Betrachtung zum Sonntag von Missio-Präsident P. Hermann Schalück
Zur Sonntagslesung aus dem 1. Korinterbrief, 12. Kapitel:
Paulus schreibt
an die Gemeinde in Korinth – und damit an uns heute.Er schreibt mit einem lachenden
und einem weinenden Auge: Denn einerseits freut er sich, dass sich dort in der jungen
Kirche von Korinth so viele Talente finden, die zum Aufbau einer lebendigen Gemeinde
unverzichtbar sind. Andererseits sind gerade diese unterschiedlichen Gaben Anlass
zum Unfrieden in der Gemeinde geworden – vielleicht, weil manche plötzlich meinten,
die verschiedenen Begabungen bewerten zu müssen – als sei die eine besser, die andere
weniger gut oder sogar überflüssig. Paulus setzt dagegen: Vergesst nicht einander
wertzuschätzen. Lebt mutig eure Talente, aber vergesst nicht, dass in der Vielfalt
die innere Einheit ein hohes Gut ist, das nicht verloren gehen darf. Die Gemeinde
in Korinth war im Vergleich zu uns heute noch gut dran, sie konnte sich gar nicht
retten vor Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes be-geistert waren: Die einen
haben besondere Erkenntnis, andere können Wunder tun und wieder andere sprechen in
Ekstase. In den Gottesdiensten geht es lebhaft zu. Das Gemeindeleben scheint zu blühen.
Auch die Armen und Notleidenden werden nicht vergessen. Unser Problem ist es nun
dagegen nicht, dass sich im Gottesdienst und in der Gemeinde zu viele und zu unterschiedliche
Begabungen einbringen möchten. Das überschwängliche Wirken des Heiligen Geistes, diese
Kraft, die Menschen erfüllt und mitreißt, spüren wir viel zu selten. Wir fragen uns
dagegen, wo er denn überhaupt noch weht in dieser Zeit, die geprägt ist von Ratlosigkeit
und Depression, auch in der Kirche bei uns. Wir erleben in der Regel keinen überschwänglichen
Enthusiasmus. Die Begabungen und Talente zur Mitarbeit drängen sich nicht unbedingt
auf, und ein anderes Problem dürfte sein, dass nicht alle Charismen, die in Männern
und Frauen vorhanden sind, sich entfalten dürfen. Aber ich frage: Warum sollte
es bei uns anders sein als in Korinth? Sollte Gott nicht auch heute genügend Männer
und Frauen bestellen wollen, die den Glauben weitergeben, Liturgien leiten, predigen
und das Brot der Eucharistie austeilen können? Ich bin sicher, auch wir haben in unseren
Gemeinden alle Talente und Fähigkeiten, die der Heilige Geist heute in uns wecken
will. Manche scheinen nur zu schlummern und zu warten, bis sie sich entfalten können.
Es geht darum, sie wahrzunehmen, zu wecken, anzuerkennen und ihnen Raum zu geben.
Es geht in der Tat nicht zuletzt darum, die Einladung von Papst Benedikt ernst zu
nehmen und um Priester zu beten. Aber die anderen Begabungen sind nicht weniger wichtig.
Ein Priester ist kein Einzelkämpfer, er ist nach Paulus auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
angewiesen. Es bleibt die Frage, was wir in der jetzigen Situation unserer Gemeinden
mit ihren tiefen Umbrüchen und Krisen tun können, damit wir uns nicht nur mit uns
selber beschäftigen, sondern damit der Geist kommt und bleibt und in verschiedener
Form in den verschiedensten Menschen lebt, immer aber zum Aufbau der einen Gemeinde
Jesu Christi. Zunächst scheint es mir wichtig, die Gabe des Gebetes, die doch
eigentlich jeder in sich hat und wecken kann, ernst zu nehmen. Im Gebet öffnen sich
doch immer verschlossene Türen. Wenn wir beten, so wie Jesus es uns gelehrt hat, dann
öffnen wir uns für Kommendes, für Gottes Reich und seinen Willen, darin auch für das,
was in menschlicher Perspektive als unmöglich und unerhört bezeichnet werden könnte,
auf jeden Fall öffnen wir uns Jesu Geist, der die Kirche von innen her erneuern will.
Beten sollten wir zweitens darum, dass in allem Gliedern der Kirche, vom Papst
bis zum einfachen Gläubigen an der Basis, die Gabe der Unterscheidung lebendig bleibt.
Nur der Geist selber kann uns nämlich zeigen, was heute wichtig ist und was nicht,
wo Berufungen schlummern, wie man sie wecken kann und welche Talente er selber in
Männern und Frauen wecken will, im Dienst am Evangelium und an der Glaubwürdigkeit
der Kirche. Es wäre schließlich ein Dienst am Aufbau der Kirche, wenn Christinnen
und Christen sich gegenseitig immer stützen und ermutigen würden. Wenn wir uns bei
allen Differenzen und unterschiedlichen Erwartungen und Enttäuschungen doch gegenseitig
des öfteren sagen würden, dass wir bei aller Unterschiedlichkeit einander wertschätzen
und dass es schön ist, zur Gemeinde Jesu zu gehören. Das würde auch die innere Freude
neu entfachen, jene Freude, von der Martin Luther einmal gesagt hat, sie sei unter
all den großen und kleinen, den gelehrten und einfachen Talenten der Kirche der Doktorhut
des Glaubens. Schließen möchte ich mit einem alten Gebet: Geist des lebendigen
Gottes, netze mich wie Tau am Morgen. Fülle mich, öffne mich, brauche mich.