea als ein stärker islamisch werdendes Land.“

Weil es am Meer liegt, ist Eritrea schon sehr früh von der katholischen Mission erreicht worden: Die ersten Jesuiten tauchten im 16. Jahrhundert dort auf. Heute hat es drei relativ junge und engagierte Bischöfe.

„Und da ist es ähnlich wie auch in Äthiopien: Die katholische Kirche ist vor allem durch ihren sozialen Einsatz wichtig. In der Caritas arbeitet die katholische Kirche viel stärker als etwa die orientalischen. Das ist natürlich ein Segen für das Land…“

Und darum ist es schon seltsam, dass die staatlichen Einrichtungen so scharf gegen die katholische Kirche vorgehen, findet Monsignore Schroedel.

„Es wird dann manchmal auch gesagt: Ihr macht euren sozialen Dienst ja nur, um damit Christen zu produzieren und die Muslime unter Umständen von ihrem Glauben abzubringen… das ist nicht sehr erfreulich. Es gibt jede Menge Passierschein-Kontrollen, und deswegen können Ordensleute und Priester auch nicht einfach von A nach B gehen. Dabei ist das Land so klein… Einer der Bischöfe hat mir neulich gesagt: Ich kann mich noch nicht einmal in meinem eigenen Bistum richtig bewegen!“

Eritrea verschließt sich vor der Welt – auch Monsignore Schroedel, dessen Hauptsitz die ägyptische Hauptstadt Kairo ist, kommt immer seltener in das kleine Land am Horn von Afrika.

„Wir haben unsere Aktivitäten immer mehr eingestellt, weil wir auch kaum noch deutschsprachige Katholiken mehr vor Ort haben. Der katholische Nuntius hält dann eben auch Gottesdienste in englischer Sprache für die wenigen Ausländer, die eben noch vor Ort verblieben sind: Diplomaten oder Wirtschaftsleute… wobei die Wirtschaftsleute schon fast alle gegangen sind.“

(rv 12.02.2010 sk)







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