„Das Schweigen von Pius XII. schmerzt noch heute“ – Auszüge aus Reden in der Synagoge
Vor dem Papst ergriffen
am Sonntagabend in der römischen Synagoge mehrere jüdische Vertreter das Wort. Wir
dokumentieren hier die wichtigsten Auszüge aus ihren Ansprachen an Benedikt XVI. in
einer eigenen Übersetzung. Riccardo Pacifici, Präsident der jüdischen Gemeinde
von Rom
„Herzlich willkommen! Das heutige Ereignis wird eine tiefe
Spur in den Beziehungen zwischen Juden und Christen hinterlassen – nicht nur in religiöser
Hinsicht, sondern hoffentlich auch für die Zivilgesellschaft.
Für uns Juden
ist der Staat Israel Frucht einer gemeinsamen Geschichte und eines unauflöslichen
Bandes, das zu unserer Kultur und Tradition gehört. Ein Recht, das – wie jeder Bibelkenner
weiß – dem Volk Israel zugesprochen worden ist!
Wir wollen Ihnen unsere ganze
Solidarität ausdrücken für die Gewalt, der sich immer häufiger Christen in einigen
Ländern Asiens und Afrikas ausgesetzt sehen und auf die der Westen nach unserer Einschätzung
nicht genug reagiert. Man müsste energischer Druck ausüben auf Länder, in denen es
verboten ist, eine Kirche oder eine Synagoge zu bauen.
Wir sind alle besorgt
über den islamischen Fundamentalismus. Männer und Frauen voller Hass, die von Terrorgruppen
gelenkt und finanziert werden, wollen uns kulturell und physisch auslöschen. Dieser
religiöse Fanatismus wird auch von Staaten unterstützt... Darum müssen wir solidarisch
sein mit den Kräften im Islam, die den Koran als Quelle der Solidarität und Brüderlichkeit
sehen – im Respekt vor der Heiligkeit des Lebens. Ich grüße sehr herzlich die islamischen
Vertreter, die in dieser Synagoge präsent sind.
Die Last der Geschichte ruht
auch auf dem Ereignis von heute – mit noch offenen Wunden, die wir nicht ignorieren
dürfen. Darum respektieren wir auch all die, die entschieden haben, nicht zu kommen!
Wenn
ich heute an diesem heiligen Ort das Wort ergreifen kann, dann, weil mein Vater und
mein Onkel in der Nazizeit in einem Kloster in Florenz versteckt worden sind. Die
Dankbarkeit diesem Kloster gegenüber ist immens; der Staat Israel hat ihm die „Medaille
der Gerechten unter den Völkern“ verliehen. Das war kein Einzelfall, weder für Italien
noch für andere Teile Europas. Viele Ordensleute haben ihr Leben riskiert, um Tausende
von Juden vor dem sicheren Tod zu retten! Darum schmerzt das Schweigen von Pius XII.
zur Shoah noch wie ein Versagen. Vielleicht hätte er die Todeszüge nicht stoppen können
– aber er hätte ein Signal, ein Wort der Tröstung, der menschlichen Solidarität geben
können für unsere Brüder, die nach Auschwitz transportiert wurden!“ Renzo Gattegna, Präsident der Union der jüdischen Gemeinden Italiens
„In
unserer Erinnerung bleibt Ihre noble Rede vom Februar letzten Jahres, als Sie die
Worte von Johannes Paul II. aufgriffen und den Herrn um Verzeihung baten für alle
Ungerechtigkeiten, die das jüdische Volk hat erleiden müssen. Sie haben sich auch
für eine „echte Brüderlichkeit mit dem Volk des Bundes“ eingesetzt. Ich erlaube mir,
an Ihre Worte zu erinnern, weil heute hier bei uns einige Personen in vorgerücktem
Alter sind..., die 1943 und 1944 in die Nazi-Vernichtungslager deportiert wurden und
zu den wenigen gehören, denen das Überleben gelang. Ich glaube, dass sie, die die
Hölle der Lager erlebt haben, die wahren Adressaten dieser Worte sind, die Sie gesprochen
haben...“ Shemuel Riccardo Di Segni, römischer Oberrabbiner
„24
Jahre sind vergangen seit dem historischen und unvergesslichen Besuch von Papst Johannes
Paul II. in dieser Synagoge. Damals wurde er dringend um Anerkennung des Staates Israel
gebeten, was er wenige Jahre später auch vollzogen hat. Das war ein weiteres Zeichen
für neue, reifere Zeiten... Bei seinem Besuch in dieser Synagoge hat Papst Johannes
Paul unsere Beziehung als die von Brüdern bezeichnet. Im Buch Genesis gibt es viele
Brüdergeschichten; die erste ist die von Kain und Abel, sie geht übel aus... Wenn
wir Brüder sind, dann müssen wir uns ehrlich fragen: An welchem Punkt stehen wir auf
unserem Weg, und wie viel trennt uns noch von einem echten Verhältnis der Brüderlichkeit
und des Verständnisses? Was müssen wir tun, um dahin zu kommen? Trotz einer dramatischen
Geschichte, trotz offener Probleme und Unverständnis sollten wir unsere Gemeinsamkeiten
und unsere gemeinsamen Ziele herausstreichen! Das Bild des Respekts und der Freundschaft,
das aus diesem Treffen hervorgeht, sollte ein Beispiel sein für alle, die uns beobachten...
Juden, Christen und Moslems haben eine gemeinsame Verantwortung für den Frieden. Wir
beten von dieser Synagoge aus um diesen universellen Frieden, von dem Jesaja für Jerusalem
spricht.“ (rv 18.01.2010 sk)