Vatikan-Banker: „Finanzkrise begann mit Geburtenrückgang“
Dass der Präsident
der Vatikanbank „IOR“ sich einmal in der Öffentlichkeit zu Wort meldet, ist sehr selten.
Jetzt hat Professor Ettore Gotti Tedeschi dem Vatikanfernsehen ein Interview gegeben
– und dabei erklärt, wie die internationale Finanzkrise aus seiner Sicht entstanden
ist. „Der wahre Ursprung der Krise – da habe ich persönlich keinen Zweifel –
ist der Einbruch der Geburtenrate in den Ländern des Westens. In den siebziger Jahren
sagten die so genannten Neo-Malthusianer [eine Schule von Wirtschaftstheoretikern,
Anm d.Red] einmal voraus: Wenn die Bevölkerung so weiterwächst wie bisher, nämlich
zwischen vier und 4,5 Prozent, dann werden vor dem Jahr 2000 Millionen von Menschen,
vor allem in Asien und in Indien, an Hunger sterben... Das sagt doch alles über die
Prognosefähigkeit vieler Wirtschaftssoziologen. In der Dritten, Vierten Welt konnte
niemand die Bücher über die demographische Bombe lesen, und darum haben sie weiter
in aller Ruhe Kinder bekommen – und haben ihre Lebensbedingungen sogar verbessert,
dank der Fortschritte im Gesundheits- und Ernährungswesen.“ Ganz anders sei
die Entwicklung im Westen gelaufen: Stillstand des Bevölkerungswachstums – und damit
nach Ansicht des Vatikan-Bankers die Notwendigkeit zu Strukturreformen. „Denn
die Geburten gehen zurück, das heißt: Weniger junge Leute treten produktiv in die
Arbeitswelt ein, und dafür gibt es mehr ältere Leute, die aus dem Produktivsystem
ausscheiden und ein Kostenfaktor für die Gemeinschaft werden. Klar gesagt: Wenn die
Bevölkerung nicht wächst, dann steigen die Fixkosten dieser wirtschaftlichen und sozialen
Struktur oft dramatisch, je nachdem, wie sehr die Bevölkerungsstruktur ungleichgewichtig
wird. Die Gesundheits- und Sozialkosten steigen, Steuern können nicht mehr gesenkt
werden, die Ersparnisse gehen zurück... Der Westen hat versucht, diesen Einbruch in
seiner Entwicklung durch Finanzaktivitäten und Auslagerung der Produktion aufzufangen,
und eine Weile ist das auch gutgegangen: Das System wächst dadurch, dass die Familien
sich verschulden. Letztlich hat man an den Finanzmärkten versucht, das nachlassende
Wachstum der Wirtschaft zu kompensieren – welches wiederum mit der Tatsache zusammenhängt,
dass keine Kinder mehr geboren wurden...“ Die USA unter Präsident Barack Obama
wollen nun die Banken für die Kosten der Finanzkrise haftbar machen: Obama will das
Bankensystem ordnen und Manager-Boni begrenzen. Aber Gotti Tedeschi hält das nicht
für das Nonplusultra: „Ich glaube vor allem, dass es übertrieben ist, den Bankern
und Finanzmanagern den Ursprung der Krise in die Schuhe zu schieben. Die Krise kommt
nicht von den Banken und der Finanz: Sie haben die Krise zwar verschärft, wurden aber
auch durch einige Regierungen darin ermutigt, obwohl allen die ganze Zeit über klar
war, dass die Wachstumsrate, die der Kreditexpansion zugrunde lag, fiktiv war. Jetzt
müßte es eher darum gehen, die Schuldenlast der Regierungen, der Familien, der Finanz-
und Industrieinstitutionen zu verringern. Zurück zu akzeptablen Kriterien! Es gibt
nur einen Weg, das wirtschaftlich-finanzielle Gleichgewicht wiederherzustellen – er
heißt „austerità“, Nüchternheit, Einschränkung.“ (rv 07.02.2010 sk)