„Kirche muss humanen Umgang mit Guantánamo-Häftlingen einfordern“
An diesem Montag jährt
sich zum achten Mal der Tag, an dem auf der US-Basis Guantánamo auf Kuba ein Gefangenenlager
für Terrorismusverdächtige in Betrieb genommen wurde. Das Lager steht bis heute als
Symbol schlechthin für eine problematische, ja teilweise menschenverachtende Form
der Terrorismusbekämpfung. Wolfgang Heinz ist beim Deutschen Institut für Menschenrechte
für internationale Sicherheitspolitik zuständig und beschreibt die menschenrechtliche
Problematik gegenüber Radio Vatikan: „Für den internationalen Menschenrechtsschutz
ist es auffällig, dass seit acht Jahren eine westliche Demokratie außerhalb ihrer
Jurisdiktion und ihrem Staatsgebiet einen Ort schafft, an dem 750 Personen ohne Anklage
oder Gerichtsverhandlung festgehalten wurden. Kennzeichnend war die absolute Geheimhaltung.
Das heißt, viele Militärs und Geheimdienstleute haben über die Häftlinge in Guantánamo
gesprochen, aber niemand von den Gefangenen selbst hat darüber gesprochen, was er
erlebt hat oder wie seine Situation ist.“ Er bedauere die Dämonisierung der
Gefangenen in den Medien weltweit, betont Heinz. Das verzerrte Bild der Guantánamo-Häftlinge
habe auch den politischen Kurs Deutschlands in Sachen Guantánamo mitbestimmt und sorge
nach wie vor für Vorbehalte. Aus „sicherheitstechnischen Gründen“ und auch, weil die
Gefangenen keinen „Deutschlandbezug“ hätten, habe man ihre Aufnahme stets abgelehnt.
Und das, obwohl unter den Insassen etwa 50 Häftlinge seien, gegen die nichts strafrechtlich
Relevantes vorliege, die aber nicht in ihre Heimatländer zurück könnten, weil ihnen
dort Verfolgung, Folter oder die Todesstrafe drohten, so der Menschenrechtler: „Ich
denke, dass es aus menschenrechtlicher Sicht zwar keine Rechtsverpflichtung gibt,
Gefangene aufzunehmen. Aber dass es im humanitären Sinn sicherlich sehr sinnvoll wäre,
möglichst viele Gefangene in unterschiedlichen Ländern aufzunehmen, damit Guantánamo
endlich und bald geschlossen wird. Man muss dazu sagen, dass man am Anfang noch das
Argument hatte: Wir nehmen selber keine Gefangenen auf, solange die USA selbst keine
Gefangenen aufnimmt. Es sah ein bisschen danach aus, dass wir die Kastanien für die
USA aus dem Feuer holen sollten. Das ist jetzt aber anders: Organisationen und Institutionen
werden darauf vorbereitet, Guantánamo-Häftlinge aufzunehmen. Ich hoffe darum, dass
es in Deutschland zu einem Politikwechsel kommt - der ist aber momentan nicht abzusehen.“ Aktuell
habe sich die politische Lage um das Strafgefangenenlager weiter zugespitzt, erklärt
Heinz: „Der versuchte Bombenanschlag von Detroit stellt uns vor eine schwierige
Situation. Die Planung wird auf Entwicklungen in Jemen zurückgeführt. Und als Konsequenz
ist der Transfer von jemenitischen Gefangenen eingestellt worden. Das ist natürlich
eine verquere Logik. Ich denke, hier sollte die Kirche sich dafür stark machen, diese
beiden Dinge zu trennen. Natürlich muss man den Terrorismus bekämpfen. Aber trotzdem
müssen die Gefangenen in Guantánamo aus ihrer rechtswidrigen und menschenrechtswidrigen
Situation befreit werden!“ In einem solchen Engagement liege eine ganz grundsätzliche
Aufgabe der Kirche, findet der Menschenrechtsexperte: „Ich sehe die humanitäre
Hilfe als einen wichtigen Geltungsbereich der Kirche, und zwar in einem ganz elementaren
Sinn. Auch wenn diese Menschen Straftaten begangen haben, müssen sie human behandelt
werden. Im Fall von Guantánamo haben wir es mit Personen zu tun, die niemals vor Gericht
gestellt worden sind und kein faires Verfahren gesehen haben! Hier würde ich klar
eine Rolle der Kirche sehen. Ich denke aber auch, dass es für die Kirche wichtig ist,
an dieser Stelle nicht nur humanitär zu argumentieren, sondern auch völkerrechtlich
und menschenrechtlich. Weil eben Regierungen in der Regel auf diese Argumente eher
reagieren, als auf eine rein humanitäre Argumentation - deshalb sollte man diese Argumentationsstränge
verbinden.“ (rv 11.01.2010 vp)