Zu Jahresbeginn hat
es in Rom eine kleine kunstgeschichtliche Sensation gegeben: In den vatikanischen
Archiven ist der Vertrag aufgetaucht, mit dem Papst Urban VIII. dem großen Barockkünstler
Gian Lorenzo Bernini den Auftrag für den berühmten Baldachin im Petersdom erteilt
hat. Der Bernini-Experte der Humboldt Universität Berlin, Arne Karsten, der selbst
einige Jahre in Rom tätig war, erklärt gegenüber Radio Vatikan, was dieser Fund für
die Kunsthistorik bedeutet:
„Es sind zwei Verträge gefunden worden, und
der eine betrifft den Auftrag für den Baldachin an Bernini. Wir wussten, dass 1624
die Planungen begonnen hatten. Aber erst jetzt können wir sagen, dass der Auftrag
an Bernini genau 1625 erfolgt. Es wird deutlich, dass Bernini schon sehr früh von
Urban VIII. mit großen Projekten beauftragt wurde. Das ist insofern bemerkenswert,
als dass Bernini bis dahin lediglich als Skulpteur renommiert war. Mit dem Baldachin,
der eine Höhe von über 28 Metern hat, wird ihm eine neue Qualität an Aufträgen erteilt.
Das zeigt, dass Urban VIII. den Künstler Bernini mit besonderem Nachdruck förderte.
Bernini ist also von Pontifikatsbeginn an mit Aufträgen versehen, die die Wertschätzung
dieses Papstes zeigen und verdeutlichen, dass Urban VIII. Bernini Aufträge zutraute,
für die er eigentlich von seinen bisherigen Leistungen her gar nicht prädestiniert
war.“
Papst Urban VIII. kannte Bernini schon in der Zeit, als er selber
noch Kardinal war. In der zweiten Hälfte der 1610-er Jahre, damals noch als Maffeo
Barberini, galt er schon als potentieller Kandidat für den Papstthron. Er lernte Bernini
am Hof des damals regierenden Kardinalnepoten Scipione Borghese kennen und schätzen.
Karsten: „Das war die Phase, in der Bernini seine ersten bedeutenden
Kunstwerke schuf. Berühmt ist seine Statuengruppe „Aeneas und Anchises“. Maffeo Barberini
war ein großer Kunstkenner und hat erkannt, dass Bernini eine neue und sehr intensive
Kunstsprache entwarf. Bernini hat letzten Endes die barocke Skulptur entwickelt mit
einer enormen Intensität der Figurengestaltung. Und in diesem Künstler hat Barberini
einen idealen Vermittler des damaligen Herrschafts- und Machtanspruches sowohl der
katholischen Kirche als auch seiner Familie gesehen. Denn man darf ja nicht vergessen,
dass jeder Papst dieser Epoche nicht bloß Oberhaupt der katholischen Christenheit
und Souverän des Kirchenstaates ist, sondern auch einer Familie, die er an den Schaltstellen
der Macht implantiert. Und diese Familie bedarf einer visuell prächtigen Darstellung.
Hier gehen kirchliche Motive mit politischen und familiären Motiven eine nicht auflösbare
Verbindung ein.“
Unmittelbar über dem vermuteten Petrusgrab, direkt unter
der prächtigen Kuppel Michelangelos, setze der Baldachin in Sankt Peter einen sehr
bildstarken Akzent, der zugleich das Selbstverständnis der Päpste zeige, so Karsten.
Der Baldachin spreche eine Bildsprache, die den Nachfolgeanspruch der Päpste und die
theologische Basis des Papstamtes deutlich werden lasse. Im Baldachin, beschreibt
der Kunsthistoriker, habe Bernini eine sehr selbstbewusste Tonlage gewählt:
„Man
muss sich vor Augen führen, dass sich das Selbstverständnis der Päpste und deren Selbstdarstellung
über die Jahrhunderte trotz aller Kontinuität stark gewandelt haben. Diese triumphalistische,
suggestive, verherrlichende Formensprache, die ja auch mit enormen Ausgaben verbunden
ist, würde man heute nicht mehr wählen. Heute sind ganz andere Töne gefragt. Auch
der glaubenskämpferische Ansatz, der die Barocke Formensprache prägt, ist ja heute
abhanden gekommen. Man darf aber nicht vergessen, dass sich die Päpste im 17. Jahrhundert
als oberste Glaubenshirten anders gesehen haben, als ihre heutigen Amtsnachfolger
und dazu auch ganz andere Aufgaben hatten. Die Päpste des 17. Jahrhunderts sind eben
nicht nur Oberhäupter der katholischen Kirche, sie sind zugleich Landesherren des
Kirchenstaates und agieren als Souveräne mit im Konzert der europäischen Mächte. Deshalb
haben sie auch eine Rolle auszufüllen, bei der ihnen die visuelle Verherrlichung ihres
Amtes zu Statten kommt. Hier haben sich die Rollen über die Jahrhunderte hinweg sehr
stark gewandelt.“
Insgesamt könne man davon sprechen, dass Bernini mit
dem Baldachin für St. Peter so etwas wie der Durchbruch zum „Diktator der römischen
Kunstszene“ gelungen sei, meint Karsten:
„Bernini weist mit diesem sehr
beeindruckenden und erfolgreichen Kunstwerk – bei seiner Enthüllung am 29. Juni 1633
wurde es im Allgemeinen bewundert – nach, dass er das Zeug dazu hat, die Aufgaben,
die die päpstlichen und kardinalizischen Auftraggeber an ihn herantragen, mit einer
neuen Formensprache sehr erfolgreich zu lösen. Damit gelingt es ihm, seine Stellung
als führender Künstler im barocken Rom zu etablieren. Und diese Stellung sollte er
dann über ein halbes Jahrhundert, mit einer kurzen Unterbrechung durch die schwierige
Phase 1644 bis 1648 unter dem Nachfolger Urbans VIII., behaupten.“