Die Präsidentin des
Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, verzichtet auf eine weitere
Amtszeit. Das hat die 77-Jährige am vergangenen Sonntag bei einer Sitzung ihres Gremiums
in Frankfurt bekannt gegeben – nachdem zuvor zahlreiche Spekulationen über einen möglichen
Verzicht durch die Medien gegeistert waren. Als möglicher Nachfolger für die Neuwahl
im Herbst gilt Vizepräsident Dieter Graumann. Er wäre der erste Spitzenrepräsentant
des Zentralrats, der den Holocaust nicht mehr selbst miterlebt hat. Die „Zeit der
Nachgeborenen“ ist gekommen, findet der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für
europäisch-jüdische Studien in Potsdam, Julius Schoeps. Gegenüber Radio Vatikan erläutert
er:
„Mit der ‚Zeit der Nachgeborenen‛ ist gemeint, dass
nun eine Führungsgeneration kommt, die nach 1945 geboren ist. Im Falle von Frau Knobloch
hatten wir eine der letzten Überlebenden im Amt der Präsidentin. Und nun deutet sich
ein Politikwechsel an.“
Dieser Politikwechsel fordere
den Zentralrat in besonderer Weise heraus, meint Schoeps:
„Es
gibt eine ganze Reihe von Problemen, die sich stellen werden. Ich bin mir nicht so
ganz sicher, ob sich die Nachgeborenen noch als moralische Instanz zu Wort melden
können, wie Charlotte Knobloch es noch konnte. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland
muss sich über ihre Identität klar werden: Wer sind wir? Was ist unsere Rolle in der
Bundesrepublik? Wo können wir uns zu Wort melden und wo sollten wir lieber schweigen?“
Moral
und Ethik blieben entscheidende Fragen in der deutschen Gesellschaft. Doch ob sich
hier künftig jüdische Stimmen gesondert zu Wort melden, bezweifelt Direktor Schoeps.
So sieht er die Zukunft des Zentralrats:
„Ob der Zentralrat
es zu Wege bringt, alle Juden in Deutschland zu vertreten, wird sich zeigen. Ganz
leicht ist diese Aufgabe nicht, denn wir erleben auch in Deutschland zurzeit eine
Fragmentierung der jüdischen Gemeinschaft in Liberale, Reformer, Orthodoxe und Konservative.
Das ist wie bei allen Religionsgemeinschaften. Und es wird immer schwieriger, eine
Dachorganisation zu haben, die all das abdeckt.“