Ja, Pius XII. hat
im wesentlichen zum Holocaust geschwiegen – für diese Feststellung braucht man noch
nicht einmal eine vatikanische Archiv-Öffnung. Die wirklich spannende Frage ist doch,
warum der Pacelli-Papst (für den ein Seligsprechungsverfahren in Gang ist)
nicht öffentlich gegen die Judenvernichtung durch die Nazis protestierte, sondern
sich – was auch nicht jeder von sich behaupten kann – auf die Rettung hunderter verfolgter
Juden in Rom „beschränkte“. Zu Pius` Motiven erschien schon 1964 ein Aufsatz des Jesuitenpaters
Paolo Dezza – damals Rektor der Universität Gregoriana, später Kardinal, verstorben
1999. Wir dokumentieren hier die wesentlichen Auszüge aus dem Text des Jesuiten.
„Im
Dezember 1942 hielt ich die Exerzitien für den Heiligen Vater im Vatikan. Dabei hatte
ich eine lange Audienz, bei der der Papst mir seinen Schmerz und seine Bestürzung
über die Nazi-Verbrechen in Deutschland und den anderen besetzten Ländern ausdrückte:
„Die Leute beklagen sich, dass der Papst nichts (dazu) sagt. Aber der Papst kann nicht
reden! Wenn er spräche, würde alles nur schlimmer.“ Er erwähnte, dass er kürzlich
drei Briefe verschickt habe, darunter einen an den, wie er sagte „heroischen Erzbischof
von Krakau“, den künftigen Kardinal Sapieha, und die anderen an zwei weitere polnische
Bischöfe; darin habe er diese Nazi-Verbrechen beklagt. „Sie haben mir gedankt, aber
gleichzeitig geschrieben, dass sie diese Briefe nicht veröffentlichen können, weil
das die Lage verschlimmern würde.“ Und er zitierte Pius X., der einmal angesichts
irgendwelcher Gräueltaten in Russland gesagt habe: „Ihr müßt schweigen, um noch größere
Übel zu verhindern.“ (...) Ich erinnere mich auch, dass er mir sagte: „Ja, es gibt
auch eine kommunistische Gefahr, aber im Moment ist die Nazi-Gefahr schlimmer.“ Er
sprach mit mir darüber, was die Nazis im Falle eines Sieges tun würden, und ich erinnere
mich, dass er mir sagte: „Sie wollen die Kirche zerstören und sie wie ein Unkraut
ausrupfen. Für den Papst wird in einem solchen neuen Europa kein Platz mehr sein.
Sie sagen: Soll er doch nach Amerika gehen. Aber ich habe keine Angst, ich bleibe
hier.“ (...)
Man kann historisch darüber diskutieren, ob es nicht besser gewesen
wäre, mehr oder lauter zu reden – aber es ist außer Diskussion, dass Pius XII. nur
aus Rücksicht auf die Verfolgten, nicht etwa aus Angst oder aus anderen Interessen
heraus nicht lauter gesprochen hat. Es beeindruckte mich in diesem Gespräch, als er
davon redete, was er alles für diese Unterdrückten tat... Er tat, was er nur konnte,
mit der einzigen Sorge, bei der Aufgabe des Heiligen Stuhls zu bleiben und sich nicht
in den politischen oder militärischen Bereich hineinziehen zu lassen. Als 1943 Rom
von den Deutschen besetzt wurde, sagte mir Pius XII.: „Pater, nehmen Sie in der Gregoriana
keine Militärs auf ... wir müssen uns da heraushalten. Aber andere können Sie gerne
aufnehmen: Zivilisten, verfolgte Juden.“ Tatsächlich habe ich einige aufgenommen.
(...)
Pius XII. wollte nichts tun, was zu Reaktionen führen konnte, die die
Lage noch verschlimmert hätten. Ich würde zwei verschiedene Fragen stellen: Hat er
gut daran getan, zu schweigen, oder hätte er besser reden sollen? Darüber kann man
historisch sicher diskutieren. Vielleicht hätte Pius XI., der ein anderer Charakter
war, anders gehandelt – aber mir scheint offensichtlich, dass Pius XII. nur deswegen
geschwiegen oder wenig gesagt hat, um die Lage nicht noch zu verschlimmern.Objektiv
kann man sich streiten; subjektiv gibt es aber keinen Zweifel über die Motive des
Papstes: Er wollte wirklich das Beste tun.“