Großbritannien/Irak: Blair vor dem Untersuchungsausschuss
Es war ein Krieg, den sein Land nicht wollte. Und trotzdem schloss sich Premierminister
Tony Blair dem US-Angriff auf den Irak an. Ein Untersuchungsausschuss soll nun in
Großbritannien klären, wie genau es dazu gekommen ist; am vergangenen Freitag sagte
Blair dort aus. Das Presseecho auf diesen Auftritt war durchwachsen: Blair habe keine
Reue gezeigt und sei noch immer der Meinung, der Krieg sei gerechtfertigt gewesen.
Und tatsächlich - anders als andere Mitglieder der damaligen Regierung schob er die
Verantwortung nicht auf fehlerhafte Berichte oder mangelndes Wissen. Er stand live
und vor laufenden Kameras zu seiner Entscheidung:
„Ich musste als Premierminister
diese Entscheidung treffen. Es war damals eine große Verantwortung, und es vergeht
kein einziger Tag, an dem ich nicht über diese Verantwortung nachdenke - so soll das
auch sein. Aber ich bin der Überzeugung, dass wir mit Saddam auch dann zu tun gehabt
hätten, wenn wir ihn damals an der Macht gelassen hätten, und das möglicherweise unter
einer stärkeren Bedrohung. Aber wenn ich gefragt werde, ob ich glaube, dass wir heute
sicherer leben und ob es dem Irak heute besser geht als damals, heute, ohne Saddam
und seine beiden Söhne - dann lautet meine Antwort, dass das so ist.“
Ohne
UNO-Mandat und auch ohne den Rückhalt der britischen Bevölkerung schickte er als enger
Verbündeter der USA im Jahr 2003 45.000 Soldaten in den Irak – und entflammte damit
die Diskussion um einen möglichen Verstoß gegen internationales Recht. Die Verteidigung
Blairs vor dem Ausschuss folge ganz logisch dem Gedanken der Selbstverteidigung, meint
der Länderfachmann von Kirche in Not, Berthold Pelster. Im Gespräch mit Radio Vatikan
sagt er, welche Frage im Untersuchungsausschuss gefehlt habe:
„Ich hätte
die Frage gestellt, ob er sich die Verhältnismäßigkeit der Mittel gut überlegt hat.
Toni Blair ist ja davon ausgegangen, dass es eine hypothetische Gefahr von Terroranschlägen
gegeben hat. Er hat gesagt: Fanatiker und Terroristen wie diejenigen, die in New York
2001 das World Trade Center vernichtet und dabei 3000 Tote in Kauf genommen haben,
wären auch jederzeit dazu bereit, 30.000 Menschenleben zu opfern. Das waren allerdings
hypothetische Überlegungen. Dieser „Befreiungskrieg“ hat aber tatsächlich dazu geführt,
dass es weit über 100.000 Tote im Irak gegeben hat - und das sind reale, faktische
Tote.“
Die menschenrechtliche Situation und auch die Sicherheitslage im
Irak seien weiterhin prekär, so Pelster. Der gegenwärtige Zustand belege, dass der
militärische Einmarsch der US-amerikanischen und britischen Truppen nicht von Erfolg
gekrönt gewesen sei. Künftig hätten Bemühungen um Stabilität und Frieden anders auszusehen:
„Ich
denke, dass die internationale Weltgemeinschaft noch stärker darauf drängen muss,
dass allgemeine Menschenrechtsstandards auch im Irak durchgesetzt werden. Dass Minderheiten
geschützt werden, egal, ob das ethnische Minderheiten sind wie etwa die Kurden oder
die Turkmenen, oder religiöse Minderheiten wie insbesondere die Christen oder die
Jesiden. Dass das noch stärker durchgesetzt wird - da muss die internationale Gemeinschaft
noch stärkeren Druck ausüben. In den außenpolitischen Beziehungen und möglicherweise
auch bei wirtschaftspolitischen Gesprächen!“
Der Irak ist ein künstliches
Land, von den ehemaligen Kolonialherren England und Frankreich geschaffen. Es leben
völlig unterschiedliche Völker mit unterschiedlichen Geschichten und Traditionen und
Religionen in dem Land. Und durch die Unterdrückung durch Saddam Hussein und seine
Baath-Partei sind die religiösen Abgrenzungen gegen andere nur noch stärker geworden.
„Von
dieser Geschichte her gibt es noch große Verletztheiten, gibt es ein großes Misstrauen
gegen die jeweils andere Bevölkerungsgruppe, und das alles muss aufgearbeitet und
überwunden werden. Das heißt, vertrauensbildende Maßnahmen sind wichtig. Und das kann
natürlich nur durch moderate Kräfte geschehen.“
Durch Waffen ist das nicht
zu erreichen - erst recht nicht durch ausländische Mächte. Die Friedensarbeit müsse
von der irakischen Bevölkerung selbst geleistet werden – mit Hilfe der moderaten Kräfte
im Land. Und auch die Christen vor Ort könnten, obwohl nur als kleine Minderheit vertreten
und unter ständigem Druck, dazu beitragen, wie der Länderexperte an einem konkreten
Beispiel deutlich macht:
„Es geht hier um den neu eingeführten Erzbischof
von Mossul, Emil ShimounNona. Er ist der jüngste Erzbischof der katholischen
Weltkirche - gerade mal 42 Jahre alt. Dieser junge Erzbischof hat jetzt die immense
Aufgabe, den Christen Hoffnung zu vermitteln. Er lebt in Mossul, wo es um Weihnachten
und in den vergangenen Tagen immer wieder zu Anschlägen auf Christen gekommen ist,
mit mehreren Toten! Das zeigt die ungeheure Schwierigkeit seiner Aufgabe. Er muss
die Christen dazu motivieren, im Land zu bleiben, micht zu Flucht zu ergreifen, nicht
die Hoffnung zu verlieren, dass sie nicht völlig verzweifeln an ihrer Lage.“
Es
braucht viele neue Anfänge für den Irak. Einer davon könnte der Untersuchungsausschuss
in Großbritannien sein.
„Es ist auf jeden Fall positiv zu bewerten, dass
es diesen Untersuchungsausschuss gibt: Er kann vielleicht mehr Klarheit in den Sachverhalt
hineinbringen. Vielleicht kommen die Politiker dann dazu, in Zukunft stärker auch
über friedliche und über diplomatische Konfliktläsungsstrategien nachzudenken.“