Die deutschen Atomkraftwerke
müssen länger laufen - das wollen die großen Energieunternehmen. Und genau das versuchen
sie in diesen Tagen mit der Bundesregierung auszuhandeln. Gerne wird in der Diskussion
darauf verwiesen, dass bei einem Atomausstieg Deutschland vor einem Energieloch stünde.
Doch ist die Sache wirklich so einfach? Dominik Skala hat sich umgehört und ist auf
etwas komplexere Antworten gestoßen.
Im Jahr 2000 hatte die damals rot-grüne
Bundesregierung einen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Den deutschen Kernkraftwerken
wurden je nach Alter und Auslastung verschiedene Restlaufzeiten eingeräumt, und in
einem Zeitraum von zwei Jahrzehnten sollten alle Anlagen vom Netz gehen. Verbunden
war damit aber eine weiterführende Überlegung, vor allem in Hinblick auch auf die
regenerativen Energien. Was genau hinter dem rot-grünen Konzept steckte, erklärt uns
Mattias Kiefer, Umweltbeauftragter des Erzbistums München-Freising.
„Es
war ja erklärtes Ziel der Regierung damals, eben nicht nur auf der einen Seite die
Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, sondern gleichzeitig auch andere signifikante Schritte
zu unternehmen: Erstens hin in Richtung Energieeinsparung, zweitens hin zu einer massiven
Effizienzsteigerung beim Energieverbrauch und drittens hin zu einem Ausbau erneuerbarer
Energien. Beide Säulen dieses politischen Konzepts braucht es, um möglichst schnell
eine möglichst breite Versorgung der deutschen Bevölkerung mittels der regenerativen
Energieträger zu erreichen.“
Sollte es jetzt tatsächlich
zu einer Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken kommen, käme es nicht nur
zu einer Verzögerung der erneuerbaren Energien. Auch würde, so Kiefer, ein gesellschaftlicher
Grundkonsens in Deutschland aufgekündigt werden - und damit würde ein Austieg vom
Atomausstieg zu einer ethischen Frage.
„Es ist eine Frage der Gerechtigkeit
- inwiefern der Staat, und damit letztendlich der Steuerzahler, weiter gewisse Oligopolstrukturen
alimentiert und gleichzeitig damit verhindert, dass andere Akteure auf dem Energiemarkt
Chancen erhalten.“
Gerechtigkeitsfragen gehen auch die
Kirche an: Nach durchaus kontroversen Diskussionen zur Atomfrage in der katholischen
Kirche in der Vergangenheit könne man in Grundfragen inzwischen doch einheitliche
Argumentationsmuster heraushören. So hat sich nicht nur die deutsche Bischofskommisson
„Gerechtigkeit und Frieden“ gegenüber der Kernkraft vorsichtig kritisch geäußert.
Auch die Veröffentlichung der Botschaft Papst Benedikts XVI. zum Weltfriedenstag während
der Kopenhagener Klimakonferenz sei durchaus kernenergie-kritisch zu lesen, meint
Mattias Kiefer.
„Wenn er zum Beispiel sagt in dieser Botschaft zum Weltfriedenstag:
‚Der Gebrauch natürlicher Ressourcen müsste dergestalt sein, dass die unmittelbaren
Vorteile nicht negative Folgen für die Menschen und andere Lebewesen in Gegenwart
und Zukunft mit sich bringen.’ Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass weltweit keine
einzige Endlagerstätte für hochradioaktiven Abfall besteht, gewinnt diese Aussage
durchaus an Brisanz!“
Über die Endlagerfrage hinaus
betont Kiefer, dass auch weitere Argumente die ethische Diskussion um die Kernenergie
tragen müssten: Nicht ausgeschlossen sei weiterhin, dass Nuklearmaterial in die falschen
Hände gerate. Auch die Sicherheitsfrage und vor allem, wer für die Folgen eines Unfalls
aufkommen müsse, sei nicht abschließend geklärt. Gleichzeitig gibt Kiefer zu bedenken,
dass es neben aller Kritik am Atomstrom das Verhalten der Energieverbraucher selbst
sei, das sich ändern müsse.
„Dieses Festhalten am Herkömmlichen bewirkt
letzten Endes eine Einstellung des ‚Weiter so’. Das ist eines der zentralen Argumente
auch in der Diskussion um die Kernkraft. Da wird dem Kunden, dem Endverbraucher, dem
Bürger suggeriert, er müsse an seinem Verhalten nichts ändern - und das ist einfach
falsch.“