2010-01-13 11:40:43

Dialogexperte: „Ich hoffe, Benedikt wird Mut haben"


RealAudioMP3 An diesem Sonntag wird Papst Benedikt XVI. die Synagoge der jüdischen Gemeinde von Rom besuchen. Eine Begegnung, die sicherlich in die Geschichte eingehen wird und im Vorfeld mit großen Erwartungen verbunden ist. Ein gutes Verhältnis zu den Juden ist für Papst Benedikt von größter Bedeutung, da ist sich Jesuitenpater Christian Rutishauser sicher. Der Schweizer unterrichtet Jüdische Studien an der Päpstlichen Hochschule Gregoriana in Rom und erläutert im Gespräch mit Radio Vatikan, wie der Besuch dazu beitragen kann, die Irritationen der letzten Jahre im jüdisch-christlichen Dialog zu bereinigen – gerade weil sie durch Papst Benedikt selbst ausgelöst worden seien:

„Ich denke, es gibt zwei größere Irritationen: Die eine kommt durch das Motu Proprio von 2007 zur Wiederzulassung der Tridentinischen Messe. 2008 hat der Papst dann eigenhändig die Fürbitte zum Karfreitag neu formuliert. Das hat größere Irritationen ausgelöst, weil viele das so interpretiert haben, dass der Papst die Judenmission erneut möchte. Kardinal Kasper hat das damals dann in ein neues und richtiges Licht gerückt. Das ist die eine Irritation theologischer Art. Eine andere hat die größere Öffentlichkeit erreicht: Das war gerade vor einem Jahr, als die Exkommunikation gegenüber den vier Bischöfen der Piusbruderschaft aufgehoben worden ist. Dass da ein Holocaust-Leugner darunter ist, hat natürlich für die Juden einen Affront bedeutet. Und zu einer Irritation - man könnte auch sagen, in eine Krise geführt.“

Das Schlüsselwort sei die gegenseitige Verständigung. In deren Zentrum stehe auch für Papst Benedikt die Konzilserklärung „Nostra aetate“, die dem jüdisch-katholischen Dialog den Weg geebnet habe. Das Dokument habe mit der antijudaistische Tendenz der katholischen Theologie, die ihr über Jahrhunderte innegewohnt habe, aufgeräumt. Pater Rutishauser fasst es so zusammen:

„Die Neuerungen bestehen vor allem darin, dass nicht mehr das Trennende betont wird zwischen Juden und Katholiken, sondern das Verbindende. Das gemeinsame Erbe der Heiligen Schrift, das gemeinsame Erbe natürlich auch der ganzen Geschichte von Abraham an gesprochen. Dann war es aber auch eine ganz wichtige Erkenntnis, dass die katholische Kirche dazu steht, dass Jesus selber, Maria und die ersten Apostel Juden waren. Und auf der anderen Seite wird der Gottesmord-Vorwurf, der den Juden immer gemacht worden ist, mit dem Dokument Nostra Aetate theologisch zurückgewiesen. Das Gleiche gilt für den Gedanken der Kollektivschuld. Es wird gesagt, dass das Judentum am Tod Jesu keine Schuld trägt und deshalb weder verworfen noch verflucht ist. Und Johannes Paul II. hat das dann weitergeführt, indem er gesagt hat: Das Judentum steht in einem ungekündigten Bund mit Gott. Das ist zum geflügelten Wort geworden und hat auch dann die neue Perspektive eröffnet, dass der Neue und der Alte Bund, also den Gott am Sinai mit dem Judentum geschlossen hat, und der Bund in Jesus Christus, dass das eine neue Perspektive gibt, Schulter an Schulter in die Zukunft zu gehen.“

Neben dem jüdisch-katholischen Dialog wolle Papst Benedikt mit seinem Besuch aber auch eine neue Einordnung von verschiedenen historischen Fakten vorantreiben. Das betreffe auch die Amtszeit Pius XII., so die Einschätzung des Jesuitenpaters. Nicht nur vor diesem Hintergrund habe es Johannes Paul II., der die römische Synagoge 1986 besucht hatte und als Vorreiter im jüdisch-christlichen Dialog gelten könne, leichter gehabt als sein Amtsnachfolger:

„Nach einer Pionierphase, wie sie durch ihn wirklich vorangetrieben wurde, kommt immer auch eine Phase der Konsolidierung. Gegen außen sieht es oft so aus, als ob es eher eine Stagnation ist, weil nicht mehr so große, neue Ereignisse hinzukommen. Es ist etwas anderes, wenn ein Papst zum ersten Mal in eine Synagoge geht oder jetzt dieses dann der vierte Synagogenbesuch eines Papstes sein wird. Rein von der Aktualität her und vom Neuigkeitswert steht natürlich Papst Benedikt an einem ganz anderen Ort als Johannes Paul II. Und dann sind wir gesamtkirchlich in eine neue Situation gekommen, was die Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils betrifft. Hier versucht Papst Benedikt wohl auf der einen Seite, ein gutes jüdisch-katholisches, jüdisch-christliches Verhältnis aufzubauen, auf der anderen Seite aber doch auch die rechtskonservativen Kreise hinein zu holen in die katholische Kirche. Und das erzeugt eine Spannung. Von daher ist der jüdisch-römisch-katholische Dialog heute in einem anderen Umfeld anzusiedeln, als das bei Johannes Paul II. noch der Fall war.“

Anders als bei seinem Synagogenbesuch 2005 in Köln werde die Nationalität Papst Benedikts an diesem Wochenende keine übergeordnete Rolle spielen, mutmaßt Pater Rutishauser. Eher werde der Papst auf die Bedeutung der römischen Gemeinde als älteste jüdische Gemeinde des Westens eingehen:
 
„Ziemlich sicher bereits vor der Zerstörung des Tempels, also 70 v. Chr., eher früher, haben sich die Juden hier niedergelassen. Und von daher war immer ein sehr spezielles Verhältnis zwischen dem Vatikan und der jüdischen Gemeinde und früher natürlich dieser jüdischen Minderheit hier im Kirchenstaat durch die Jahrhunderte hindurch. Er wird sicher darauf Bezug nehmen, einige Gesten setzen. Sei es an Gedenkminuten, sei es an Niederlegen von Blumen, um verschiedene Ereignisse zu bedenken.“

Zu diesen Ereignissen zählten etwa die Ghettoisierung der römischen Juden unter Papst Paul IV. im Jahr 1555 oder die Deportation von 200 Juden im Oktober 1943. Dass der Besuch an diesem Sonntag auf den 21. Tag zur Stärkung der jüdisch-christlichen Beziehungen fällt, ist für Rutishauser kein Zufall:
 
„Hier in Italien hat der Besuch von Papst Johannes Paul II. 1986 das Bewusstsein dafür ausgelöst, dass es wirklich darum geht, die Beziehungen zwischen Judentum und der katholischen Kirche voranzutreiben. Und so wurde dieser Tag eingeführt zur Vertiefung und zur Förderung der katholisch-jüdischen Verhältnisse. Er wird immer am 17. Januar begangen. Das ist der Tag vor der Woche für die Einheit der Christen, zu dem jedes Jahr verschiedene Vorträge, Begegnungen und Veranstaltungen organisiert werden. Auch die Italienische Bischofskonferenz wendet sich immer mit einem Schreiben an die Öffentlichkeit, das auch vom Präsident der Rabbinerkonferenz Italiens unterzeichnet wird.“

 
In die Ansprache des Papstes an diesem Sonntag setzt der Dialogexperte große Hoffnungen:

„Im Augenblick ist die Bilanz seines Pontifikats für viele Menschen einfach noch im Minus, weil die angesprochenen Irritationen und die Krise, die sie ausgelöst haben, die breite Bevölkerung noch einmal haben aufhorchen lassen: Gibt es wirklich einen Dialog auf Augenhöhe, in dem gerade auch das Judentum als Religion mit ihrem Eigenwert wahrgenommen wird und nicht einfach nur als eine Religion, wo man hofft, dass sie möglichst bald, wie alle anderen Menschen, sich letztlich zur Kirche bekennen oder zu Christus bekehren? Und ich hoffe schon sehr, dass Papst Benedikt den Mut hat, auch theologisch zu betonen, dass die Juden wirklich auf einer anderen Ebene stehen als Atheisten bzw. als Menschen anderer Religionen. Und dass er das besondere Band, das die katholische Kirche mit dem Judentum verbindet, noch einmal durch verschiedene Gesten und auch Aussagen unterstreichen wird in der nächsten Zeit.“

(rv 13.01.2010 vp)








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