Das kommunistische
Land erlebt in diesen Tagen eine Welle von Prozessen gegen Dutzende von (echten oder
angeblichen) Regimegegnern: Dissidenten stehen vor dem Kadi, unabhängige Blogger,
Menschenrechtsaktivisten – und auch Angehörige von religiösen Gruppen, die sich der
staatlichen Kontrolle entziehen. „Human Rights Watch“ spricht von einem „immer härteren
Klima der Unterdrückung“ im Land. Erst vor ein paar Tagen schickte ein Gia-Lai-Provinzgericht
zwei Christen, denen die Bildung eines „reaktionären Untergrundnetzes“ vorgeworfen
wurde, für neun bzw. zwölf Jahre hinter Gitter. Ihr Vergehen: Sie hatten nicht-angemeldete
Hauskirchen besucht. Benoit de Tréglodé ist Vietnam-Experte vom Pariser „Zentrum
für ostasiatische Studien“ (Irasec); er kennt den Grund für die angespanntere Lage
im Land:
„Vietnam bereitet sich dieses Jahr auf seinen elften Parteikongress
vor, der Anfang 2011 stattfinden wird; traditionell ist das Jahr vor einem solchen
Kongress von Gewichtverschiebungen geprägt – dann gibt es immer Kämpfe zwischen Interessengruppen
und persönliche Rivalitäten. All das führt zu Erschütterungen und Spannungen.“
In
seinem Menschenrechtsbericht von diesem Januar weist „Human Rights Watch“ darauf hin,
dass vor allem die Religionsfreiheit in Vietnam im letzten Jahr besonders drastisch
eingeschränkt worden ist. Das Regime gehe immer mehr gegen Religionsführer und ihre
Anhänger vor, wenn die für Bürgerrechte einträten, für Religionsfreiheit und für gerechte
Lösungen bei Landkonflikten.
„Es gibt eine traditionelle Spannung zwischen
dem Verteidigungsministerium und dem Ministerium für öffentliche Sicherheit. An der
Welle von Verhaftungen in den letzten Wochen läßt sich deutlich eine wachsende Rivalität
zwischen diesen beiden Behörden ablesen. Hinzu kommen, zweitens, Rivalitäten zwischen
einzelnen Regionen: Dazu muss man wissen, dass es in Vietnam seit dem letzten Parteikongress
von 2006 keinen Spitzenvertreter von Mittelvietnam unter den drei wichtigsten Staatsämtern
gibt. Früher waren der Präsident, der Premier und der Parteichef Vietnams – das sind
die drei wichtigsten Ämter – gleichzeitig auch Vertreter von Nord-, Mittel- und Südvietnam,
doch seit 2006 sind nur noch Norden und Süden an der Staatsspitze repräsentiert. Das
hat zu einem Ungleichgewicht geführt, das sich jetzt deutlich bemerkbar macht.“