2010-02-01 10:51:04

Großbritannien/Irak: Blair vor dem Untersuchungsausschuss


Es war ein Krieg, den sein Land nicht wollte. Und trotzdem schloss sich Premierminister Tony Blair dem US-Angriff auf den Irak an. Ein Untersuchungsausschuss soll nun in Großbritannien klären, wie genau es dazu gekommen ist; am vergangenen Freitag sagte Blair dort aus. Das Presseecho auf diesen Auftritt war durchwachsen: Blair habe keine Reue gezeigt und sei noch immer der Meinung, der Krieg sei gerechtfertigt gewesen. Und tatsächlich - anders als andere Mitglieder der damaligen Regierung schob er die Verantwortung nicht auf fehlerhafte Berichte oder mangelndes Wissen. Er stand live und vor laufenden Kameras zu seiner Entscheidung:

„Ich musste als Premierminister diese Entscheidung treffen. Es war damals eine große Verantwortung, und es vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht über diese Verantwortung nachdenke - so soll das auch sein. Aber ich bin der Überzeugung, dass wir mit Saddam auch dann zu tun gehabt hätten, wenn wir ihn damals an der Macht gelassen hätten, und das möglicherweise unter einer stärkeren Bedrohung. Aber wenn ich gefragt werde, ob ich glaube, dass wir heute sicherer leben und ob es dem Irak heute besser geht als damals, heute, ohne Saddam und seine beiden Söhne - dann lautet meine Antwort, dass das so ist.“

Ohne UNO-Mandat und auch ohne den Rückhalt der britischen Bevölkerung schickte er als enger Verbündeter der USA im Jahr 2003 45.000 Soldaten in den Irak – und entflammte damit die Diskussion um einen möglichen Verstoß gegen internationales Recht. Die Verteidigung Blairs vor dem Ausschuss folge ganz logisch dem Gedanken der Selbstverteidigung, meint der Länderfachmann von Kirche in Not, Berthold Pelster. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagt er, welche Frage im Untersuchungsausschuss gefehlt habe:

„Ich hätte die Frage gestellt, ob er sich die Verhältnismäßigkeit der Mittel gut überlegt hat. Toni Blair ist ja davon ausgegangen, dass es eine hypothetische Gefahr von Terroranschlägen gegeben hat. Er hat gesagt: Fanatiker und Terroristen wie diejenigen, die in New York 2001 das World Trade Center vernichtet und dabei 3000 Tote in Kauf genommen haben, wären auch jederzeit dazu bereit, 30.000 Menschenleben zu opfern. Das waren allerdings hypothetische Überlegungen. Dieser „Befreiungskrieg“ hat aber tatsächlich dazu geführt, dass es weit über 100.000 Tote im Irak gegeben hat - und das sind reale, faktische Tote.“

Die menschenrechtliche Situation und auch die Sicherheitslage im Irak seien weiterhin prekär, so Pelster. Der gegenwärtige Zustand belege, dass der militärische Einmarsch der US-amerikanischen und britischen Truppen nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei. Künftig hätten Bemühungen um Stabilität und Frieden anders auszusehen:

„Ich denke, dass die internationale Weltgemeinschaft noch stärker darauf drängen muss, dass allgemeine Menschenrechtsstandards auch im Irak durchgesetzt werden. Dass Minderheiten geschützt werden, egal, ob das ethnische Minderheiten sind wie etwa die Kurden oder die Turkmenen, oder religiöse Minderheiten wie insbesondere die Christen oder die Jesiden. Dass das noch stärker durchgesetzt wird - da muss die internationale Gemeinschaft noch stärkeren Druck ausüben. In den außenpolitischen Beziehungen und möglicherweise auch bei wirtschaftspolitischen Gesprächen!“

Der Irak ist ein künstliches Land, von den ehemaligen Kolonialherren England und Frankreich geschaffen. Es leben völlig unterschiedliche Völker mit unterschiedlichen Geschichten und Traditionen und Religionen in dem Land. Und durch die Unterdrückung durch Saddam Hussein und seine Baath-Partei sind die religiösen Abgrenzungen gegen andere nur noch stärker geworden.

„Von dieser Geschichte her gibt es noch große Verletztheiten, gibt es ein großes Misstrauen gegen die jeweils andere Bevölkerungsgruppe, und das alles muss aufgearbeitet und überwunden werden. Das heißt, vertrauensbildende Maßnahmen sind wichtig. Und das kann natürlich nur durch moderate Kräfte geschehen.“

Durch Waffen ist das nicht zu erreichen - erst recht nicht durch ausländische Mächte. Die Friedensarbeit müsse von der irakischen Bevölkerung selbst geleistet werden – mit Hilfe der moderaten Kräfte im Land. Und auch die Christen vor Ort könnten, obwohl nur als kleine Minderheit vertreten und unter ständigem Druck, dazu beitragen, wie der Länderexperte an einem konkreten Beispiel deutlich macht:

„Es geht hier um den neu eingeführten Erzbischof von Mossul, Emil Shimoun Nona. Er ist der jüngste Erzbischof der katholischen Weltkirche - gerade mal 42 Jahre alt. Dieser junge Erzbischof hat jetzt die immense Aufgabe, den Christen Hoffnung zu vermitteln. Er lebt in Mossul, wo es um Weihnachten und in den vergangenen Tagen immer wieder zu Anschlägen auf Christen gekommen ist, mit mehreren Toten! Das zeigt die ungeheure Schwierigkeit seiner Aufgabe. Er muss die Christen dazu motivieren, im Land zu bleiben, micht zu Flucht zu ergreifen, nicht die Hoffnung zu verlieren, dass sie nicht völlig verzweifeln an ihrer Lage.“

 
Es braucht viele neue Anfänge für den Irak. Einer davon könnte der Untersuchungsausschuss in Großbritannien sein.

„Es ist auf jeden Fall positiv zu bewerten, dass es diesen Untersuchungsausschuss gibt: Er kann vielleicht mehr Klarheit in den Sachverhalt hineinbringen. Vielleicht kommen die Politiker dann dazu, in Zukunft stärker auch über friedliche und über diplomatische Konfliktläsungsstrategien nachzudenken.“

 
(rv 30.01.2010 vp/ord)







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