2010-01-06 12:38:46

Fremdheit, Ökumene, Begeisterung - Evangelisches Sabbatjahr in Rom


RealAudioMP3 Der Vatikan lockt Pilger aus aller Welt nach Rom, darunter stets auch viele Geistliche. Besonders in der Nähe von St. Peter sieht man zu jeder Tageszeit zahlreiche Priester und Ordensleute – doch sind sie meist katholisch. Eine evangelische Schwester stellt da schon eine Seltenheit dar. So etwa Schwester Adelheid aus der Nähe von Hannover. Sie ist Pfarrerin, gehört seit 42 Jahren der Kommunität der Christusbruderschaft des alten Augustinerinnenklosters Wülfinghausen an und verbringt eine spirituelle Auszeit, ein „Sabbatjahr“, in Rom. Im Gespräch mit Radio Vatikan verrät sie, wie es dazu gekommen ist:

„Pfarrerinnen und Pfarrer haben etwa alle zehn Jahre die Möglichkeit, ein Studiensemester zu machen. Ich habe das noch nie in Anspruch genommen und darum meine Kirchenleitung gefragt, ob ich nicht auch mal so ein Studiensemester bekäme, da ich mich nach sechzehn Jahren Aufbauarbeit im Kloster erschöpft gefühlt habe und gerne mal wieder in Ruhe lesen, nachdenken und mich vertiefen wollte. Zuerst habe ich daran gedacht, es in Deutschland, in Münster zu machen. Dort gibt es ein Spiritualitätsinstitut. Aber dann haben mir viele geraten, geh doch ins Ausland! Und da wir starke ökumenische Kontakte haben, hat mich Rom gelockt - und ich bereue es auch nicht.“

Der ökumenische Gedanke prägt die Arbeit der Pfarrerin in Deutschland nicht zufällig, sondern vor einem ganz bestimmten Erfahrungshorizont:

„Ich habe bei Jesuiten eine Ausbildung für geistliche Begleitung und Exerzitienbegleitung gemacht. Und dabei sind ganz tiefe Freundschaften mit katholischen Freundinnen und Freunden entstanden. Wir arbeiten stark ökumenisch in der Exerzitienbegleitung zusammen und begleiten einander auch gegenseitig in Einzelbegleitung. Und das ist eine ganz schöpferische Arbeit, die beide Seiten bereichert. Dafür haben wir sogar in Göttingen den Edith Stein-Preis erhalten - für unser grenzüberschreitendes ökumenisches Engagement. Und von daher schlägt mein Herz für die Ökumene, und ich habe mich gedacht: Ja, auf nach Rom! Da ist die Geschichte der Christenheit greifbar. Steingewordene Geschichte... Und es ist schon stark, das zu erleben.“

Aber auch die Ökumene zwischen den evangelischen Kirchengemeinschaften erlebt Schwester Adelheid während ihres sechsmonatigen Romaufenthaltes hautnah:

„Ich bin in der evangelischen Fakultät der Waldenser untergebracht. Das ist eine kleine italienische Kirche, die Jahrhunderte lang verfolgt war und seit gut einhundert Jahren hier in Rom eine Fakultät hat. Und da wohne ich im Studentenwohnheim mit Baptisten, Methodisten, Waldensern, Lutheranern und einigen deutschen Studenten zusammen. Aber ich habe ganz verschiedenen Kontakte hier in Rom.“

Diese Kontakte bringen sie auch mit vielen Katholiken zusammen. Schwester Adelheid geht mit offenen Augen durch die Ewige Stadt und sammelt ganz unterschiedliche Eindrücke:

„Ich sehe auch die katholische Kirche noch einmal neu, ihre Größe und das Weltumspannende, das Zentrale. Was sicherlich ein Schatz ist, aber zugleich auch eine Schwerfälligkeit mit sich bringt. Ich merke hier vor Ort, dass die Dominanz der Katholischen auch etwas Steriles hat. In Deutschland lässt sich jede Seite von der anderen befruchten und herausfordern. Und das tut jeder Seite gut. Und das fehlt mir ein bisschen hier in Rom. Jetzt verstehe ich diese Schwerfälligkeit mehr. Dennoch habe ich eine große Achtung vor dem Reichtum des Ordenslebens hier. Ich habe schon viele schöne Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Orden gehabt. Es interessiert mich sehr, wie sie ihr Gründungscharisma heute wieder zu verlebendigen versuchen, vor dem Hintergrund ihrer oft schon viele Jahrhunderte alten Geschichte.“

Und auch zur Rolle der Frau in der katholischen Kirche hat sich die evangelische Pfarrerin ihr eigenes Bild gemacht:

„Ich denke, die Frau hat es schwerer in der katholischen Kirche als in unserer Kirche. Ich freue mich, dass ich als Frau Pfarrerin sein kann und in vielen Dingen geistlich handeln kann. Und da wünschte ich, es würden noch andere Wege gefunden. Ich habe die Priesterweihe in Sant`Ignazio miterleben dürfen: Das war sehr beeindruckend, wie eine Profess in unserem Kloster. Das war sehr schön, ich freue mich daran. Aber das ist eine reine Männersache und für mich dadurch ungewohnt.“

Der spirituelle Reichtum der katholischen Kirche, vor allem hinsichtlich ihrer Klostertraditionen, sei allerdings ein Schatz, dessen Wert man gar nicht hoch genug einschätzen könne. Das betont die Pfarrerin. Auch auf evangelischer Seite suche man nach Möglichkeiten, einen solchen Reichtum für sich zu entdecken:

„Bei uns in der evangelischen Kirche ist eine starke Suchbewegung nach Spiritualität aufgebrochen. Unsere evangelische Frömmigkeit ist manchmal etwas wortlastig, etwas kopflastig. Und so wird nach Möglichkeiten der Meditation und des Gebetes gesucht, um wieder tiefer aus Quellen schöpfen zu können. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind unabhängig voneinander einige evangelische Kommunitäten entstanden; Taizé ist die bekannteste. Nach einer vierhundertjährigen Klostervergessenheit hat man diese Berufung in unserer Kirche wiederentdeckt. Luther hatte das ja scharf kritisiert und gesagt, das sei keine zweite Taufe und kein besseres geistliches Leben, sicher mit Recht. Aber die Schärfe der Kritik hat sozusagen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und das Klosterleben in unserer Kirche ganz zum Erliegen gebracht. Und das ist schade, weil es doch eine der vielen Möglichkeiten ist, Christ zu sein und das Evangelium zu leben.“

(rv 06.01.2010 vp)








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