2010-02-05 13:22:05

Wissenschaftsrat: „Der universitären Theologie fehlt Biss“


RealAudioMP3 Also lautet der Beschluss, dass der Mensch was lernen muss. Das wusste schon Wilhelm Busch. Wie das geschehen soll, dazu berät der deutsche Wissenschaftsrat die Bundesregierung und die Regierungen der Länder. Und dieser Wissenschaftsrat fällt nun kein sehr positives Urteil über den Zustand der deutschen akademischen Theologie. Die Haltung der Theologie - der katholischen wie der evangelischen - sei zu defensiv. Das sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Peter Strohschneider, im Gespräch mit Radio Vatikan. Der Wissenschaftsrat fordere die Theolgie deswegen dazu auf, wesentlich offener für Kooperationen mit anderen Disziplinen zu sein:

 
„Es geht vor allem darum, zu beschreiben, dass sich die evangelischen und katholischen Theologien an den staatlichen Hochschulen nicht hinter ihrer starken rechtsstaatlichen Position, die ihnen in der Bundesrepublik verfassungsgemäß zukommt, verstecken sollen. Vielmehr sollen sie sich an den Hochschulen intensiv in das Gespräch mit anderen Geisteswissenschaften und normativen Wissenschaften bringen. Sie sollen sich mit den anderen wissenschaftlichen Disziplinen überhaut besser vernetzen, wie das im wissenschaftlichen Diskurs heißt.“

 
Zwar seien die Zahlen der Theologiestudenten im Allgemeinen wieder etwas gestiegen. Allerdings studierten immer weniger von ihnen Theologie hauptamtlich – das bedeute weniger Priesteramtsanwärter und mehr Lehramtsstudenten mit Fächerkombinationen. Strohschneider erklärt uns, was das bedeutet:

 
„Die motivationale und strukturelle Veränderung der Studierendennachfrage, da müssen die Theologien reagieren. Und das heißt vor allem, dass die Instituten, die nicht an einer theologischen Fakultät untergebracht sind, wie beispielsweise die Philosophie, stärker beachtet und eingebunden werden müssen. Denn ihnen kommt auch ein beträchtlicher Anteil in der Ausbildung künftiger Religionslehrer zu.“

 
Die Religionslehrerausbildung ist aber nicht nur hinsichtlich der christlichen Theologie für den Wissenschaftsrat zum Thema geworden. Aktuell plädiert der Rat auch für die Ausbildung von islamischen Religionslehrern und Imamen an deutschen Hochschulen und hat damit großes öffentliches Interesse geweckt. Strohschneider legt die Intention des Gremiums dar:

 
„Was der Wissenschaftsrat dem Bund und den Ländern, aber auch den Universitäten, Kirchen und Religionsgemeinschaften vorschlägt, ist ein Institutionalisierungsmodell, das die Mitwirkung der muslimischen Gemeinschaften an der Ausgestaltung der Studiengänge und an der Berufung des professoralen Personals beschreibt. Er hat sich vor allem dafür ausgesprochen, eine islamische Theologie im Rahmen des staatlichen Hochschulsystems in Deutschland zu entwickeln – gewissermaßen das, was für eine tragfähige Religionspädagogik die intellektuelle Voraussetzung ist. Leitend ist dabei die Tradition des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Bundesrepublik, die eben auch anders ist als in Nachbarstaaten der Bundesrepublik: Dass nämlich die rationale Selbstreflexion von Glaubenformen selbst als Teil auch des staatlichen Wissenschaftssystems in Deutschland verstanden wird. Und das ist auch richtig so, wie es der Wissenschaftsrat sieht. Auf der anderen Seite denken wir, dass das ein Beitrag ist zur Integrationsdebatte in der Bundesrepublik.“

 
Bezogen auf die Eigenzeiten des Wissenschaftssystems solle der Prozess schnell von Statten gehen. In der Politik und bei christlichen und islamischen Religionsvertretern ist der Vorschlag des Rates gleichermaßen auf Zustimmung gestoßen. Auch der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, begrüßt die Absichten:

 
„Da geht es um Anerkennung, und es geht um Gleichberechtigung der Religionen in Deutschland. Ich denke, es ist gut, wenn die Religionslehrer, die Imame und die Vorbeter in der Bundesrepublik ausgebildet werden. Diese kennen dann das Umfeld besser als jene aus den Herkunftsländern. Natürlich wird man über eine gewisse Zeit noch Imame aus den Herkunftsländern brauchen – wir haben 2.500 Moscheen in der Bundesrepublik. Natürlich wird man diesen Bedarf so schnell nicht decken können, aber wir hoffen, dass dann an den Universitäten ausgebildete Imame die Aufgaben übernehmen können.“

 
Bei der Umsetzung der Forderungen müsste der säkulare Islam als zeitgemäße Strömung besondere Berücksichtigung finden, meint Kolat:

 
„Wir haben gesagt, dass es um diese Religionsinstitute herum einen Beirat geben soll, in dem muslimische Organisationen vertreten sind. In der türkischen Öffentlichkeit hängt eine überwältigende Mehrheit einem offenen, liberalen Islam an. Diese Richtung, diese zeitgenössische Kommentierung des Islam, gehört auch in dieses Gremium hinein. Diese Sichtweise muss auch im Beirat berücksichtigt werden. Das heißt, der säkulare Islam muss sich auch in den Personen, die eingestellt werden, wiederfinden.“

 
Das könne auch dabei beitragen, Vorbehalten zu entgegnen, meint der Vorsitzende des Wissenschaftsrats:

 
„Der unmittelbare Problemdruck in der Bundesrepublik ergibt sich einfach daraus, dass es über vier Millionen Muslime deutscher und nichtdeutscher Staatsbürgerschaft gibt. Diese Muslime haben über 700.000 Kinder, und diese haben nach unserer Verfassung einen Anspruch auf bekenntnisgebundenen Religionsunterricht – so wie katholische, evangelische und jüdische Kinder auch. Fragen der Religion sind immer Existenzfragen, und sie werden dann als solche auch gesellschaftlich umkämpft. Fragen der Theologie sind nicht schon identisch mit Fragen der Religion: Theologie verstehe ich als rationale Selbstauslegung von Glaubensformen und als solche im Wissenschaftssystem gut aufgehoben und dort auch erforderlich, wie wir zu beschreiben versucht haben.“

 
(rv 05.02.2010 vp)









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