Mit äußerstem Befremden reagiert Kurienkardinal Walter Kasper auf neueste italienische
Presse-Spekulationen zum so genannten „Fall Boffo“: Die „These von einem Komplott“
sei „lächerlich“, und es seien vermutlich antiklerikale Kräfte, „die die Kirche angreifen,
in dem sie Bandenkriege im Vatikan erfinden“. Das sagte Kasper, der den Päpstlichen
Einheitsrat leitet, der Tageszeitung „La Stampa“. Der Direktor der katholischen Tageszeitung
Italiens, Dino Boffo, war im letzten Herbst zurückgetreten, nachdem die Zeitung „Il
Giornale“ eine heftige Kampagne gegen ihn begonnen hatte. Mittlerweile behaupten Medien,
hinter dieser Kampagne habe letztlich niemand anderes als Kardinalstaatssekretär Tarcisio
Bertone gestanden: Bertone sei sich mit dem „Giornale“, das der Familie von Ministerpräsident
Silvio Berlusconi gehört, einig gewesen, dass (der in Maßen Berlusconi-kritische)
Boffo seinen Hut nehmen müsse. In das „Komplott“ sei auch der Direktor der Vatikanzeitung
„L`Osservatore Romano“ Gianmaria Vian verwickelt, so die Spekulationen.
Kardinal
Kasper nennt diese Theorien „böswillig zusammengebastelt“: „Wenn der Vatikan jemanden
aus seinem Amt entfernen will, dann kann er das doch direkt tun“ – dazu brauche es
kein Komplott. Darum würden diese Theorien im Innern des Vatikans „von niemandem ernstgenommen“.
Das „Giornale“ hatte Vorwürfe gegen Boffo nach dessen Rücktritt wieder zurückgenommen;
Informationen über Boffo, die die Zeitung veröffentlicht hatte, stammten nicht wie
behauptet aus den Akten eines Prozesses, sondern waren eigens „fabriziert“ worden.
Der
Fall Boffo ist nicht der erste Skandal in Italien, der zwar einen Anfang, aber kein
Ende hat, weil sich ständig neue Verwicklungen und Verästelungen auftun. Tatsache
ist, dass er die Kirche in Italien geschwächt und das Vertrauen vieler katholischer
Wähler zur Regierung nachhaltig erschüttert hat. Die in Vermutungen geübten Medien
des „bel paese“ sehen hinter dem Fall Boffo u.a. eine Art Machtkampf zwischen Kardinal
Bertone – Vatikan – und Kardinal Angelo Bagnasco, dem Präsidenten der italienischen
Bischofskonferenz. Dabei gehe es darum, wer die Haltung der italienischen Kirche zur
Politik des Landes bestimme. Zugleich ließ die Affäre aber auch – und das gibt vielen
Beobachtern zu denken – eine Reihe von Skandalen medial in den Hintergrund treten,
bei denen es um Affären und Liebeleien des Regierungschefs geht. Aus dieser Perspektive
wirkt der Fall Boffo wie ein Ablenkungsmanöver von den Skandalen Berlusconis.
Papst
Benedikt hat sich von Anfang an aus dem „caso Boffo“ herausgehalten und öffentliche
Stellungnahmen dazu vermieden. Seinem Kardinalstaatssekretär hat er unlängst sehr
deutlich sein Vertrauen ausgedrückt. Auch der Präfekt der vatikanischen Bischofskongregation,
Kardinal Giovanni Battista Re, wies gegenüber der Tageszeitung „La Repubblica“ alle
Unterstellungen zurück, dass der Vatikan irgendetwas mit der Schmutzkampagne des „Giornale“
zu tun hätte. Wie auch immer – die neuen Spekulationen (denn mehr ist es ja nicht)
über den Fall Boffo belegen einmal mehr, wieviel Interesse an Italiens Innenpolitik
die Medien des Landes dem Vatikan (noch) zutrauen. Boffo ist mittlerweile Leiter des
„kulturellen Projekts“ der italienischen Bischofskonferenz – so etwas wie der Bischofsbeauftragte
für das Gespräch mit der Gesellschaft. Das sieht nicht gerade so aus, als habe man
ihn kirchlicherseits für seine Kritik an Berlusconi bestrafen wollen...
„Für
die Massenmedien ist Harmonie eine langweilige Sache“ – so erklärt sich Kardinal Kasper
die neuesten Verschwörungstheorien. „Unter den christlichen Kirchen ist die katholische
die gefestigste... darum hält man sie für besonders mächtig, und darum stört viele
ihr bloßes Dasein und ihr Gewicht in der säkularisierten Gesellschaft. Aber diese
Angriffe werden wohl auf längere Sicht zu einem Bumerang für den, der versucht, die
Kirche zu diskreditieren, indem er sie als Intrigenzentrum darstellt.“ Ob dieser Bumerang
– das ist jetzt unsere ganz private Verschwörungstheorie – vielleicht mal in Richtung
Berlusconi zurückfliegt?