Unternehmer in Saudi
Arabien wollen in Zukunft mit Frauen zusammenarbeiten. Das hat der Präsident der saudischen
Handelskammer, Saleh Kamil, jetzt im Interview mit der Tageszeitung „Arab News“ betont.
Er hat die religiöse Elite des Landes dazu aufgefordert, die von ihr geforderte Geschlechtertrennung
zu lockern. Für Kester von Kuczkowski von der TU Berlin besteht kein Zweifel, dass
diese Forderung von einem klaren Pragmatismus rührt. Der Ingenieurwissenschaftler
war beruflich schon oft in Westasien und Nordafrika. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen
schätzt er die Haltung der Handelskammer folgendermaßen ein: „Ich denke schon,
dass diese Entscheidung von einem Pragmatismus geleitet ist, der sich auch immer weiter
durchsetzen wird. Auch in dem Sinne, dass diese Länder alle mit einer hohen Dynamik
in den globalisierten Märkten unterwegs sind – und dadurch auch mit einer hohen Weiterentwicklung
in allen Bereichen. Und um da mithalten zu können, geht es darum, dass man die bestqualifizierten
Menschen an den entsprechenden Positionen hat. Da wird kaum noch ein Unterschied gemacht
zwischen Männern und Frauen – es geht einfach nur noch um die höchste Leistung.“ In
Saudi Arabien gilt eine besonders strikte Auslegung des muslimischen Rechts, der so
genannten Scharia. Der zufolge dürfen sich Frauen nur in Begleitung ihres Ehemannes
oder eines männlichen Blutsverwandten in der Öffentlichkeit zeigen. Ein normales Geschäfts-
und Firmenleben, in dem gut ausgebildete Frauen zunehmend eine Rolle spielen, wird
dadurch erheblich erschwert. Ganz pragmatisch beurteilt der Wissenschaftler, der betont,
kein Islamfachmann zu sein, diese Rechtsordnung so: „Meines Erachtens
ist der Ausgangspunkt der Geschlechtertrennung nicht im Islam zu sehen, sondern in
regionalen Traditionen. Wenn man die Entstehungsgeschichte des Islam betrachtet und
sieht, dass die erste Frau von Mohammed eine Geschäftsfrau war, die ihn angestellt
hat, bevor die beiden geheiratet haben, dann waren das Dinge, die heute überraschend
klingen. Abgesehen davon, dass in der Diskussion – zum Beispiel in der Kopftuchdebatte
– dieses Thema immer wieder auftaucht und dort auch eine entsprechende Rolle spielt.“ Die
Kreativität und das innovative Potential von Frauen hätten nun auch die saudischen
Unternehmer erkannt, meint Kuczkowski. An seiner Hochschule besäßen gerade die ausländischen
Studentinnen aus islamischen Kontexten eine besondere analytische Weitsicht und die
Gabe, Aussagen treffend auf den Punkt zu bringen – wohl auf Grund ihrer Sozialisation.
Bisher ans Zuschauen und Schweigen gewöhnt, sei es nun an der Zeit, dass die arabischen
Frauen mehr in die Öffentlichkeit träten. Freilich sehe die Realität für die Frauen
in Saudi Arabien noch anders aus. Und dennoch unterstreicht der Ingenieur: „Gerade
im Wissenschaftsbereich – in der Naturwissenschaft vielleicht am stärksten, weil diese
global gesehen am wenigsten gesellschaftlichen Einflüssen unterliegt – gibt es im
Rahmen dieser Globalisierung eine internationale Community. Es gibt gewisse Standards,
die das Zusammensein und das Zusammenarbeiten definieren. Und wie in vielen anderen
Bereichen wirkt auch dort die Globalisierung nicht gleichmachend, sondern jeder bringt
vielmehr seine kulturellen Hintergründe ein. Aber bestimmte Extreme, die insbesondere
aus Sicht der Wissenschaft künstlich erscheinen, also beispielsweise die Begrenzungen
gegenüber Frauen und deren Zugang, können von Wissenschaftlern wohl am Schwersten
akzeptiert werden, weil sie nicht nachvollziehbar und nicht logisch erscheinen. Und
in vielen Ländern sieht das die Politik angesichts der drängenden Entwicklungsprobleme
ähnlich und agiert dadurch immer pragmatischer.“ (rv 11.02.2010
vp)