Dialogexperte: „Ich hoffe, Benedikt wird Mut haben"
An diesem Sonntag
wird Papst Benedikt XVI. die Synagoge der jüdischen Gemeinde von Rom besuchen. Eine
Begegnung, die sicherlich in die Geschichte eingehen wird und im Vorfeld mit großen
Erwartungen verbunden ist. Ein gutes Verhältnis zu den Juden ist für Papst Benedikt
von größter Bedeutung, da ist sich Jesuitenpater Christian Rutishauser sicher. Der
Schweizer unterrichtet Jüdische Studien an der Päpstlichen Hochschule Gregoriana in
Rom und erläutert im Gespräch mit Radio Vatikan, wie der Besuch dazu beitragen kann,
die Irritationen der letzten Jahre im jüdisch-christlichen Dialog zu bereinigen –
gerade weil sie durch Papst Benedikt selbst ausgelöst worden seien:
„Ich
denke, es gibt zwei größere Irritationen: Die eine kommt durch das Motu Proprio von
2007 zur Wiederzulassung der Tridentinischen Messe. 2008 hat der Papst dann eigenhändig
die Fürbitte zum Karfreitag neu formuliert. Das hat größere Irritationen ausgelöst,
weil viele das so interpretiert haben, dass der Papst die Judenmission erneut möchte.
Kardinal Kasper hat das damals dann in ein neues und richtiges Licht gerückt. Das
ist die eine Irritation theologischer Art. Eine andere hat die größere Öffentlichkeit
erreicht: Das war gerade vor einem Jahr, als die Exkommunikation gegenüber den vier
Bischöfen der Piusbruderschaft aufgehoben worden ist. Dass da ein Holocaust-Leugner
darunter ist, hat natürlich für die Juden einen Affront bedeutet. Und zu einer Irritation
- man könnte auch sagen, in eine Krise geführt.“
Das Schlüsselwort sei
die gegenseitige Verständigung. In deren Zentrum stehe auch für Papst Benedikt die
Konzilserklärung „Nostra aetate“, die dem jüdisch-katholischen Dialog den Weg geebnet
habe. Das Dokument habe mit der antijudaistische Tendenz der katholischen Theologie,
die ihr über Jahrhunderte innegewohnt habe, aufgeräumt. Pater Rutishauser fasst es
so zusammen:
„Die Neuerungen bestehen vor allem darin, dass nicht mehr das
Trennende betont wird zwischen Juden und Katholiken, sondern das Verbindende. Das
gemeinsame Erbe der Heiligen Schrift, das gemeinsame Erbe natürlich auch der ganzen
Geschichte von Abraham an gesprochen. Dann war es aber auch eine ganz wichtige Erkenntnis,
dass die katholische Kirche dazu steht, dass Jesus selber, Maria und die ersten Apostel
Juden waren. Und auf der anderen Seite wird der Gottesmord-Vorwurf, der den Juden
immer gemacht worden ist, mit dem Dokument Nostra Aetate theologisch zurückgewiesen.
Das Gleiche gilt für den Gedanken der Kollektivschuld. Es wird gesagt, dass das Judentum
am Tod Jesu keine Schuld trägt und deshalb weder verworfen noch verflucht ist. Und
Johannes Paul II. hat das dann weitergeführt, indem er gesagt hat: Das Judentum steht
in einem ungekündigten Bund mit Gott. Das ist zum geflügelten Wort geworden und hat
auch dann die neue Perspektive eröffnet, dass der Neue und der Alte Bund, also den
Gott am Sinai mit dem Judentum geschlossen hat, und der Bund in Jesus Christus, dass
das eine neue Perspektive gibt, Schulter an Schulter in die Zukunft zu gehen.“
Neben
dem jüdisch-katholischen Dialog wolle Papst Benedikt mit seinem Besuch aber auch eine
neue Einordnung von verschiedenen historischen Fakten vorantreiben. Das betreffe auch
die Amtszeit Pius XII., so die Einschätzung des Jesuitenpaters. Nicht nur vor diesem
Hintergrund habe es Johannes Paul II., der die römische Synagoge 1986 besucht hatte
und als Vorreiter im jüdisch-christlichen Dialog gelten könne, leichter gehabt als
sein Amtsnachfolger:
„Nach einer Pionierphase, wie sie durch ihn wirklich
vorangetrieben wurde, kommt immer auch eine Phase der Konsolidierung. Gegen außen
sieht es oft so aus, als ob es eher eine Stagnation ist, weil nicht mehr so große,
neue Ereignisse hinzukommen. Es ist etwas anderes, wenn ein Papst zum ersten Mal in
eine Synagoge geht oder jetzt dieses dann der vierte Synagogenbesuch eines Papstes
sein wird. Rein von der Aktualität her und vom Neuigkeitswert steht natürlich Papst
Benedikt an einem ganz anderen Ort als Johannes Paul II. Und dann sind wir gesamtkirchlich
in eine neue Situation gekommen, was die Interpretation des Zweiten Vatikanischen
Konzils betrifft. Hier versucht Papst Benedikt wohl auf der einen Seite, ein gutes
jüdisch-katholisches, jüdisch-christliches Verhältnis aufzubauen, auf der anderen
Seite aber doch auch die rechtskonservativen Kreise hinein zu holen in die katholische
Kirche. Und das erzeugt eine Spannung. Von daher ist der jüdisch-römisch-katholische
Dialog heute in einem anderen Umfeld anzusiedeln, als das bei Johannes Paul II. noch
der Fall war.“
Anders als bei seinem Synagogenbesuch 2005 in Köln werde
die Nationalität Papst Benedikts an diesem Wochenende keine übergeordnete Rolle spielen,
mutmaßt Pater Rutishauser. Eher werde der Papst auf die Bedeutung der römischen Gemeinde
als älteste jüdische Gemeinde des Westens eingehen: „Ziemlich sicher
bereits vor der Zerstörung des Tempels, also 70 v. Chr., eher früher, haben sich die
Juden hier niedergelassen. Und von daher war immer ein sehr spezielles Verhältnis
zwischen dem Vatikan und der jüdischen Gemeinde und früher natürlich dieser jüdischen
Minderheit hier im Kirchenstaat durch die Jahrhunderte hindurch. Er wird sicher darauf
Bezug nehmen, einige Gesten setzen. Sei es an Gedenkminuten, sei es an Niederlegen
von Blumen, um verschiedene Ereignisse zu bedenken.“
Zu diesen Ereignissen
zählten etwa die Ghettoisierung der römischen Juden unter Papst Paul IV. im Jahr 1555
oder die Deportation von 200 Juden im Oktober 1943. Dass der Besuch an diesem Sonntag
auf den 21. Tag zur Stärkung der jüdisch-christlichen Beziehungen fällt, ist für Rutishauser
kein Zufall: „Hier in Italien hat der Besuch von Papst Johannes
Paul II. 1986 das Bewusstsein dafür ausgelöst, dass es wirklich darum geht, die Beziehungen
zwischen Judentum und der katholischen Kirche voranzutreiben. Und so wurde dieser
Tag eingeführt zur Vertiefung und zur Förderung der katholisch-jüdischen Verhältnisse.
Er wird immer am 17. Januar begangen. Das ist der Tag vor der Woche für die Einheit
der Christen, zu dem jedes Jahr verschiedene Vorträge, Begegnungen und Veranstaltungen
organisiert werden. Auch die Italienische Bischofskonferenz wendet sich immer mit
einem Schreiben an die Öffentlichkeit, das auch vom Präsident der Rabbinerkonferenz
Italiens unterzeichnet wird.“
In die Ansprache des Papstes
an diesem Sonntag setzt der Dialogexperte große Hoffnungen:
„Im Augenblick
ist die Bilanz seines Pontifikats für viele Menschen einfach noch im Minus, weil die
angesprochenen Irritationen und die Krise, die sie ausgelöst haben, die breite Bevölkerung
noch einmal haben aufhorchen lassen: Gibt es wirklich einen Dialog auf Augenhöhe,
in dem gerade auch das Judentum als Religion mit ihrem Eigenwert wahrgenommen wird
und nicht einfach nur als eine Religion, wo man hofft, dass sie möglichst bald, wie
alle anderen Menschen, sich letztlich zur Kirche bekennen oder zu Christus bekehren?
Und ich hoffe schon sehr, dass Papst Benedikt den Mut hat, auch theologisch zu betonen,
dass die Juden wirklich auf einer anderen Ebene stehen als Atheisten bzw. als Menschen
anderer Religionen. Und dass er das besondere Band, das die katholische Kirche mit
dem Judentum verbindet, noch einmal durch verschiedene Gesten und auch Aussagen unterstreichen
wird in der nächsten Zeit.“